Russlands Annexionen in der Ukraine: Ein weiterer Schritt in Richtung eines globalen imperialistischen Krieges

  • (Statement der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz)

Am 21. September hielt Putin unter dem Druck der ukrainischen Gegenoffensive eine Rede, in der er zwei wichtige Ankündigungen machte. Erstens die Ankündigung einer „Teilmobilisierung“ von 300.000 Reservisten für den Krieg in der Ukraine. Dies löste Proteste aus, die aufgrund ihrer Größe, Dauer und geografischen Ausdehnung bemerkenswert waren. Vor allem angesichts des in Russland herrschenden Klimas der Repression. Der Krieg rückt für die ArbeiterInnen in Russland näher. Sie können das Land nicht so einfach verlassen wie Angehörige der reicheren Mittelschicht, die dies bereits getan haben.

Des Weiteren wurde die Abhaltung von Referenden über den Beitritt zu Russland in vier teilweise russisch kontrollierten Gebieten in der Ukraine, nämlich in Donezk, Lugansk, Cherson und Saporischschja angekündigt. Innerhalb einer Woche wurden die Pseudo-Referenden von der russischen herrschenden Klasse abgehalten, bei denen sich (Überraschung!) eine große Mehrheit für den Beitritt aussprach! Eine weitere Woche später wurden alle formellen Verträge über die Annexion dieser Gebiete durch Russland unterzeichnet und von den von Russland ernannten Stadthaltern der vier Provinzen ratifiziert.

Abgesehen davon, dass Putins Rede ein Eingeständnis der schwindenden Kräfte der russischen herrschenden Klasse auf dem Schlachtfeld ist, hat uns die russische Annexion dieser Gebiete einen bedeutenden Schritt in Richtung einer Verallgemeinerung des Konflikts und eines potenziellen Atomkriegs gebracht. Die offizielle russische Militärdoktrin besagt, dass Atomwaffen eingesetzt werden dürfen, wenn das Überleben des Staates auf dem Spiel steht und das russische Territorium mit allen Mitteln verteidigt werden muss. Putin machte dies in seiner Rede deutlich und betonte, dass die russische Militärdoktrin auch für die annektierten Gebiete gelten werde. Andere Mitglieder der russischen Führungsschicht in Putins Umfeld wurden noch deutlicher. Sowohl Medwedew als auch Lawrow erklärten ausdrücklich die Möglichkeit des Einsatzes „strategischer Atomwaffen“ zur Verteidigung dieser Gebiete, falls sie von der Ukraine angegriffen würden, da diese nun integraler Bestandteil Russlands seien.

Während Russland seine nuklearen Drohungen gegenüber der Ukraine ausspricht, treffen die NATO-Staaten ihre eigenen Vorbereitungen für einen allgemeinen und nuklearen Krieg. Seit Beginn der Invasion ist Europa militarisiert worden, und die NATO hat mehr als 300.000 Soldaten in höchste Alarmbereitschaft versetzt, vorher waren es 40.000. Seitdem hat die taktische Nuklearübung der NATO über Belgien deutlich gemacht, dass sich Drohgebärden in schreckliche praktische Optionen verwandeln können. Die Militärbudgets aller großen NATO-Staaten wurden aufgestockt, insbesondere in Deutschland.

Biden und seine Regierung haben sich dafür eingesetzt, dass die US-Wirtschaft auf den Krieg vorbereitet wird; aus diesem Grund haben sie und die Gewerkschaften einen geplanten landesweiten Streik von 100.000 BahnarbeiterInnen sabotiert und (vorübergehend) erfolgreich gestoppt. Inmitten der Pseudo-Referenden richtete Selenskyj ein Ersuchen an die NATO, in dem er den dringenden Beitritt der Ukraine zur NATO forderte, was mit ziemlicher Sicherheit zu einer sofortigen Verallgemeinerung des Konflikts führen würde. Und, was am bedrohlichsten ist, die USA und die EU bereiten ihre eigenen Atomwaffen für einen Vergeltungsschlag gegen Russland vor. Die USA haben sich nicht ausdrücklich dazu geäußert, was sie im Falle eines Einsatzes von Atomwaffen durch Russland in der Ukraine tun würden. Allerdings hat der pensionierte General David Petraeus erklärt, dass die USA wahrscheinlich einen Krieg mit Russland beginnen, und die Vernichtung aller russischen Streitkräfte in der Ukraine und im Schwarzen Meer folgen, würde. Der in einer weltweiten Krise steckende Kapitalismus hat den Weg zum Atomkrieg geebnet.

Die Bedrohung der Welt durch einen eskalierenden Krieg

Wie wir seit Beginn des Konflikts festgestellt haben, ist der Krieg in der Ukraine nicht nur ein Krieg zwischen zwei Staaten, Russland und der Ukraine. Vielmehr handelt es sich um einen Krieg, der auf ukrainischem Boden zwischen zwei rivalisierenden Imperialismen ausgetragen wird, nämlich dem Russlands und dem der Vereinigten Staaten. Was diesen Konflikt jedoch von früheren imperialistischen Konflikten (wie Syrien in den 2010er Jahren) unterscheidet, ist die Tatsache, dass die globale Krise des Kapitalismus einen Punkt erreicht hat, an dem diese so schwerwiegend ist, dass es keinen Spielraum mehr für Kompromisse zwischen rivalisierenden Imperialismen gibt.

