Klassenkämpfe in Südafrika

Seit den Wahlen im April dieses Jahres wird Südafrika von der heftigsten Welle von Klassenkämpfen erschüttert, die das Land seit dem Machtantritt des ANC vor 15 Jahren erlebt hat. Streiks der Bauarbeiter legten Kraftwerke,den Schienenverkehr und Fußballstadien lahm, die Bergarbeiter stoppten die Produktion von Kohle und Gold und die Streiks der städtischen Beschäftigten (insbesondere Busfahrer und Müllwerker) brachten das Transportwesen und die Müllabfuhr zum Erliegen. Ebenso traten Arbeiter in der Telekommunikationsbranche, Ärzte und sogar Soldaten in den Streik. Gleichzeitig entzündete sich die Wut in den Townships in Riots und Angriffen auf Verwaltungsgebäude die allesamt in der Hand des ANC sind. Die Riots in den Townships sind von einer Qualität wie sie selbst in den schlimmsten Tagen der Apartheid nicht erreicht wurde.

Streiks führen zu Lohnerhöhungen

Die massiven Streiks an denen sich hunderttausend Arbeiter beteiligten und die Aufstände in den Townships haben das ANC-Regime in seinen Grundfesten erschüttert. In der Vergangenheit hat der ANC auf die ihm nahe stehenden Gewerkschaften gesetzt, um den Klassenkampf zu kontrollieren, Streiks zu verhindern oder schnell zu beenden. Gleichwohl haben die Lohnverluste durch die Inflation die derzeit bei 6.9% liegt und die Arbeitslosenquote von 33% zu einer Unzufriedenheit geführt die auch von den Gewerkschaften nur schwer zu beherrschen ist. Diese Klassenkämpfe haben dem ANC einige Probleme bereitet. Sie verursachten eine schwere interne Krise des ANC die im September 2008 zur Absetzung des früheren Anführers Mbeki und einer nicht unbeträchtlichen Spaltung der Organisation führte. Die neue populistische Führung unter Zuma versprach die Missstände zu beseitigen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Zustände in den Townships zu verbessern. Natürlich war sie nicht in der Lage diese Versprechen einzuhalten. In der gegenwärtigen Krise in der die Wirtschaft schrumpft und die Arbeitslosigkeit steigt, sind selbst zeitweilige Konzessionen an die Arbeiter nahezu unmöglich. Die Rezession ist die schwerste seit 1992. In den ersten drei Monaten dieses Jahres schrumpfte die Wirtschaft um 6.4%. Zwar versprach Zuma in diesem Jahr 500 000 neue Jobs zu schaffen, in Wirklichkeit gingen jedoch 475 000 Jobs verloren. Das Regime begegnet den Streiks mit großer Vorsicht. In den meisten Fällen wurden die Streiks nach Lohnerhöhungen die nur geringfügig unter den Arbeiterforderungen lagen beigelegt. So wurden den Bauarbeitern, den Bergleuten und den Beschäftigten der Verwaltung 13% Lohnerhöhung zugestanden, also nur 2% weniger als sie ursprünglich gefordert hatten. In ähnlicher Weise wurden andere Streiks nach weitgehenden Zugeständnissen beigelegt. (...) Gleichwohl liegen die Lohnerhöhungen nur geringfügig über der offiziellen Inflationsrate. Sie sind somit zwar reale aber zeitlich sehr begrenzte Errungenschaften. Dennoch zeigt das Eingehen auf die Arbeiterforderungen, dass die südafrikanische Kapitalistenklasse und das ANC-Regime eher auf taktische Rückzüge als auf eine offene Konfrontation mit der Arbeiterklasse setzen.

Riots in den Townships und Polizeirepression

Gegenüber den Aufständen in den Townships hat das Regime jedoch eine härtere Gangart eingeschlagen. Gegen die Protestierenden ging die Polizei mit Panzerwagen, Tränengas und Gummigeschossen und umfangreichen Festnahmen vor. Die Lebensbedingungen in den Townships sind noch schlechter als unter dem Apartheidregime. Das Anwachsen der Bevölkerung und die Inkompetenz und Korruption der ANC-Bürokraten, die die Stellen in der Verwaltung besetzen hat dazu geführt, dass der Wohnungsbau in den letzten 15 Jahren nahezu zum Erliegen gekommen ist. Millionen Menschen in den Townships haben kein sicheres Dach über dem Kopf, keinen Strom, kein Wasser und keine Kanalisation. Das größte Problem ist die Arbeitslosigkeit. Über ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung ist erwerbslos und 75% dieser Erwerbslosen sind unter 35 Jahre. Die Wut dieser jungen Erwerbslosen kochte über. Verwaltungsgebäude wurden angezündet und lokale Beamte angegriffen. Im Township von Siyathemba z.B konnte sich ein ANC-Bürgermeister nach einem gescheiterten Beschwichtigungsversuch nur in einem gepanzerten Wagen in Sicherheit bringen, der mit Steinen geradezu eingedeckt wurde. Nach seinem vergeblichen Versuch die Protestierenden zu beruhigen wurde sein Zweitwohnsitz angezündet und niedergebrannt. Die Tatsache dass solch ein Beamter sich einen Zweitwohnsitz leisten kann, während Millionen obdachlos sind, wirft ein Schlaglicht auf die Korruption im ANC-Apparat. Ein Bewohner des Townships von Siyathemba brachte seine Frustration folgendermaßen auf dem Punkt:

