Frankreich: Ein neuer Angriff auf die ArbeiterInnenklasse!

In den letzten Monaten haben die französischen ArbeiterInnen mit Streiks, Straßendemonstrationen und Versammlungen gegen das neue Arbeitsgesetz protestiert. In Hinblick auf das sog. „El Khomri-Gesetz“ (benannt nach der Arbeitsministerin Myriam El Khomri) besonders bemerkenswert, ist weniger der Inhalt als die Reaktionen, die es bei weiten Teilen der ArbeiterInnenklasse und der sog. Zivilgesellschaft, also den StudentInnen und weiten Teilen des zerfallenden Kleinbürgertums im Verlauf der nächtlichen „Nuit debout“ Meetings hervorgerufen hat. Auch wenn alles aus einer politischen Initiative des radikalen Reformismus ausging (Trotzkismus, recycelter Stalinismus, Globalisierungskritiker, Attac, Pazifismus) und daher von den typischen Illusionen dieses Spektrums überlagert war, kann sie nicht als Ergebnis von Manövern von im Hintergrund operierenden Reformisten abgetan werden.“ Nuit debout“ ist wie die Bewegungen der Platzbesetzungen (Tahir, Taksim) die in den letzten Jahren aufgetaucht sind (Griechenland, Arabischer Frühling, spanischer Staat) trotz der Konfusionen und enormen politischen Schwächen ganz klar ein Ausdruck der tiefen sozialen Misere. Ihr liegt eine instinktive Ablehnung der Funktionsweise der Gesellschaft zugrunde. Sie spiegelt die neue Klassenzusammensetzung wieder, die sich in den Jahrzehnten der Krise und Umstrukturierungen herausgebildet hat. Es ist eine Vermischung von ArbeiterInnen der traditionellen verarbeitenden Industrie mit jenen die im Dienstleistungssektor arbeiten sei es nun in Supermärkten oder im Hightech- Bereich. Neben der Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung, die die Arbeitsbedingungen durch befristete – oder sog. Zero-Hour-Verträge immer prekärer macht, erleben wir auch die Proletarisierung dessen, was einst als „Berufsleben“ galt und ein massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen. Alle haben in den letzten Jahren und besonders im letzten Jahrzehnt eine massive Verschlechterung ihrer Lebens-und Arbeitsbedingungen erlebt. Für diese neue proletarische Generation ist es weitaus schwieriger zu kämpfen, da sie in fragmentierten Klitschen arbeiten, unterbezahlt und ständig der Drohung mit Entlassung ausgesetzt sind. Diese durch die Veränderungen der gesamten Wirtschaftsstruktur hervorgerufene neue soziale Zusammensetzung führt dazu, dass sich Ärger und Unzufriedenheit auf den Straßen und Plätzen ausdrückt. Das soll nicht bedeuten, dass der Kampf am Arbeitsplatz zweitrangig geworden sei, oder seine zentrale strategische Rolle im revolutionären Klassenkampf eingebüßt hätte. Das Lebenselixier des Kapitals, die Auspressung von Mehrwert findet nach wie vor am Arbeitsplatz statt. Faktisch resultieren die politischen Konfusionen in den Bewegungen auf den Straßen und Plätzen aus dem Umstand, dass sich viele Proletarisierte dessen nicht bewusst sind. Es ist diese objektive Bedingung der Fragmentierung unserer Klasse und das Fehlens eines revolutionären Bezugspunktes der ArbeiterInnenklasse, die eine Wiederbelebung des Antikapitalismus so schwierig macht.

Die zahlreichen Veränderung in der Organisation der Produktion (und Distribution), der rasende Angriff der Bourgeoisie auf die „alte“ und „neue“ ArbeiterInnenklasse liefen parallel zu einer ideologischen Kampagnen, die darauf abzielte den Zusammenbruch der ehemaligen UdSSR, die nichts mit Sozialismus zu tun hatte, als Ende aller Hoffnungen einer besseren Welt im Namen des Kommunismus darzustellen. Die UdSSR war wie das heutige China lediglich eine Form des Staatskapitalismus. Als Folge haben die „neuen“ ProletarierInnen Schwierigkeiten sich selbst als Klasse wahrzunehmen. Anstatt ihre mit dem Kapitalismus unvereinbaren Interessen gegen diese Gesellschaft zu stellen, eine Gesellschaft die nicht reformiert sondern nur zerstört werden kann, lehnen sie sich nur gegen Teilaspekte der bürgerlichen Gesellschaft (Dominanz des Finanzwesens, verschiedene Formen der „sozialen Ungerechtigkeit“ , Gender, Umweltzerstörung, Kriege etc.) auf.