Die russische herrschende Klasse stellt diesen Konflikt als Frage des Überlebens dar, weil sie ihn als solchen begreift. Sie ist nicht bereit, eine Niederlage zu akzeptieren, die ihren alten „Hinterhof“ vollständig an das amerikanische und europäische Kapital abtreten würde. Weder die ukrainische herrschende Klasse noch ihre Mentoren in den USA und der EU sind bereit, irgendetwas anderes als einen totalen Sieg zu akzeptieren, der die Russen aus allen besetzten Gebieten einschließlich der Krim vertreiben würde. Für sie würde selbst eine ausgehandelte Friedensregelung mit Russland, bei der sie Gebiete im Gegenzug für Frieden erhielten, ihren Rivalen (wie China) eher in der Ansicht bestärken, dass sie es mit der US-geführten imperialistischen Ordnung mit einigen Erfolgen aufnehmen könnten. Besonders die USA sind besorgt, dass Gebietsgewinne Russlands oder auch nur eine vorteilhafte Einigung in der Ukraine ihren wichtigsten imperialistischen Rivalen, China, ermutigen könnte, dasselbe in Taiwan oder anderswo zu tun. Dies erklärt auch, warum die USA während des gesamten Konflikts versucht haben, Russland und China in einem Atemzug zu nennen.

Die bürgerliche Presse und die Staatsoberhäupter reden leichtfertig über einen Atomkrieg und die Vorbereitung auf einen möglichen Konflikt in naher Zukunft. Das liegt daran, dass die herrschenden Klassen, sich momentan und aufgrund der besonderen Entwicklung der Ereignisse (mit Russland als unmittelbaren Aggressor) als besonders friedliebend in Szene setzen können. Ob mit Appellen an die Menschlichkeit, den internationalen Frieden oder die so genannte "regelbasierte Ordnung", die immer die der herrschenden Klassen der NATO-Länder ist. Sie sind trotzdem gezwungen ihre Interessen mittels Kriegs zu verteidigen, und zwar in demselben Sinne, in dem die russische herrschende Klasse zum Krieg gegriffen hat, um die ihrigen zu verteidigen. Kurz gesagt, die Kapitalistenklassen auf allen Seiten der imperialistischen Weltunordnung sind in ihrer eigenen Logik gefangen, die sie zum Krieg als ultimativem Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen zwingt.

Diese imperialistischen Kriege führen zur totalen Auslöschung allen Lebens. Die Kriege des Kapitalismus bringen uns an die Schwelle des Untergangs; sie haben die Macht, mit ihren Atombomben und Raketen ein Armageddon herbeizuführen, und sie werden ein Armageddon herbeiführen, um ihre Profite zu schützen, die sie aus der Ausbeutung unserer Arbeitskraft herausgeholt haben, koste es, was es wolle, Menschenleben und unbeschreiblichen Schmerz, Katastrophen und Elend.

Es gibt eine Alternative und sie liegt in den Händen der internationalen ArbeiterInnenklasse

Während wir uns mit der Zerstörung auseinandersetzen, die der Kapitalismus der Welt und der Menschheit zuzufügen in der Lage ist und auf die er sich mit zunehmender Wahrscheinlichkeit zubewegt, dürfen wir als aktive InternationalistInnen nicht in den Pessimismus verfallen, den Kopf in den Sand stecken und auf den endgültigen Zusammenbruch warten. Wir dürfen nicht den Weg einschlagen, den einige eingeschlagen haben, die behaupten, dass die ArbeiterInnenklasse ihre Kampffähigkeit verloren habe, und dabei die zunehmenden Beweise für das Gegenteil ignorieren. Die Konsequenz dieses Weges ist entweder der Rückzug aus der politischen Aktivität oder, schlimmer noch, die Zuflucht zu bürgerlichen politischen Strömungen - wie der Sozialdemokratie, dem Stalinismus oder dem Trotzkismus und einigen pazifistischen Libertären -, die alle das Fehlen einer massenhaften Klassenbewegung als Vorwand für ihre Kompromisse mit der bürgerlichen Klassenherrschaft und die Aufrechterhaltung der Ausbeutung der Lohnarbeit ins Feld führen. Alle diese Strömungen unterstützen mehr oder weniger „kritisch“ diese oder jene imperialistische Macht, oder sie sehen in der ArbeiterInnenklasse nicht die Kraft, die den Krieg beenden kann und setzen stattdessen auf die Diplomatie zwischen imperialistischen Staaten als Lösung von Konflikten wie dem in der Ukraine.