„Wir haben die Apartheid-Regierung bekämpft. Aber nun gehen wir ins Nichts. Es gibt keine Strassen, kein Wasser. Alle Jobs werden an die Verwandten von Bürokraten vergeben.“

Diese Ereignisse zeigen wieder einmal, dass Revolten des erwerbslosen Proletariats immer wieder mit der Gewalt des Staates konfrontiert werden. Die Reaktion und Vorgehensweise der herrschenden Klasse ist nahezu identisch mit dem was unter dem Apartheidregime passierte. Der einzige Unterschied ist der, dass die Repressionskräfte früher weiße Polizisten waren, die mit scharfer Munition schossen, während es nun schwarze Polizisten sind die Tränengas und Gummigeschossen vorgehen.

Auch wenn Zuma die Korruption einiger Beamten zugegeben hat, und um Geduld bat um faule Äpfel aus seinem Apparat aussortieren zu können, was viele glauben und akzeptieren, zeigen die jüngsten Ereignisse die Schwächen des ANC auf, adäquat auf den Klassenkampf zu reagieren. Die Maske eines Verteidigers der Schwarzen gegen die Weißen die er solange getragen hat ist gefallen. Nun zeigt er sein wahres Gesicht: die Fratze eines Verteidigers des Kapitalismus gegen die Arbeiterklasse.

Die wirkliche Rolle des afrikanischen Nationalismus

Der Machtantritt des ANC nach Jahren des Kampfes gegen die „Rassentrennung“ schürte viele Illusionen. Von vielen Linken wurde argumentiert, dass es die Apartheid sei, die die Profite des südafrikanischen Kapitalismus sicher stelle, ihre Beseitigung den Weg zum Sozialismus eröffne und der afrikanische Nationalismus deshalb unterstützt werden müsste. Der ANC selber, der niemals gegen den Kapitalismus gerichtet war, argmentiert, dass alle Probleme des Landes auf die antiquierte „Rassentrennung“ zurückzuführen seien, und nach deren Beseitigung alles gut wäre. Nach 15 Jahren ANC-Herrschaft und angesichts der gegenwärtigen Streiks und Riots ist die Absurdität dieser Sichtweise offenbar. Wie überall auch wird die Arbeiterklasse in Südafrika ausgebeutet. Die sog. „Rassenfrage“, d.h. die rassistische Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung war ein probates Mittel um die Arbeiterklasse zu spalten und ihre Kämpfe zu schwächen. Durch den Machtantritt des ANC sollten die Arbeiterkämpfe kontrolliert und die Rentabilität des südafrikanischen Kapitalismus wieder hergestellt werden, nachdem die Apartheid ein ökonomisches Desaster hinterlassen hatte. Dies ist dem ANC auch zeitweise gelungen. Seit 1994 sind die Profite angestiegen, gab es ein jährliches Wirtschaftswachstum von 5% oder sogar mehr. Gleichzeitig wurden Milliarden Dollar an ausländischen Investitionen ins Land geholt. Man muss sich jedoch nur Townships wie Siyathemba anschauen, um zu verstehen auf wessen Kosten dies geschehen konnte. Die ANC-Bürokraten haben ihre neue Macht genutzt um sich als Mitglieder der Bourgeoisie zu etablieren. Sie haben sich von ehemaligen politischen Gefangenen zu Millionären verwandelt, die sich einen Dreck um die Lebensbedingungen der Arbeiter scheren.

Durch den Ausbruch der gegenwärtigen Krise wurden die ideologischen Grundlagen des ANC unterminiert. In den letzten Streiks wie denen von 2004, 2001 und 1999 spielte die Frage der „Rasse“ keine Rolle, wohl aber die der Klasse. Gleichwohl setzen aber noch viele Arbeiter Hoffnungen in den ANC wie die 66 % Wählerstimmen bei den Wahlen im April gezeigt haben. Dies ist eine große Schwäche die überwunden werden muss. Die Wurzel der Probleme des südafrikanischen Proletariats ist die gleiche wie überall auf der Welt - die kapitalistische Produktionsweise.

Die südafrikanische Arbeiterklasse hat unter den Fahnen des afrikanischen Nationalismus gekämpft und viel Blut vergossen um den ANC an die Macht zu bringen. Dies hat viele Mythen und Illusionen gezüchtet, die einen Bruch mit dem ANC erschweren. Dennoch ist der Bruch mit allen Kräften des südafrikanischen Nationalismus und seine Verbündeten, wie bspw. den Gewerkschaften und der südafrikanischen KP unabdingbar. Dies sind allesamt politische Kräfte die für den Erhalt des kapitalistischen Systems stehen. Ihre Reformprogramme für mehr öffentlicher Ausgaben oder die Nationalisierung bestimmter Sektoren der südafrikanischen Wirtschaft sind allesamt auf Sand gebaut. Es ist eine schlichte Illusion zu glauben den Kapitalismus im Sinne der Arbeiterinteressen reformieren zu können. Die Arbeiterklasse muss für ihre eigenen Interessen eintreten und kämpfen. Nur die internationale Vereinigung dieser Kämpfe eröffnet die Perspektive, die Arbeiterinteressen durchzusetzen und den kapitalistischen Zyklus von Krise und Krieg zu durchbrechen.

2009-10-25