Revolte In Syrien: Viele Tote und geplatzte Illusionen

Seit Februar ist Syrien ein Schauplatz des Massenmords. Tausende darunter viele Kinder sind getötet wurden. Die Reaktionen der „internationalen Gemeinschaft fallen bemerkenswert zurückhaltend aus. Syrien wird von den USA seit Jahrzehnten als „Unterstützer des Terrorismus“ eingestuft und sanktioniert. Allerdings erhoben die USA nicht die Forderung das Assad-regime abzulösen. Bemerkenswerterweise gab es keine UN-Resolution gegen Syrien und auch keinen Versuch militärisch zu intervenieren wie im Falle Libyens. Stattdessen beschränkt man sich auf einige sehr zurückhaltende Verurteilungen des staatlichen Vorgehens. Es liegt auf der Hand dass das Schicksal der syrischen Demonstranten damit zu tun hat das diesmal weder Petrodollars noch Ölvorkommen auf dem Spiel stehen. Ebenso ist es klar dass weder der Westen noch Israel einen Regimewechsel in Syrien begrüßen würden, da dies den Mittleren Osten noch weiter ins Chaos stürzen würde. Die imperialistischen Verbündeten Syriens, der Iran (der eigens erfahrene Sicherheitskräfte und Berater zur Niederschlagung der Revolte geschickt hat) als auch Russland und China haben dem Regime seit Februar freie Hand gegeben die Demonstrationen zu unterdrücken.

Der Februar ist kein besonders glücklicher Monat in der Geschichte Syriens. Im Februar 1982 organisierte die Muslimbruderschaft in der Stadt Hama einen bewaffneten Aufstand gegen Assads Vater Hafez. Die syrische Armee umstellte die Stadt, kappte Wasser-und Elektrizitätsversorgung sowie die Telekommunikationsverbindungen und begann mit Bombardierungen. Kaum jemand konnte entkommen und es gibt Berichte nach denen selbst Unterstützer des Assad-Regimes getötet wurden. Mehr als 25 000 Menschen sollen in diesem Massaker ums Leben gekommen sein. Die Botschaft war klar und eindeutig: Jede Form des Widerstandes würde auch in Zukunft gnadenlos unterdrückt werden. Seit diesem Februar gab es nur vereinzelte Proteststimmen von Intellektuellen gegen die Korruption des Regimes und die verehrende Wirtschaftslage. Die derzeitige Revolte brach in mehreren Orten aus nachdem zwei Teenager die in der Stadt Deraa Graffiti gesprüht hatten festgenommen worden waren.

Gleichzeitig wurde die Bewegung auch von den Beispielen Tunesien, Ägypten und anderen Orten in der arabischen Welt inspiriert. Und wie an anderen Orten auch wird die Bewegung vorrangig von Jugendlichen, Erwerblosen, Gelegenheitsarbeitern und jenen Teilen der Mittelschicht getragen, die trotz Uniabschluss keinen Perspektive haben einen Job zu bekommen. Wie bei anderen Protestbewegungen (auch bei denen in den reicheren kapitalistischen Ländern) gibt es kaum Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Viele können keinen ausreichend bezahlte Jobs finden und sind oftmals von ihren Eltern abhängig. Die industrielle Arbeiterklasse hat sich bis jetzt noch nicht der Bewegung angeschlossen. ArbeiterInnen nahmen lediglich als Einzelpersonen an den Demonstration teil. Wie bei anderen Revolten des “Arabischen Frühlings” wird eine Ende des korrupten Regimes und die Einführung von “Demokratie” gefordert. Die Bewegung richtet sich gegen den Artikel 8 der Verfassung der die Führerschaft der „Arabischen Sozialistischen Baath-Partei“ im Staat und einer nicht näher definierten „nationalistischen und progressiven Front“ festschreibt. Die Hauptlosung auf jeder Demonstration lautet lediglich „Nieder mit Assad“ Die Revolte ist bis jetzt noch nicht so entwickelt wie in Tunesien oder Ägypten und setzt sich vorrangig aus unterschiedlichen Bewegungen in verschiedenen Städten und Dörfern zusammen.

Ein wenig über die Ursprünge

Auf dem ersten Blick scheint das Regime in einer gefährlichen Situation zu sein.Es stütze sich vorrangig auf die Minderheit der Alawiten. Auf diese hatte schon 1919 die französische Kolonialmacht gebaut. Nach dem Vertag von Sevres, wurden Syrien und der Libanon nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Osmanischen Reich herausgelöst und Frankreich zur Mandatsmacht. Dies sollte solange bleiben bist sich die Syrer (die bis dahin nie als Nation existiert hatten) in der Lage seien „sich selber zu regieren“, wie es in der bevormundenden Diktion der imperialistischen Machthaber hieß.