All dies zeigt die Notwendigkeit eines politischen Bezugspunktes, einer revolutionären Partei, die in der Lage ist, an der Unzufriedenheit anzuknüpfen und die Perspektive der Überwindung des Kapitalismus zu entwickeln. Ohne eine solche Kraft wird jeder Ausdruck des Protestes und der sozialen Revolte unweigerlich vom System absorbiert und niedergeschlagen.

Faktisch unterscheidet sich das „Arbeitsgesetz“ in seiner Substanz und Ausrichtung kaum von den Maßnahmen, die die Regierungen verschiedener Couleur anderswo in Europa (um auf dem alten Kontinent zu bleiben) in den letzten Vierteljahrhundert durchgesetzt haben. Es zielt natürlich in erster Linie auf die „Flexibilisierung“ der Arbeitskraft, mehr „Produktivität“ für private und staatliche Unternehmen, um aller Hindernisse zur Auspressung von Mehrwert so weit wie möglich zu eliminieren. Oder anders gesagt: Die Gesetze aus früheren Zeiten, die die Ausbeutung der ArbeiterInnen gewisse Grenzen setzten, bzw. „regulierten“, sind im gegenwärtigen Kapitalismus nicht mehr angemessen. Die globale Krise des globalen Wirtschaftssystems macht die Bosse „aggressiver“, zwingt sie dazu, Druck auf ihre Regierungen auszuüben alles zu beseitigen was der Auspressung von Mehrwert und der Realisierung eine „fairen Profits“ entgegensteht. Damit meinen sie einen Profit der der organischen Zusammensetzung des Kapitals angemessen ist, um die notwendigen Investitionen zu tätigen, um den Akkumulationsprozess am Laufen zu halten und den unstillbaren Hunger nach abnormalen Finanzspekulationen zu stillen. Diese verschlingt nicht nur einen großen Teil des von der ArbeiterInnenklasse produzierten Reichtums sondern stellt auch eine Hypothek für die Zukunft dar.

Kurz gesagt liegt dem Krieg der Bourgeoisie gegen die ArbeiterInnenklasse nicht nur soziale Faktoren sondern eine der schwersten Krisen des Kapitalismus zugrunde. Die imperialistischen Kriege mit ihren tragischen Nebeneffekten wie der Flucht von Millionen unter verzweifelten Bedingungen sind „nur“ die andere Seite der Medaille.

„Welfare“ ist vorbei, es ist die Zeit für „workfare“. Anders, bzw. im Jargon der Bourgeoisie formuliert: Das Senken der direkten und indirekten Löhne muss fortgesetzt werden. Immer weniger dieser Lohnsteuern wandern in das Sozialwesen (Renten, Gesundheitsversorgung, Bildung), während mehr und mehr von den Wirtschafts-und Finanzinstitutionen der Bourgeoisie und ihren Firmen wo und wie auch immer sie operieren aufgesogen wird. Sozialleistungen für Erwerbslose die nach Ansicht der Kapitalisten wahllos und unbegrenzt verteilt werden, müssen gekürzt werden. Jemand der arbeitslos wird, muss zunächst einmal den Nachweis erbringen kein „Schnorrer“ zu sein und jeden Job annehmen egal zu welcher Bezahlung und zu welchen Arbeitszeiten. Andernfalls macht er sein Leben noch komplizierter, da er Gefahr läuft, dass ihm die Unterstützung gekürzt oder ganz gestrichen wird. Selbst die schwächsten Hindernisse gegen die überwältigende Macht des Bosses in „der Fabrik“ muss beseitigt werden. Ob eine Entlassung gerecht ist oder nicht zählt in der Sicht des bürgerlichen Rechtes nicht. Es geht darum, mit der alles beherrschende Logik des Kapitals mitzuhalten. Ein paar Peanuts reichen, um diejenigen loszuwerden, die nicht mehr für fit genug gehalten werden, ihre Arbeitskraft der selbsternannten Wertschöpfungsgemeinschaft zur Verfügung zu stellen, besonders dann wenn Kampf den trügerischen Schein dieser „Gemeinschaft“ aufgezeigt hat, die auf Ausbeutung und damit auf einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten basiert.

