Riots in Großbritannien: Das Ergebnis von über vierzig Jahren kapitalistischer Krise

Während die Aktienmärkte abstürzten und Panik die Eurozone erschütterte, feierte sich die britische herrschende Klasse dafür, dass London für die nächsten Olympischen Spiele bestens vorbereitet sei. Dann gingen wie bei einer unvorhergesehenen Naturkatastrophe die Bezirke Tottenham, Enfield, Brixton und Walthamstow in Flammen auf. Mittlerweile musste Premierminister Cameron seine Villa in Italien verlassen und in eine Stadt zurückkehren, die mit ausgebrannten und geplünderten Straßenzügen einem Kriegsschauplatz gleicht.

Der Funke, der die Riots auslöste, war der Tod des 29jährigen Marc Duggan. Er wurde aus seinem Auto gezerrt und in einem Kampf mit der Polizei anscheinend durch zwei Schüsse aus nächster Nähre getötet. Die Polizei erklärte, dass die Beamten in Notwehr handelten, um ihrerseits nicht von Marc Duggan erschossen zu werden. Dies stimmt wiederum nicht mit Berichten überein, nach denen die Kugel, mit der Marc Duggan angeblich geschossen haben soll, ein übliches Polizeikaliber ist. Wieder einmal spielt die Polizei ihr übliches Spiel der Verschleierung. Nach Marc Duggans Tod organisierte seine Familie einen Protest vor der Polizeiwache und verlangte ein Gespräch mit dem für die Untersuchung der Schießerei zuständigen Beamten. Sie plante die Mahnwache nach einer Stunde wieder aufzulösen. Doch weit davon entfernt Rede und Antwort zu stehen, weigerte sich die Polizei die Familie zu empfangen. Stattdessen wurde mit Schlagstöcken gegen die Menge vorgegangen, wobei ein 16jähriges Mädchen verletzt wurde. Der Protest wandelte sich in Wut. Zwei leere Polizeiautos wurden mit Steinen beworfen. Daraufhin startete die Polizei einen regelrechten Angriff auf die Versammlung. Bis jetzt sind die genauen Umstände, die die Riots auslösten, kaum ein Thema. Faktisch sind die Riots jedoch Anzeichen eines fortschreitenden sozialen Verfalls, wie er für den Kapitalismus auch in seinen „demokratischen“ und „fortgeschrittenen Metropolen“ typisch ist.

Big Society - wenig Chancen für ein menschenwürdiges Leben

Für die Politiker von Labour und ihre linken Anhängern ist es nun leicht die gegenwärtigen Kürzungsmaßnahmen der Regierung für die Riots verantwortlich zu machen. Nahezu jeder weiß (einige Millionäre sowie Cameron und seine Mannschaft vielleicht ausgenommen), dass die Frustration und Wut sich seit Jahren aufgestaut hatte. Immer mehr Jugendliche sind von der Arbeitswelt so gut wie ausgeschlossen. Die Kürzungsmaßnahmen der konservativ-liberalen Koalition haben die Kluft zwischen Arm und Reich zweifellos weiter vertieft. Diese Kluft kann nicht einfach mit einigen neuen von der Regierung gestifteten Billiardtischen in Jugendzentren überbrückt werden. Ebenso wenig wird Labour eine ernsthafte Lösung für die Probleme anbieten. Die Rolle, die die Labour Party bei der Einführung eines flexiblen Billiglohnsektors gespielt hat, sollte nicht vergessen werden. Dasselbe gilt für die von der Labour-Regierung (1997-2010) durchgesetzten einschneidenden Kürzungen von Sozialleistungen, die allesamt von den Gewerkschaften gebilligt wurden. Doch die Wurzeln der gegenwärtigen Misere gehen noch weit vor die Zeit der letzten Labour-Regierung zurück. Auf den ersten Blick erscheinen die gegenwärtigen Aufstände wie eine Wiederholung der Riots in den 80er-Jahren. Diese entzündeten sich an der rassistischen Diskriminierung, der Arbeitslosigkeit, der sozialen Verelendung und fortschreitender Polizeigewalt. All diese Faktoren spielen auch heute eine Rolle. (So schikaniert die Londoner Polizei unter dem Vorwand des illegalen Waffenbesitzes systematisch schwarze Jugendliche). Doch die gegenwärtigen Unruhen spielen sich vor dem Hintergrund einer über vierzig Jahre andauernden kapitalistischen Krise ab, die das soziale Gefüge an den Rand der Erosion getrieben hat. Ganze Generationen von ArbeiterInnen kennen nichts anderes als Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung. Der wachsende Teil der Langzeitarbeitslosen (die sog. „Neuen Unterschichten“) müssen in einer immer härteren und gewalttätigen Umgebung um das tägliche Überleben kämpfen. Messerstechereien und Schießereien sind nur ein Teil dieser alltäglichen Realität. Das Leben am unteren Rand der kapitalistischen Gesellschaft ist nur rein Spiegelbild des Lebens an der Spitze: Jeder ist auf sich selbst gestellt in einem gnadenlosen Kampf ums Überleben und im Streben nach Geld und materiellem Wohlstand, den einzigen Symbolen für Erfolg in dieser Gesellschaft.

Nach den Straßenkämpfen in den 80er-Jahren setzte der Staat auf „Multikulti“.

