Erst der Krieg, dann der sogenannte Friede

Kein Sieger, eine einzige Niederlage

11 Wochen Bombardement. Sehr viele sind gestorben. Noch viel mehr sind Flüchtlinge geworden. In allen betroffenen Ländern, von den USA bis Serbien, und auf allen Ebenen hat es manche Opposition gegen den Krieg gegeben. Und nun spechen sie von Frieden.

Unsere Regierenden (D’Alema an der Spitze) hätten uns gerne glauben gemacht, dass der Friede das Ergebnis einer „Kombination von Gewalt und Diplomatie", beide für humanitäre Zwecke angewandt, ist. Aber die Realität sieht anders aus.

Fassen wir die wahren Ziele des amerikanischen Angriffs zusammen: die Sicherstellung der Kontrolle des Erdölflusses aus den Zonen des Kaspischen Meers und des Kaukasus; die Isolierung Russlands; die Behinderung der europäischen Staaten bei ihrem immer stärkeren Bestreben, einen eigenen, wenn auch nicht direkt gegen die USA gerichteten wirtschaftlich-politisch-militärischen Block zu bilden.

Weder Russland noch Europa konnten die Initiative der USA (oder der NATO, was dasselbe ist) verhindern; Europa, weil es noch nicht existiert, Russland, weil es zu schwach und zu abhängig von den Finanzen des Internationalen Währungsfonds ist.

Die imperialistischen Akteure

Europa, einig nur in den Absichten einer Fraktion seiner Bourgeoisie, hat sich nur in seinen nationalen Bestandteilen gezeigt: Italien, Frankreich und Deutschland haben sich mit geheucheltem Enthusiasmus der amerikanischen Initiative angepasst und angeschlossen und dabei das Märchen von den humanitären Gründen und von der Hilfe für die Kosovaren vorgebracht, aber erklärtermassen den „Verhandlungsweg" verfolgt.

Russland, seine Bourgeoisie und seine wirtschaftlich-militärischen Machthaber, konnten nicht akzeptieren, an den Rand gedrängt zu werden, ohne auf irgendeine Art zu reagieren. Als sie den Angriff auf Jugoslawien nicht verhindern konnten, begannen sie offen und diskret daran zu arbeiten, sich als Vermittler, als einzig möglichen Vermittler ins Spiel zu bringen. Eine Rolle dabei spielten auch die zugespitzten inneren Probleme und Machtkämpfe.

Als es klar war, dass einerseits die Bombardierungen - die nach den ursprünglichen Hoffnungen und Anweisungen von Albright höchstens eine Woche dauern sollten - auf unbestimmte Zeit fortgesetzt würden, ohne das Ziel, Milosevic zu besiegen, zu erreichen, und dass andererseits die russische Diplomatie bestrebt war, einen für beide Seiten akzeptablen Friedensplan auf den Weg zu bringen, haben die europäischen Staaten mit Russland gemeinsame Sache gemacht, um die USA auszumanövrieren.

Gleichzeitig wuchs die Unschlüssigkeit und die Opposition der sogenannten öffentlichen Meinung in Amerika gegen dieses scheinbar in eine Sackgasse laufende Abenteuer.

Mit den Präsidentenwahlen vor Augen, musste die US-Administration zu rechnen beginnen:

China, Indien und Russland sind gegen die Einmischung Amerikas in Europa, die europäischen Staaten haben sie zähneknirschend akzeptiert, jetzt aber arbeiten sie dagegen und ballen innerhalb der NATO schon die Fäuste in den Taschen; also fahren wir jetzt einmal ein, was wir schon erreicht haben, und sehen dann weiter.

Das müssen die Überlegungen im Weißen Haus gewesen sein.

Ein provisorischer Friede

Von daher der „Friedensprozess" oder die Akzeptierung des europäisch-russischen Plans durch Amerika zuerst bei den G8 und dann in der UNO. Das eröffnet eine neue Phase, in der viele Dinge offen bleiben und unvorhersehbaren Entwicklungen in sich bergen.

Da ist vor allem Russland, von dem wir in einem anderen Artikel sprechen, das ja diplomatisch wie militärisch auf den Balkan zurückkehrt, jedoch auf eine Art und mit Erwartungen, die grundsätzlich vom Ausgang der inneren Auseinandersetzungen abhängen. Vergessen wir nicht, dass ein großer Teil des Einsatzes, um den es in diesem Krieg ging, nicht auf dem Balkan selbst, sondern in den kaukasischen und kaspischen Regionen der Ex-UdSSR lagen. Und die Art und Weise, wie Russland in die Beziehungen zwischen den USA und Turkmenistan (zum Beispiel) intervenieren wird, wird deshalb stark vom Ausgang des Krieges zwischen den „Freunden der Amerikaner" (Jelzin und Konsorten) und dem national-kommunistischen Block, der mehr mit Europa in einer antiamerikanischen Stoßrichtung „befreundet" ist, abhängen.

Dann ist da Europa, das dabei ist, seine diplomatisch-pazifistischen Anstrengungen mit den russischen zu verbinden und sich als autonome wirtschaftlich-politische Region einzurichten. Die jüngsten Erklärungen der Regierenden von Deutschland, Frankreich und Italien, vor allem dem Briten Blair ins Gesicht gesagt, waren von der Art:

Hier hat der Friedenswille und die diplomatische Fähigkeit Europas gesiegt. Von jetzt an wird sich Europa um die europäischen Angelegenheiten selbst kümmern.

