Die Krise in Venezuela

Die jüngsten Ereignisse in Venezuela haben die verheerende wirtschaftliche Lage wieder ins Blickfeld gerückt. Der Machtkampf zwischen Maduro und Guaidò, zwischen einen mit allerlei Tricks wiedergewählten Präsidenten und einem Oppositionsführer, der sich selbst zum Präsidenten ernennt, ist ein groteskes Szenario, welches die wirtschaftliche und politische Tragödie kaum überdecken kann. Eine genaue Betrachtung der Situation zeigt drei Aspekte: Erstens, die unmittelbare politische Einmischung der USA in die politische Auseinandersetzung zwischen der Regierung in Caracas und der Opposition. Auf Trumps Agenda ist die Krise in Venezuela ein Schlüsselelement, um wieder in Südamerika Fuß zu fassen und verlorenes Terrain wieder wett zu machen. Wenn die derzeitige Krise gut genutzt wird, könnte dies die notwendigen Bedingungen schaffen, um den Kontinent wieder unter die wirtschaftliche und politische Kontrolle des US-amerikanischen Imperialismus zu bringen. Guaidò hat von Trump nicht nur finanzielle Unterstützung erhalten. Sollten sich die Dinge zu einem Bürgerkrieg entwickeln, wird der selbsternannte Präsident auch Waffen und politische Unterstützung bekommen. So würde Venezuela zum zentralen Drehpunkt für die Yankee-Rückeroberung in ganz Südamerika, Brasilien eingeschlossen, werden. Zweitens ist die Ursache des gefährlichen Aufruhrs der sich weniger in den Amtsgebäuden der Zentralregierung in Caracas, sondern auf den Straßen der Hauptstadt und den wirtschaftlich bedeutenden Zentren abspielt, in der tiefen Krise zu sehen. Diese hat die bolivarischen Fantasien eines Chavez und eines Maduro denen zufolge ein neuer „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ die Probleme der chronischen Verarmung und der Ausbeutung gelöst hätte, buchstäblich zerstört. Die angebliche „Befreiung des venezolanischen Proletariats“ stützte sich jedoch vorrangig auf die steigenden Öleinnahmen. 10 Jahre der Krise haben den Illusionen, die die Chavisten in der Bevölkerung verbreitet und genährt haben jedoch den Schleier abgerissen. In Wirklichkeit taten sie nichts weiter als ein paar Krümel aus den Öleinnahmen in kostengünstige Wohlfahrtsprogramme zu investieren, mit dem einzigen Ziel, sich so eine solide Wählerbasis und politische Zustimmung zu sichern. Ende 2018 lag die Inflation bei 1 Millionen Prozent, wodurch die Löhne praktisch wertlos wurden. Ein einfacher Arbeiter kann von seinem Monatsgehalt gerade einmal zwei Dutzend Eier oder einen Hamburger kaufen. Innerhalb von 5 Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt von 480 auf 93 Milliarden Dollar gefallen, was zeigt, dass die bolivarische Regierung nur auf die Öleinnahmen setzte, und nicht daran dachte eine neue Infrastruktur zu schaffen, bzw. in Sektoren wie die Landwirtschaft oder die Leichtindustrie zu investieren. Nachdem der Rohölpreis 2014 zusammengebrochen war, war alles vorbei und selbst die Ölförderkapazität halbierte sich. 2015 lag die Ölproduktion bei 2,4 Millionen Barrel pro Tag. Doch 2018 war sie auf 1,4 Millionen Barrel gefallen. Infolgedessen musste die Bevölkerung unter Inflation und Hungerlöhnen leiden. Nach Angaben des IWF leben 91% der Venezolaner heute unterhalb der Armutsgrenze. Offiziell liegt die Arbeitslosenrate bei 34%. Allerdings gibt es kein zuverlässiges statistisches Material, um dieses Problem auch nur annährend zu fassen. Diejenigen die ein durchschnittliches Gehalt von 5 Millionen bis 200 000 Bolivar bekommen, was beim aktuellen Wechselkurs ca. 1,3 Dollar entspricht, können nur einmal am Tag essen und müssen hoffen bis zum