Onorato Damen - Lebensweg eines Internationalisten

Leben und Wirken Onorato Damens sind hierzulande weitgehend unbekannt. Gleichwohl war er einer der agilsten und innovativsten Figuren in der Geschichte der Kommunistischen Linken. Am 4.Dezember 1893 in Monte San Pietroangeli (Ascoli Piceno) geboren, tritt Onorato Damen schon als Jugendlicher der Sozialistischen Partei (PSI) bei und beteiligt sich am Kampf des linken Flügels gegen die Politik Turatis. Gerade einmal 20 Jahre alt wird er nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Unteroffizier zur Armee eingezogen. Onorato Damen setzt seine antimilitaristischen Aktivitäten in der Armee fort, wird deswegen degradiert und schließlich von einem Militärgericht wegen „Aufruf zur Desertion” und der „Bedrohung der öffentlichen Ordnung“ zu zwei Jahren Haft verurteilt. 1919 wird er schließlich freigelassen und arbeitet für die sozialistische Regionalzeitung von Fermo “La Lotta”. Während der „bienno rosso“ (der zwei roten Jahre 1920-21), einer Periode verschärfter politischer und sozialer Kämpfe, ist Damen in Bologna in der Gewerkschaftsarbeit aktiv. Er unterstützt die linke “Absentionistische Kommunistische Fraktion” der PSI um Amadeo Bordiga und wird nach deren auf dem Kongress von Livorno vollzogenen Trennung vom reformistischen Flügel Mitglied der neu gegründeten Kommunistischen Partei Italiens. In den Monaten nach der Spaltung der PSI arbeitet er als Sekretär der Arbeitskammer (Camera del Lavoro) in Pistoia und ist Herausgeber der kommunistischen Zeitschrift L´Avvenire. Er hat regen Anteil an der Organisation der Propagandakampagnen der PCd’I und wird im Februar 1921 aufgrund einer Rede auf der Piazza Garibaldi in Pistoia wegen Anstachelung zur Gewalt angeklagt.

Im Fadenkreuz der Faschisten

Angesichts seiner regen politischen Aktivitäten ist er eines der Hauptziele der faschistischen Reaktion in der Toskana. Am 10. Mai 1921 wird er auf dem Rückweg von einer Wahlveranstaltung der PCd`I in Corbezzi von Faschisten festgenommen. Nach ersten Misshandlungen bringen sie ihn in ihr Hauptquartier in Florenz. Ihr erklärtes Ziel besteht darin, ihn für die Dauer der Wahlkampagne aus dem Verkehr zu ziehen. Nach einem Protest-und Solidaritätsstreik von ArbeiterInnen muss er jedoch kurz darauf wieder freigelassen werden. Damen stellt seine Kontakte zur Partei wieder her und entschließt sich gegen den Rat vieler Genossen nach Pistoia zurückzukehren um seine Agitation fortzusetzen. Wenige Zeit später stößt er in Begeleitung einer Eskorte bewaffneter GenossInnen auf eine Gruppe von Faschisten. Es kommt zu einem Schusswechsel, in dessen Verlauf ein Faschist getötet und zwei weitere verwundet werden. Damen wird in Abwesenheit zu drei Jahren Haft verurteilt. Aufgrund dieses Vorfalls und seiner drohenden Inhaftierung beschließt die Parteiführung ihn ins Exil nach Frankreich zu schicken. Dort übt er als Mitglied des „politischen Büros“ der PCd’I wichtige politische und repräsentative Funktionen aus. Er koordiniert die Aktivitäten der exilierten italienischen KommunistInnen und ist Herausgeber der italienischen Ausgabe der L`Humanité. Nach einigen Jahren Exil beschließt Damen zur Parteiarbeit nach Italien zurückzukehren und wird von der PCd’I als Kandidat für die Wahlen aufgestellt. Trotz einer heftigen Gegenkampagne der Faschisten wird er als Abgeordneter des Distrikts Florenz gewählt.

Der Kampf gegen den Stalinismus

Währenddessen spitzt sich innerhalb der Partei der Konflikt zwischen der Linken und dem von Moskau unterstützten Flügel um Gramsci und Toglaitti immer mehr zu. Als scharfer Kritiker der Politik Gramscis und Togliattis und der daraus resultierenden Bürokratisierung der Partei ist Damen in dieser Zeit ein wichtiger Exponent der Parteilinken. Gleichzeitig ist er jedoch auch mit der passiven und zögerlichen Haltung Amadeo Bordigas äußerst unzufrieden. Der Apparat um Gramsci und Togliatti kennt hingegen keine Skrupel. Der Kampf gegen die linkskommunistische Opposition wird mit äußerst bürokratischen Methoden geführt, und insbesondere Togliatti versucht mit allerlei bürokratischen Manövern die starke Stellung Onorato Damens in der Parteiorganisation von Florenz zu untergraben.