Die Alawiten sind eine besondere muslimische Glaubensrichtung. Sie werden oftmals fälschlicherweise mit den Schiiten in eine Topf geworfen, da auch sie den zwölften Imam Ali verehren. In Syrien stellen sie eine Minderheit von ca. 7% der Bevölkerung, einem Land dass sich aus sowohl religiösen als säkularen Minderheiten zusammensetzt, darunter Kurden, Drusen, Moslems, Christen. Die Mehrheit der Bevölkerung besteht jedoch zu ca. 75% aus Sunniten. Unter der französischen Kolonialzeit bekamen die Alawiten wie auch andere Minderheiten dieselben Rechte und Steuervergünstigungen wie die Sunniten, um sie so als Gegengewicht gegen die Pro-Osmanischen Sunniten aufzubauen. Besonders in der Armee nahmen sie nun eine führende Stellung ein. Dies war etwas was von den Sunniten, die das Land nach dem Ende der französischen Mandatszeit 1946 wieder dominierten nicht zur Genüge in Betracht gezogen wurde. Sie vertreiben die Alawiten zwar aus der Regierung, und dem Öffentlichen Dienst, jedoch nicht aus den Streitkräften. Die Alewiten (die wiederum in vier rivalisierende Clans gespalten sind) fanden sich zum Großteil in der 1947 gegründeten Baath-Partei wieder. Mit ihrer säkularen „Arabisch-sozialistischen“ Ideologie spaltete sie die Sunniten und richtete sich vorwiegend an die Alewiten. Die Baathpartei beendete zwar nicht die Rivalitäten unter den Alewiten, wurde jedoch zu einem wichtigen politischen Instrument. Nach einer Reihe von Militärputschen war die Baathpartei bis 1963 an der Macht. 1970 sicherte der unblutige Staatsstreich des Verteidigungsministers Hafez al Assad (Vater des gegenwärtigen Präsidenten Bashar al Assad) nicht nur die Macht der Baathisten sondern vereinigte auch die alawitischen Clans. Dies war der Grundstein des Regimes, welches sich durch Gefälligkeiten an andere religiöse Minderheiten und einige sorgfältig ausgewählte Sunniten eine ausreichende Machtbasis sicherte.

Das Regime hat eine Reihe von Krisen überstanden (der Mord an dem libanesischen Präsidenten Hariri, der Rückzug aus dem Libanon 2005, der schon erwähnte Aufstand in Hama usw.) aber die größte Krise für das Regime war der Tod von Hafez al-Assad im Jahr 2000. Dies führte zum Machantritt des angehenden Augenarztes Bashar al Assad. Assad musste die von ihm angestrebte Karriere als Arzt aufgeben als sein älterer Bruder 1994 starb. Er wurde hastig in der Armee zum Obersten ausgebildet. Als sein Vater schließlich starb, musste die Verfassung geändert werden da er erst 34 war und man erst mit 40 Präsident werden kann. So konnte die alte Garde der Baathisten, die alawitische Elite und natürlich besonders die Familie Assad die Fäden in der Hand behalten. Während seine Onkel, Cousins und jüngeren Brüder Armee und Geheimdienste kontrollieren, werden die wichtigsten Sektoren der Wirtschaft von der Familie seiner Mutter, den Makhloufs kontrolliert. Unnötig zu erwähnen, dass die Korruption wie auch in Ägypten und Tunesien auf jeder Ebene des Staates floriert, und die Geheimdienste überall sind.

Jisr al-Sughour

Das es Syrien im Unterschied zu Gaddafi nicht an internationalen Verbündeten fehlt, ist das Assad-Regime noch nicht in einer aussichtslosen Lage. Eines seiner Schwächen mag sein, dass die Elitetruppen der syrischen Armee aus Alewiten bestehen (ca. 200. 000) während die Masse der normalen wehrpflichtigen Sunniten sind (ca. 300 000). In der gegenwärtigen Repressionswelle werden die größten Schlächtereien von Truppenteilen anderer Minderheiten (Kurden, Drusen etc.) begangen, aber die Nachrichten aus der Stadt Jisr al Sughor lassen vermuten, dass es erste Spaltungstendenzen in der Armee gibt. Die Nachrichtenlage ist sehr unübersichtlich und vieles sind nicht bestätigte Informationen. Die Regierung behauptet, dass 120 Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet worden seien, was nahelegt dass es zu einer größeren Konfrontation gekommen sein muss. Auch wenn dies unbestätigt ist und sich schwer verifizieren lässt, liegt auf der Hand das weitere Massaker in Vorbereitung sind. 30 000 Regierungssoldaten sollen die Stadt eingekreist und die Felder der umliegenden Umgebung abgebrannt haben. Alle die fliehen konnten haben sich in das Grenzgebiet zur Türkei oder in syrische Küstenstädte abgesetzt. Einige vermuten dass Jisr al Sughor eine Geisterstadt ist und nur jene geblieben sind die “zu arm“ waren um die Flucht zu wagen. Als Vorspiel auf das zu erwartende Massaker der Regierungstruppen ist die Wasser-und Elektrizitätsversorgen abgeschnitten worden. Ein Hauch von Hama 1982 liegt in der Luft.

Soweit zu einer Situation in der eine Bewegung unbewaffneter Zivilisten „demokratische Rechte“ fordert, während die „demokratische Welt“ tatenlos zuschaut. Dies zeigt nicht nur die Bestialität des Assad-Regimes sondern den Bankrott des Kapitalismus. Die große Tragödie besteht darin, dass die Menschen in Syrien und der restlichen arabischen Welt die für „Demokratie“ demonstrieren und sterben zu ihrem eigenen Schaden lernen müssen, dass bürgerliche Demokratie nur ein Synonym für weitere Ausbeutung und Unterdrückung ist. Sie werden diese bitte Lehre ziehen müssen - wenn man sie denn auch lässt…

Jock, 2011-06-13