Die Dinge werden jedoch nicht nur von den ArbeiterInnen in Russland und der Ukraine entschieden werden, sondern von den ArbeiterInnen weltweit. Die globale Wirtschaftskrise des kapitalistischen Systems beschert Hunderten von Millionen ArbeiterInnen nicht nur den Krieg, sondern nach Jahrzehnten sinkender Reallöhne auch noch mehr Elend. Schon jetzt gibt es erste Anzeichen dafür, dass die ArbeiterInnenklasse beginnt, sich gegen ein System zu wehren, das uns nichts als Elend und einen weltweit sinkenden Lebensstandard zu bieten hat. In den USA stehen fast 100.000 EisenbahnerInnen seit Juli kurz vor einem Streik, der nur durch den Staat und seine Lakaien in Form der Gewerkschaften aufgehalten wird, die alles tun, um ihn zu verhindern. In Großbritannien, in Frankreich und in Spanien drängen die ArbeiterInnen die Gewerkschaften zum Handeln, oder führen zuweilen sogar wilde Streiks durch. Im Iran haben die ArbeiterInnen in den letzten Jahren außergewöhnliche Schritte in Richtung ihrer eigenen Selbstorganisation unternommen, indem sie wilde Streiks durchgeführt und zur Bildung von ArbeiterInnenräten aufgerufen haben, während sie gleichzeitig gegen die brutale staatliche Repression ankämpften. In Ecuador legten die ArbeiterInnen das Land mit einem landesweiten Streik lahm und zwangen die Regierung, die Energiepreise zu senken; nur die Gewerkschaften hinderten sie daran, weiterzugehen. In Haiti, dem Ausbeuterbetrieb des amerikanischen Imperialismus, streiken die ArbeiterInnen weiterhin und kämpfen gegen eine weitere von den USA unterstützte Diktatur.

Weitere Streiks, die zu zahlreich sind, um sie hier aufzuführen, brechen überall auf der Welt aus. Selbst in der Ukraine widersetzen sich die Beschäftigten der Zulieferbetriebe, die mit dem starken Rückgang des Lebensstandards zu kämpfen haben, trotz der gegen sie gerichteten nationalistischen Kampagne dem kriegsrechtsbedingten Verbot von Streiks und Protesten, indem sie sich an wilden Streiks beteiligen und ihre eigenen Kämpfe koordinieren. Was wir gerade erleben, könnte der Auftakt der Wiederbelebung einer massenhaften Klassenbewegung sein. Als KommunistInnen tun wir alles, was wir können, um uns an dieser Bewegung zu beteiligen, um die Klasse zu ermutigen, auf die Angriffe des Systems zu reagieren, um die Angriffe auf unseren Lebensstandard mit der Kriegswirtschaft in allen Ländern in Verbindung zu bringen und um der breiteren ArbeiterInnenklasse eine internationalistische Perspektive zu vermitteln.

Um dies zu erreichen, hat die IKT die Initiative „No War but the Class War“ (NWBCW) ins Leben gerufen. Wir rufen dazu auf NWBCW-Komitees zu bilden, und somit für die Selbstorganisation der Klasse zu kämpfen (durch die Schaffung von Streikkomitees, Massenversammlungen und ArbeiterInnenräten) und die wirklichen InternationalistInnen zusammenzubringen. Wir stehen noch am Anfang, aber weltweit wurden bereits NWBCW-Komitees gegründet, und weitere sind in Vorbereitung. Wir sind mit den schrecklichen Folgen der längsten und tiefsten globalen Krise konfrontiert, die die Welt je gesehen hat. Der Kapitalismus bedroht mehr und mehr das Überleben der Menschheit: Es ist an der Zeit, dass die weltweite ArbeiterInnenklasse ihn in den Mülleimer der Geschichte verfrachtet und durch eine Weltgemeinschaft frei assoziierter Produzenten ersetzt, in der die Profite der Wenigen, die aus der unbezahlten Arbeit der ArbeiterInnenklasse stammen, nur noch eine Frage der Geschichte sind. Es liegt in der Verantwortung der kleinen, aber wachsenden Zahl von RevolutionärInnen, die über eine längerfristige, weitere Perspektive nachgedacht haben, zusammenzukommen und das revolutionäre Programm in die vor uns liegenden Kämpfen zu tragen.

Keine Klassenbewegung wird in der Lage sein, ihre Aufgabe der Abschaffung des gesamten Systems, das unser Blut fordert, zu erfüllen, wenn die Klasse nicht ihre eigene klassenweiten politische Organisation geschaffen hat. Eine solche Organisation muss international sein und gegen jeden Kompromiss mit dem Kapitalismus und ohne Kompromisse für eine klassenlose, kommunistische Gesellschaft kämpfen. Sie darf niemals zu einer Institution werden, die über der Klasse steht, sondern muss ein Werkzeug in ihren Händen sein, um den Kampf zu führen. Die IKT ist nur eine der Organisationen, die sich dem Kampf für dieses Ziel verschrieben haben. Dieses System steuert auf den Abgrund zu. Die Frage ist, ob die ArbeiterInnenklasse und der Rest der Menschheit diesen Weg mitgehen. Es ist an der Zeit, sich überall und auf jeder Ebene zu organisieren.

Internationalistische Kommunistische Tendenz
Wednesday, October 26, 2022