1925 ruft Damen mit anderen GenossInnen des linken Flügels die sog. “Comitati di Intesa” (Komitees der Zusammenarbeit) ins Leben, eine Oppositionsplattform, die es sich zum Ziel setzt, die Positionen der Linken und damit die politischen Grundlagen der PCd’I gegen den Stalinismus zu verteidigen.

In faschistischen Knästen

Doch die faschistische Reaktion schläft nicht. Im November 1926 wird Damen festgenommen und auf Ustica inhaftiert. Noch im Dezember desselben Jahres wird er nach Florenz verlegt und wegen “kommunistischer Verschwörung gegen den Staat” angeklagt. Ein Sondertribunal verurteilt ihn zu 12 Jahren Gefängnis. Es folgt eine Odyssee durch die faschistischen Knäste in Saluzzo, Pallanza, Civitavecchia (wo er eine Gefangenenrevolte anführt) und Pianosa. Damen versucht nach Möglichkeiten seine politischen Aktivitäten im Gefängnis fortzusetzen. Er organisiert Diskussionsrunden und politische Schulungen unter den Mitgefangenen. 1929 wird er als Angehöriger der Linken Opposition aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, die nun vollständig in die Hände der stalinistischen Konterrevolution übergegangen ist. Im Rahmen einer Amnestie kommt er 1933 für kurze Zeit frei, und wird nach Mailand geschickt, wo er unter strengster Überwachung lebt. Der Gefängnisdirektor von Pianosa teilt der zentralen Gefängnisverwaltung mit, dass die “verbüßte Strafe keinen moralische Wirkung” auf ihn ausgeübt hätte. Er sei ein “unerschütterlicher Kommunist”. Ende 1935 wird er erneut verhaftet. Die Polizei verdächtigt ihn, “Propaganda der internationalen Linksopposition gegen die Politik der Komintern” und das Vorgehen der Stalinisten in Spanien verbreitet zu haben. Damen erlebt den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Gefängnis, im quasi erzwungenen inneren Exil. Erst gegen Ende des Krieges kommt er nach dem Machtantritt des Regimes von Marschall Badolglio wieder frei. Bereits während seiner Haft versucht Damen seinen Verpflichtungen als kommunistischer Aktivist nachzukommen und unter großen Schwierigkeiten die politischen Verbindungen zu seinen GenossInnen aufrechtzuerhalten.

Die Neuformierung der Internationalisten: Gründung der „Partito Comunista Internazionalista“ (PCInt)

Derweil beginnen sich die Aktivisten der Kommunistischen Linken zu reorganisieren. Sie verbreiten internationalistische Flugblätter gegen den Krieg und beginnen mit der Herausgabe der illegalen Zeitschrift “Prometeo”, die Faschisten wie Stalinisten gleichermaßen eine Dorn im Auge ist. In einem eigens für Mussolini verfassten Bericht der faschistischen Geheimpolizei heißt es über das Organ der InternationalistInnen:

Es ist die einzige unabhängige Zeitung. Ideologisch am interessantesten und am besten vorbereitet. Gegen jeden Kompromiss, verteidigt einen reinen Kommunismus, zweifelsohne trotzkistisch und damit antistalinistisch (…) erklärt ohne Zögern ihre Gegnerschaft gegenüber dem Russland Stalins, während sie gleichzeitig treuer Kämpfer des Russlands Lenins sein will (…) bekämpft den Krieg in all seinen Aspekten, ob demokratisch, faschistisch oder stalinistisch. Kämpft sogar offen gegen die Partisanen, das Nationale Befreiungskomitee und die italienische Kommunistische Partei.

1943 ergreifen die linken KommunistInnen unter dem Eindruck einer gewaltigen Streikwelle die Initiative zur Gründung der “Partito Comunista Internazionalista”. Der Name der Partei ist zugleich ihr Programm. Anknüpfend an den internationalistischen Traditionen der Zimmerwalder Linken, der Bolschewiki und anderer revolutionärer Fraktionen führt sie einen entschiedenen Kampf gegen die Klassenkollaboration und den Nationalismus der stalinistischen KP. Von Anfang an vertritt die PCInt einen kompromisslosen revolutionären Defätismus:

Gegen die Losung des nationalen Krieges, die die italienischen gegen die deutschen und englischen Proletarier in Stellung bringt, setzen wir die Losung der kommunistischen Revolution, die die Arbeiter der ganzen Welt gegen ihren gemeinsamen Feind, den Kapitalismus vereint.