An die Adresse Blairs gerichtet, heißt das: Entweder du bist mit uns oder du bist gegen uns. Doch es wird nicht leicht für Blair sein, aus der politischen Schizophrenie, die die jetzige Phase der britischen Politik kennzeichnet (Mittelweg zwischen den USA und Europa. Anmerkung des Übersetzers) herauszufinden.

Endlich die Vereinigten Staaten selbst. Sie haben zwar einige große Ziele, wegen denen sie die Militärintervention führten, verwirklicht, gleichzeitig aber andere verfehlt.

Sicher haben sie nun militärische Stützpunkte am Balkan (und also in Europa) eingerichtet, die sie dort lange Zeit aufrecht erhalten wollen, um die amerikanischen Interessen in Bezug auf die möglichen Erdölflüsse vom Schwarzen Meer nach Albanien (Bau einer Pipeline. Anmerkung des Übersetzers) wahrzunehmen. Diese Stützpunkte stellen jedenfalls die letzten Brückenköpfe der USA in ganz Europa dar. Die USA haben Länder wie Ungarn, Polen und Rumänien für sich gewonnen, die alle einerseits an Russland und andererseits an die europäischen Verbündeten (die möglichen Gegner von morgen) grenzen.

Andererseits - und in Bestätigung einer schon in der Aprilnummer von „Battaglia Comunista" vorgebrachten These - haben sie ein anderes Ziel der militärischen Aktion im Kosovo nicht erreicht: Europa zu demütigen und so den Prozess der politischen und militärischen Vereinheitlichung Europas (nach der schon stattgefundenen finanziellen) zu bremsen.

Und Russland, das endgültig isoliert und an den Rand gedrängt werden sollte, befindet sich auf dem Spielfeld und weist eine gefährliche Tendenz zum Schulterschluss mit Europa auf.

Die USA haben also keinen großen Anlass zum Jubel und werden sicher gegen die momentanen bedrohlichen Tendenzen arbeiten.

Es bestehen also alle Ingredienzien einer Situation, in der nach Frieden gerufen wird, die aber wieder im Kosovo oder in einer anderen Ecke Eurasiens zu explodieren droht, selbstverständlich mit neuen ideologischen Rechtfertigungen.

Die Arbeiterklasse

Das alles sind die Fronten der Bourgeoisie. Was aber die Arbeiterklasse betrifft, müssen wir eine große Niederlage registrieren, oder besser die Bestätigung, dass die Arbeiterklasse immer noch von der historischen Niederlage geprägt ist, die sich zuerst im Triumph des Stalinismus und dann in seinem Zusammenbruch äußerte.

In den USA, in Europa und in Russland haben die Arbeiter geschwiegen, und der brutale, barbarische Angriff der NATO gegen einen souveränen Staat ist über die Bühne gegangen, ohne dass die Arbeiterklasse etwas gesagt hätte. In den Fabriken in Italien spalteten sich die Arbeiter in Befürworter und Gegner der NATO-Intervention (traurigerweise waren die Befürworter in der Mehrheit), nachdem alle jedenfalls das Märchen geschluckt hatten, dass die Intervention gegen Serbien wegen dessen Politik im Kosovo gemacht würde.

In Serbien und im Kosovo, in den von den Bombardierungen der NATO und von der nationalistischen Politik von Milosevic betroffenen Regionen, hat sich das Proletariat gänzlich zersetzt, indem es für den menschenverachtenden und schändlichsten Nationalismus der einen oder der anderen Seite Partei ergriffen hat.

Die Arbeiter der Zastava-Werke haben erlebt, wie die Fabrik von NATO-Raketen zerstört wurden, und als Reaktion waren sie zu nichts anderem fähig, als sich um Milosevic zu scharen, für einen „antiimperialistischen" Widerstand auf dem Boden des Nationalismus. Die kosovarischen Bergarbeiter wiederum, deren Kämpfe vom serbischen Regime im Jahre 1992 hart unterdrückt worden waren, haben in diesem Regime ihren Feind gefunden (und zwar sahen sie nur den nationalistischen, nicht aber den bürgerlich-kapitalistischen Charakter dieses Regimes) und ihm jetzt den albanischen Nationalismus entgegengesetzt.

Andererseits, gibt es, abgesehen von den Internationalisten, politische Kräfte, die auch den wahren Charakter dieses Krieges (außerhalb von alt- und neostalinistischen Mustern) denunzierten und allein im Kapitalismus aller Länder den Grund und die Wurzel aller Kriege aufzeigten? Niemand: alle haben sich auf die eine oder andere Seite geschlagen, indem sie den alten ideologischen Müll vom Gegensatz zwischen Angegriffenem / Angreifer, starkem Staat / schwachem Staat, imperialistischen Staaten / antiimperialistischen Staaten übernommen haben.

Wenn man nicht verstanden hat, was Imperialismus heute ist, ist es unvermeidlich, dass man sich an die alten Dummheiten klammert und auf ihnen die eigene Intervention auch in der Klasse aufbaut.

Mancher beginnt zu verstehen, dass das alte Zeug nicht mehr taugt und dass es nötig ist, wieder zu denken, zu organisieren und zu kämpfen anzufangen. Mit diesen wenigen kann und muss man die Bedingungen schaffen, um voranzukommen.

Partito Comunista Internazionalista, Juni 1999

(1) Der PCInt. hat außerdem ein Flugblatt herausgebracht, das offenbar an die Klasse gerichtet ist und den Titel trägt: “Nur der Klassenkampf der Arbeiter kann den Kurs zum Krieg des Kapitals stoppen”.