Tarifverträge sind heute für die Unternehmen gegenüber Betriebs-oder regionalen Vereinbarungen zweitrangig, weil diese sich flexibler in die Bedürfnisse des Unternehmens einpassen und man somit schneller auf das Auf und Ab des Marktes in Zeiten der Unsicherheit reagieren kann. Es ist leicht zu verstehen, warum besonders Kleinunternehmen (…) wo die Kontrolle des Bosses direkter und der gewerkschaftliche Organisationgrad niedrig ist (lassen wir die Einschätzung der Gewerkschaften einmal beiseite), es in vielen Fällen überhaupt keine Verträge und Vereinbarungen gibt. Dort wo diese existieren werden sie in der Regel noch schlechter sein als die nicht gerade großzügigen nationalen Verträge und Vereinbarungen. Darüber schwächt dies das Bewusstsein Teil einer Klasse zu sein, und fördert einen egoistischen und engstirnigen Korporatismus, der die Bereitschaft zur Solidarität mit anderen Arbeitern unterminiert. In früheren historischen Perioden als die Klasse weniger passiv und eher geneigt war, sich in sozialen Konflikten Gehör zu verschaffen, galten Tarifverhandlungen der Bourgeoisie noch als kleines Übel Sie sah sie zunehmend auch als nützliches Element in ihren Wirtschaftsplanungen, besonders als der Index noch nicht auf einen Fall der Profitrate hindeutete. Gleichwohl zwingen heute die Schwierigkeiten im Akkumulationsprozess und die substantielle Klassenruhe (die teilweise ein Produkt dieser Schwierigkeiten ist) das Kapital dazu den Generalangriff auf die Lebensbedingungen des Proletariats zu verschärfen. Der „Jobs Act“ in Italien, das „Loi Travail“ in Frankreich, das „Peeters Gesetz“ in Belgien, davor der Thatcherismus in Großbritannien und die Hartz Gesetze in Deutschland, um nur an einige Stationen des Leidenswegs der Arbeiterklasse zu erinnern, haben alle dieselbe Stoßrichtung.

Ähnelt der umstrittenste oder anders gesagt, unverzichtbare zentrale Punkte für die französischen Bosse, der Artikel 2 des „Loi Travail“, nicht den Gesetzen die schon Regierungen in anderen Ländern durchgesetzt haben und allerlei Ausnahmeregelung zur Verschlechterung der Bedingungen in den nationalen Verträgen vorsahen? Überall wurde Gesetz nach Gesetz der allgemeine Trend zur Verschlechterung der Lebens –und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnenklasse festgelegt und beschleunigt. Sie sind in die DNA des Akkumulationsprozesses des Kapitalismus eingeschrieben, der mittlerweile zu einer so hohen organischen Zusammensetzung des Kapitals geführt hat, das zunehmend verstärkt auf Waffen zurückgegriffen wird, die von vielen fälschlicherweise als marginales Vermächtnis des Kapitalismus vergangener Zeiten gesehen angesehen werden, nämlich die Abwertung der Arbeitskraft (d.h. Lohnkürzungen) und die Verlängerung und Ausweitung der Arbeitszeit, kurz die Auspressung absoluten Mehrwerts.

Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der französischen Regierung alles andere als überraschend. Das kann jedoch nicht über das Verhalten der meisten (nicht aller) Gewerkschaften, insbesondere der CGT gesagt werden. Es unterscheidet sich grundlegend vom Verhalten vieler anderer Gewerkschaften und auch der CGT in vergangenen Jahren. Beobachten wir also gerade einen radikalen Wandel in der CGT oder gar den Übergang der französischen Gewerkschaften zu eine revolutionären Perspektive? Nichts dergleichen!

Die CGT war in Frankreich über Jahre eine Institution der Bourgeoisie und das will sie auch bleiben. Das jüngste Verhalten der CGT ist keinesfalls einer höheren Sensibilität bei der Verteidigung der Arbeiterinteressen geschuldet. Es speist sich aus zwei Faktoren: Erstens fürchtet die CGT durch das neue Gesetz wichtige Elemente ihrer Macht zu verlieren (mit allen daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen). Zweitens muss sie die Wut breiter Schichten der ArbeiterInnenklasse, die die Reform nicht passiv hinnehmen wollen auffangen und den Druck einiger Klassensegmente (in der Regel jung und in Angst vor einer unsicheren Zukunft) kontrollieren und für die Ziele der CGT einspannen. Diese zwei Aspekte haben die CGT zu radikaleren Aktionen geführt und in gewisser Weise auch gezwungen, auch wenn dies mit ihren jüngsten Erklärungen einhergeht, mit der Regierung Diskussionen über Repressionsmaßnahmen gegen „unkontrollierbare“ Elementen zu eröffnen.