Staatsgelder flossen in die schwarzen oder asiatischen Viertel um allerlei Kosmetik wie Jugendzentren, Sprachkurse oder im Falle der muslimischen Viertel Religionsunterricht in Moscheen zu finanzieren. Dahinter steckte die Idee die Ghettos zu separieren und ruhig zu halten. Die Kriege in Afghanistan und im Irak und die sich verschärfende Krise haben diesen Projekten den Garaus gemacht. In dem Maße, wie sich die Krise zuspitzt, besteht die einzige Möglichkeit, die wachsende soziale Ausgrenzung im Griff zu halten, in der verschärften Repression des bürgerlichen Staates. Mittlerweile läuft jede/r, der oder die gegen willkürliche Verhaftungen, Studiengebühren, Rentenkürzungen, Sozialabbau oder auch nur gegen eine verkommene Monarchie protestiert, Gefahr, festgenommen, verprügelt oder zum Opfer einer morgendlichen Razzia zu werden. Kürzlich rief die Metroplolitan Police dazu auf, jede/n, der im Verdacht stehe AnarchistIn zu sein, der Polizei zu melden. Um im Mai dieses Jahres den ungestörten Ablauf der pompösen königlichen Hochzeit zu garantieren, wurden Hunderte GegnerInnen der Monarchie vorsorglich in Gewahrsam genommen. Im zunehmenden Maße ist eine derartige Repression die einzige Antwort, die die Bourgeoisie geben kann - selbst unter angeblich „demokratischen“ Verhältnissen.

Die Kommunistische Perspektive

Während die rechte Presse die Riots schnell als das Werk von Halbstarken verurteilte, waren Labour und die Linke des Kapitals vorsichtiger der Jugend die ganze Schuld zuzuschieben. Der Labour-Abgeordnete Davis Lammy kommentierte die Ausschreitungen als erster. Er verurteilte die Gewalt, die angeblich nur die eigene Community träfe und rief wie üblich zur Ruhe auf. Die britische SWP erwies sich in ihrer Reaktion wieder einmal als Anhängsel der Labour-Party. Zwar benannte sie die sozialen und ökonomischen Ursachen der Riots, um dann als Lösung so etwas wie eine Rechenschaftspflicht der Polizei zu fordern. Als ob die Reform der Polizei eine Aufgabe für eine „revolutionäre Organisation“ sei, die nach eigener Aussage für die Überwindung des Kapitalismus eintritt. Die Polizei ist integraler Teil der kapitalistischen Staatsmaschine. Ihre Aufgabe besteht in der Verteidigung der bürgerlichen Gesetzlichkeit, also das „Recht“ der Kapitalisten Profite zu machen, bzw. Mehrwert aus den ArbeiterInnen zu pressen zu verteidigen. Es kann für KommunistInnen nicht darum gehen die Riots zu verurteilen. Sie sind Zeichen der kapitalistischen Krise und des Zerfalls. Gleichzeitig romantisieren wir die Riots nicht als effektive Kampfform gegen die kapitalistische Ausbeutung. Gegenwärtig scheint sich die Wut der Menge gegen Filialen von Markenketten zu richten, die aufgebrochen werden, um dann mitzunehmen was irgendwie geht. Diese Form der „Expropriation” ist sehr weit von einer emanzipatorischen Praxis entfernt. Sie reflektiert lediglich die bürgerliche Ideologie nach der der Stärkste am meisten bekommt. Solange sich der Kapitalismus in einer Abwärtsspirale befindet, in der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer und damit sozial immer weiter ausgegrenzt werden, werden sich derartige Explosionen häufen. Die Wiederbelebung einer wirklich emanzipatorischen Bewegung der Arbeiterklasse gegen die fortschreitende Barbarei des kapitalistischen Systems ist heute notwendiger denn je. In einer solchen kollektiven Bewegung werden die ArbeiterInnen verstehen, warum sie gegen die Kräfte der Repression kämpfen müssen: Für nicht mehr und nicht weniger als die Überwindung der alten Ordnung und eine Welt, die nicht auf dem Profit einiger weniger basiert, sondern in der für die Befriedigung der Bedürfnisse aller produziert wird. Statt bürgerlicher Parlamente, die lediglich die Macht des Geldes und Profits verschleiern, wird eine revolutionäre ArbeiterInnenbewegung Räte bilden, deren Delegierte ihren WählerInnen jederzeit rechenschaftspflichtig und abwählbar sind. All dies mit dem Ziel der Entwicklung einer kommunistischen Produktionsweise, die auf die Interessen und Bedürfnisse aller ArbeiterInnen ausgerichtet ist. Kurz gesagt: Erst wenn die ArbeiterInnenklasse beginnt zu verstehen, dass es eine Alternative zum Kapitalismus gibt, und den politischen Kampf aufnimmt, werden auch all jene, die in dieser Gesellschaft nichts zu verlieren haben, jene, die von den „Eastenders“ nicht begeistert sind und jene, die von keiner Religion an diese Welt gekettet werden, den Ausbruch aus den bestehenden Verhältnissen wagen.

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Morgen um 12 Uhr findet auf dem Herrmannplatz Berlin-Neukölln eine Solidaritätsveranstaltung für die proletarischen britischen Jugendlichen statt. Beteiligt Euch daran und an der Debatte in Facebook:

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