nächsten durchhalten zu können. Der dritte Aspekt betrifft die kolossale Lüge die als „Bolivarischer Weg zum Sozialismus“ bekannt wurde. Trotz der Tatsache dass die Krise ihren Teil zu den ökonomischen Verheerungen beigetragen hat und die Trump-Regierung Venezuela noch weiter destabilisiert hat, bleibt das Faktum das Chavez und Maduro in ungebrochener Kontinuität mit der herrschenden Klasse nur daran gedacht haben, ein Maximum aus der Lotterie der Öleinnahmen zu ziehen. Sie haben kaum einen Gedanken an die Armut und Arbeitslosigkeit im Land verschwendet, die nun durch die Krise manifest geworden sind. Die herrschende Klasse verteilte lediglich einen Bruchteil des Reichtums als Almosen, um sich so eine Wählerbaisis zu sichern und einen Staatskapitalismus zu beherrschen, den sie als „Sozialismus“ ausgaben. Die Auseinandersetzung zwischen Maduro und Guaidò ist kein Kampf zwischen einem Sozialismus in Schwierigkeiten und einer kapitalistischen Reaktion, die nach der Machtergreifung strebt. Die Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten sind Ausdruck einer heftigen Spannung, eine Art latenter Bürgerkrieg zwischen denjenigen, die bisher von den beträchtlichen Ölrenditen profitiert haben, indem sie Kapital in Steueroasen verschoben und auf den Finanzmärkten spekulierten, ohne einen einzigen Gedanken an inländische produktive Investitionen zu verschwenden und jenen die die derzeitige Krisensituation und die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu ihren Gunsten ausnutzen wollen, und dann mit demselben arroganten Zynismus der Machtausübung fortzufahren. Und wie immer rufen sie das verelendete Proletariat Venezuelas im Namen eines falschen „Sozialismus“ und einer falschen „Demokratie“ dazu auf, einen Krieg zu führen der nichts mit den Klasseninteressen zu tun hat. Beide Lager sind gleichermaßen politisch bankrott, beide setzen auf dieselben wirtschaftlichen Mechanismen der Finanzspekulation. Auch wenn die imperialistischen Großmächte (noch) nicht in Betracht ziehen, direkt in das venezolanische Spiel einzugreifen, sind das Öl und die strategische Bedeutung auf dem Schachbrett Südamerikas Gründe genug, ein Massaker wie in Syrien anzurichten, allerding mit weitaus dramatischeren internationalen Auswirkungen. Die Fronten sind bereits klar: Russland, China und die Türkei auf der einen, die USA, Canada und die Mehrheit der EU auf der anderen Seite, und natürlich die südamerikanischen Länder die sich von der Unterstützung der jeweiligen Lager eigene wirtschaftliche und politische Vorteile erhoffen. Bis jetzt gibt es darauf keine proletarische Antwort. Diese muss entwickelt werden, indem alle falschen Versprechungen beider Lager entlarvt werden und eine internationalistischen Strategie entwickelt wird, die ihren Ausdruck in einer internationalen revolutionären Partei findet, die dem internationalen Proletariat den einzigen Ausweg aus der Misere aufzeigt: Die Perspektive einer Revolution gegen alle Ausformungen des kapitalistischen Systems.(FD)

Zum Weiterlesen: Weder Chavismus noch Anti-Chavismus: Für den autonomen Kampf der ArbeiterInnenklasse! gis.blogsport.de Venezuela: Der „Bolivarische Weg zum Sozialismus“ in der Sackgasse gis.blogsport.de Die jüngsten Ereignisse in Venezuela nach dem Tode von Chavez und der Wahl Maduros gis.blogsport.de Hugo Chávez: Weder Sozialist noch Antiimperialist gis.blogsport.de Die Wiederwahl von Evo Morales – Welcher Antiimperialismus? Welcher Sozialismus? gis.blogsport.de Gegen Staaten, Präsidenten und Vaterländer – Que se vayan todos! gis.blogsport.de

Friday, February 8, 2019