Prometeo vom 1.11. 1943

Die PCInt interveniert aktiv in den Streikkämpfen und versucht unter großen Anstrengungen, ArbeiterInnen, die sich den Partisanen angeschlossen haben, für eine klassenkämpferische internationalistische Perspektive zurückzugewinnen:

Dem Aufruf des Zentrismus (gemeint sind die Stalinisten) sich den Partisanenverbänden anzuschließen, müssen wir entgegentreten, indem wir in den Fabriken präsent sind, wo einst jene Klassengewalt entstehen wird, die den Lebensnerv des kapitalistischen Staates zerstören wird.

Prometeo 4. 3.1943

Die Stalinisten reagieren auf diese Aktivitäten der InternationalistInnen mit den üblichen Hetzkampagnen und nackter Gewalt. Auf direkte Anordnung Togliattis werden die PCInt-Aktivisten Fausto Atti und Mario Acquviva von stalinistischen Schergen ermordet. Ab 1945 setzt die KP um Togliatti alle Hebel in Bewegung um die Streikbewegungen in geordnetete bürgerliche Bahnen zu lenken, um somit den “nationalen Wiederaufbau” in die Wege zu leiten. In diesem Kontext setzt sie sich für „nationale Versöhnung“ und sogar die Freilassung und Unversehrtheit von Faschisten ein. Gleichzeitig ist sich Togliatti jedoch nicht zu schade, dem Comitato Liberazione Nazionale (Nationalen Komitee der Befreiung) eine Liste mit den Namen von Anführern der PCInt vorzulegen, die als “Agenten” Deutschlands zum Tode verurteilt werden müssten. Onorato Damen ist dem Stalinistenchef natürlich kein Unbekannter, und so ist es kein Zufall, dass sein Name ganz oben auf der Liste steht. Doch derartige Verleumdungen und Manöver können die PCInt weder zerstören noch aufhalten. Die PCInt publiziert mittlerweile die Zeitschrift Battaglia Comunista und kann durch Agitation und aktive Intervention in den Betrieben zeitweise Tausende von ArbeiteraktivstInnen um sich gruppieren. Onorato Damen nimmt regen Anteil an den Aktivitäten der PCInt. Er ist Herausgeber der theoretischen Zeitschrift „Prometeo“ und spielt eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung programmatischer Texte. Gleichzeitig initiiert er die Herausgabe wichtiger Texte Rosa Luxemburgs.

Die Trennung von Bordiga

Das Abflauen der Streikwelle und die Konsolidierung er bürgerlichen Republik setzen jedoch einer revolutionären Organisation wie der PCInt Grenzen. Gleichzeitig treten alte Differenzen der Linksfraktion wieder zutage. Insbesondere Amadeo Bordiga trägt wesentlich dazu bei, diese Konfusionen zu verstärken. Bordiga, der sich während der Periode des Faschismus weitestgehend aus der politischen Aktivität zurückgezogen hatte, wird nie formelles Mitleid der PCInt. Allerdings steuert er gelegentlich Artikel zur Parteipresse bei. Mit Unterstützung von Vercesi, Maffi und anderen gelingt es ihm 1952 schließlich die PCInt zu spalten. Die methodologischen und politischen Gründe, die dieser Spaltung zugrunde lagen, haben wir bereits an anderer Stelle kurz skizziert:

Die Charakterisierung des Imperialismus: Bordigas Gruppe bestand darauf, dass in einigen „rückschrittlichen“ Gebieten der Welt der nationale Kampf Teil der, wie Bordiga es nannte, antiimperialistischen Bewegung der „farbigen Völker“ sei.
Die Gewerkschaftsfrage: Bordiga bestand darauf, dass man nur durch Einfluss in den Gewerkschaften auch Einfluss auf die Arbeiterklasse haben könnte.
Das Verhältnis zwischen Partei und Klasse: Bordiga (der ein anderer Bordiga als in den 20er Jahren war) vertrat die Position, dass man nicht von einer Klasse sprechen könne, wenn keine politische Partei existiere. Mit dem Argument, dass die Partei die Klasse voraussetzt, wurde Marxens Unterscheidung zwischen „Klasse an sich“ und „Klasse für sich“ faktisch über den Haufen geworfen. Die logische Schlussfolgerung dieser Sichtweise ist, dass die Partei die Revolution alleine bzw. stellvertretend für die Klasse mache.
Die Einschätzung des Stalinismus: Bordiga weigerte sich die UdSSR als staatskapitalistisches Gebilde anzusehen. Gleichzeitig hatte er jedoch keine klare Position, um was für eine Gesellschaftsform es sich sonst handeln soll. Faktisch entwickelte er im Laufe seines Lebens zu diesem Problem verschieden Positionen.
Die Frage der sog. „historischen Invarianz“: Die letzte Verzerrung des Marxismus stellte Bordigas Behauptung dar, dass das kommunistische Programm seit 1848 invariant, d.h. faktisch unveränderliche Gültigkeit habe. Eine Theorie, die nahezu alle Erfahrunge,n die das Proletariat in seinem langen Emanzipationskampf gesammelt hat, über den Haufen wirft und im starken Kontrast zur Methode von Marx und Engels steht, die ihre Vorhersagen und Positionen im Lichte der proletarischen Erfahrung stets weiterentwickelten und korrigierten (1).