Wir können noch weitere Beispiele aufführen, um den angeblichen Übergang der CGT zu einer „revolutionären Perspektive“ zu wiederlegen. Doch derartige Schlussfolgerungen treffen auch auf andere Gewerkschaften zu. Die Gewerkschaft ist von Natur her ein Organ welches den Preis der Ware Arbeitskraft verhandelt. Das tut sie im Rahmen des Kapitalismus und es geht ihr nicht darum ihn zu überwinden. Die Geschichte der Gewerkschaften, nicht nur in Frankreich bestätigt das. Was einen Kampf und jene die ihn anführen politisch charakterisiert, ist die Richtung und Zielsetzung die ihm gegeben wird , und die Gewerkschaften zielen nicht nur auf eine Rücknahme oder Abänderung des „EL-Khomri-Gesetzes“, sondern eine Politik der Reformen, die vielleicht mit dem gegenwärtigen Stadium des Kapitalismus nicht vollständig kompatibel sein mag. Es gab schon früher in Frankreich Streikbewegungen und große Protestbewegungen (1995, 2006) die die bürgerlichen Angriffe zeitweise verlangsamten (was für sich noch keine Errungenschaft ist), aber nicht stoppten und aus denen (soweit wir wissen) nur wenig revolutionäres Klassenbewusstsein erwuchs.

Die große Kampfentschlossenheit des französischen Proletariats wurde von den Gewerkschaften aufgesogen und in geordnete Bahnen gelenkt, so wie es auch heute noch geschieht. Die Gewerkschaft hat keine Probleme damit, in Einklang mit der stalinistischen Tradition die Kräfte der bürgerlichen Ordnung bei der Bekämpfung bestimmter kämpferischen Elemente sowohl in der Gewerkschaft selber als auch in den Demonstrationen zu unterstützen.

Natürlich denken wir nicht, dass alles was passiert nur einfach nach einem von der Gewerkschaft vorbereiteten Plan abläuft, auch wenn die Durchsetzung von Artikel 2 – wie wir bereits ausführten – der Gewerkschaft Probleme bereiten und sie weiter schwächen wird. Es gibt große soziale Unzufriedenheit und sie wächst weiter, aber bis jetzt drückt sie sich überwiegend auf der gewerkschaftlichen Ebene aus und wird von den wichtigen Gewerkschaften (CGT; FO) und den sog. alternativen Gewerkschaften (SUD) kontrolliert. Trotz des Misstrauens und den Enttäuschungen in und mit den Gewerkschaften, bleiben diese der Bezugspunkt der organisierten Explosion der Wut.

Doch diese Protestwellen stoßen auf immer beschränktere Verhandlungsspielräume. Es ist offenkundig dass sich die Flexibilisierung und Verarmung der neuen Arbeiterklasse in Frankreich wie auch im Rest von Europa zuspitzen wird und Entmutigen, Fragmentierung und Vereinzelung wird die Folge jeder Niederlage sein. Es ist für KommunistInnen immer wichtiger geworden in diesen Situationen zu intervenieren und die allgemeine Bewegung zur Herausbildung des Bewusstseins einer revolutionären Klasse zu unterstützen, als Orientierungspunkt zu agieren, um das Gerüst einer revolutionären Organisationen mit einer internationalistischen Perspektive zu entwickeln.

Wir unterstützen den Kampf der französischen Arbeiterklasse. Aber gleichzeitig warnen wir vor den Fallen der Gewerkschaften, alten und neuen Opportunismus und kleinbürgerlichen Forderungen. Die einzige Alternative ist der endgültige Sturz der Bosse und der Errichtung einer neuen sozialen Ordnung, die auf der Macht der ArbeiterInnen basiert.

Kämpfe kommen und gehen. Es ist immer schwierig die Fortschritte genau einzuschätzen. Aber wenn die ArbeiterInnenklasse nicht in organisatorischer Hinsicht, in Form von Klassenorganen wie Versammlungen und Streikkomitees und in der Entwicklung politischen Bewusstseins Fortschritte macht, wird sie nicht vorankommen. In diesen unvermeidlichen Rückfluss der Wellen des revolutionären Kampfes müssen die Revolutionäre das politische Bewusstsein innerhalb der ArbeiterInnenklasse am Leben erhalten und nicht nur die Lehren der letzten Kämpfe sondern der gesamten Geschichte der revolutionären Bewegung verbreiten. Sie müssen sich an die Aufgabe machen den Aufbau einer politischen Partei der ArbeiterInnenklasse in den sozialen Bewegungen voranzutreiben. Dies ist ein unverzichtbares Werkzeug um den antikapitalistischen Kampf konkret wiederzubeleben und eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln.

Dies ist die politische Aufgabe die vor uns liegt. Die Internationalistische Kommunistische Tendenz arbeitet mit der Perspektive der Entwicklung und des Aufbaus einer in der internationalen Arbeiterklasse verankerten revolutionären Organisation. Das ist weder eine leichte noch eine kurzfristige Aufgabe. Aber wir müssen einen Anfang machen, um diese unmenschliche Welt loszuwerden. Schließt Euch uns an!

Internationalistische Kommunistische Tendenz

Monday, July 25, 2016