Die von Bordiga ins Leben gerufene Gruppe „Programma Comunista“ spaltet sich im weiteren Verlauf mehrere Male. Jede dieser Abspaltungen nimmt für sich in Anspruch die einzig wirkliche Klassenpartei zu sein. Von all diesen „bordigistischen“ Gruppen unterscheidet sich die PCInt durch folgende maßgeblich von Onorato Damen ausgearbeiteten Grundsatzpositionen, die für uns heute noch Gültigkeit haben:

"1) Rosa Luxemburg und nicht Lenin hat in der nationalen Frage Recht behalten._

2) Die alten Kommunistischen Parteien sind keine zentristischen Formationen sondern bürgerliche Apparate.
3) Es gibt keine Perspektive die Gewerkschaften im proletarischen Sinne wieder zu erobern. Neue Strategien des Klassenkampfes sind notwenig, um die täglichen Kämpfe der Klasse mit dem umfassenderen Kampf für den Kommunismus zu verbinden.
4) Die UdSSR (und andere stalinistische Staaten) sind staatskapitalistische Länder.
5) Die Partei kann und darf die Aktion der Klasse nicht ersetzen, bzw. stellvertretend für sie handeln: “Die Kommunistische Partei kann nicht die Macht übernehmen und sie im Namen des Proletariats ausüben, weil das Proletariat seine historische Mission an keinen noch so mächtigen Bevollmächtigten delegieren kann, nicht einmal an seine politische Partei." (Thesen der Tendenz um Onorato Damen auf dem Kongress des PCInt 1952)

Internationale Perspektive

Wie andere revolutionäre Gruppen verliert auch die PCInt im Zuge des Nachkriegsbooms einen Großteil ihrer Mitglieder. Onorato Damen bleibt in dieser schwierigen Periode weiterhin aktiv und trägt mit dazu bei, dass sich die PCInt nicht nur (wenn auch in bescheidenem Maße) organisatorisch konsolidieren, sondern auch theoretisch weiterentwickeln kann. 1979 wird er im Alter von 86 Jahren aus dem Leben und, was für ihn wohl dasselbe war, aus der politischen Aktivität gerissen. Einer seiner größten Verdienste besteht wohl darin als einer der ersten die politischen Implikationen des Endes des Nachkriegsbooms begriffen und damit gleichzeitig eine internationale politische Neuorientierung der PCInt mit in die Wege geleitet zu haben. Durch das Aufkommen neuer Kämpfe und das Entstehen neuer kommunistischer Gruppen wird die PCInt ermutigt auf internationaler Ebene neue politische Initiativen zu ergreifen. 1977 organisiert die PCInt die erste Konferenz der Kommunistischen Linken, der weitere folgen werden. Daraus entwickelt sich u.a. eine intensive Diskussion und Zusammenarbeit mit der britischen Gruppe “Communist Worker`s Organisation”. 1983 bilden PCInt und CWO das „Internationale Büro für die revolutionäre Partei“ (IBRP), um so einen substantiellen Schritt in der Diskussion und Umgruppierung der RevolutionärInnen zu machen. In Anbetracht neuer Elemente und Organisationskerne in mehreren Ländern geht aus dem IBRP 2009 die „Internationalistische Kommunistischen Tendenz“ hervor, deren deutsche Sektion die GIS ist.

Zum Weiterlesen:

Bordiga, „Bordigismus“ und die Italienische Kommunistische Linke

Die Italienische Kommunistische Linke – Ein kurzer Abriss über ihre Entstehung und Entwicklung

25 Jahre IBRP: Ergebnisse und Perspektiven

Das IBRP wird zur „Internationalistischen Kommunistischen Tendenz“

(1) Siehe dazu unseren Text „Die Italienische Kommunistische Linke- Ein kurzer Abriss über ihre Entstehung und Entwicklung“