100 Jahre ANC – 100 Jahre im Dienste des Kapitals

Im Januar 2012 feierte der African National Congress (ANC) den hundertsten Jahrestag seines Bestehens. 100 Millionen Rand wurden für die pompösen Feierlichkeiten ausgegeben. Nach 18 Jahren ununterbrochenen Machterhalts hatte die ANC-Führung auch allen Grund zum Feiern. Doch dies galt nur für die politische Elite und diejenigen die sich während der Regierungszeit des ANC bereichern konnten. Die ArbeiterInnenklasse, die Erwerbslosen und Millionen Armen hatten nichts zu feiern und blieben den Festlichkeiten auch augenfällig fern. Der ANC wurde kurz nach der Gründung der Südafrikanischen Union von Rechtsanwälten und Journalisten aus der gebildeten schwarzen Mittelschicht ins Leben gerufen. Zu dieser Zeit war die südafrikanische Gesellschaft noch maßgeblich durch Stammesstrukturen geprägt, auch wenn diese Strukturen und die herkömmliche Subsistenzwirtschaft zunehmend vom Kapitalismus zersetzt wurden. Die Gründer des ANC setzten sich vom den alten Stammesstrukturen ab und forderten in der aufkommenden kapitalistischen Gesellschaft mehr Rechte für die schwarze Bevölkerung. Im Verlauf eines Jahrhunderts kapitalistischer Entwicklung sind die alten Stammesgesellschaften verschwunden. Stattdessen hat sich eine kapitalistische Gesellschaft mit einer überwiegend schwarzen ArbeiterInnenklasse herausgebildet. In diesem Prozess wurde der ANC zur bestimmenden bürgerlichen Kraft in der südafrikanischen Politik. Zwar hat sich der ANC immer als nationale Bewegung präsentiert, die die Interessen der gesamten afrikanischen Bevölkerung vertrete, faktisch repräsentierte er jedoch in erster Linie die Interessen des aufstrebenden schwarzen Bürgertums. Der Flirt des ANC mit der ArbeiterInnenklasse war stets ein zynisches Manöver um ArbeiterInnen als Fußtruppen zu rekrutieren, mit denen er schließlich das Apartheidregime und den burischen Nationalismus zurückdrängen konnte. Seit seinem Machtantritt 1994 hat er alles getan um den südafrikanischen Kapitalismus zu verwalten. Er ist dieser Aufgabe wie jede andere kapitalistische Regierung in dieser Periode nachgekommen. Privatisierungen wurden durchgeführt und das Land wurde für den globalen Wettbewerb geöffnet. Gleichzeitig wurde der Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse kontinuierlich angegriffen. Der ANC nutzte seine Machtposition um seine führenden Leute mittels des „Black EconomicEmpowerment“ -Programms in die Spitzenpositionen der Bourgeoisie einzugliedern. Dadurch sitzt nun eine Handvoll schwarzer Millionäre in den Spitzenpositionen der Bergbauindustrie und anderer Wirtschaftszweige. Der ANC stellt dies gerne als Kompensation für die Entbehrungen der Vergangenheit dar, als Zeichen dafür, dass sich die Lebenssituation aller Afrikaner verbessere. Gleichzeitig ist jedoch eine wachsende urbane Unterschicht entstanden, die zum Überleben auf Sozialleistungen angewiesen ist. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Die Herausbildung einer schwarzen Bourgeoisie war immer das Ziel des ANC-Programms. Verbunden war dies mit der auch heute immer noch wiederholten Lüge, dass dies auch der afrikanischen ArbeiterInnenklasse zugute käme. Die politische Situation war in Südafrika stets durch die rassistische Spaltung und Unterdrückung geprägt. Die Nationalisten des ANC und die burischen Nationalisten haben darauf gleichermaßen auf ihre Weise ihr Süppchen gekocht. Doch der zentrale Widerspruch der südafrikanischen Gesellschaft war und ist wie in jeder anderen kapitalistischen Gesellschaft auch der Gegensatz zwischen den Klassen. Der Interessen der ArbeiterInnen und die der Kapitalisten sind diametral entgegengesetzt und der ANC kann und wird sie nicht versöhnen können. Es ist eine Situation entstanden, in der nach Angaben des ANC sich ca. 9% des Kapitals der Minengesellschaften in den Händen schwarzer Kapitalisten befindet. Gleichzeitig sind 40% der Bevölkerung erwerbslos. Das sind ca. 6 Millionen Menschen. 2.8 Millionen von ihnen sind zwischen 18 und 24 Jahre alt. Die urbane Unterklasse, die von Sozialleistungen überleben muss, ist von 2,5 Millionen (1999) auf 12 Millionen (2006) angestiegen. 50% leben unterhalb der Armutsgrenze. 7 von 10 schwarzen Kindern wachsen in Armut auf. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist von 65 Jahren (1996) auf 53 (2009) gesunken. Solche Widersprüche drohen die Organisation des ANC förmlich zu zerreißen. Die schamlose Bereicherung einiger führender Mitglieder der ANC-Regierung spiegelt sich in einem ganzen Geflecht von Korruption und Vetternwirtschaft wieder, welches bis ins Präsidentenamt reicht. 100 Jahre nach seiner Gründung gibt es wirklich wenig zu feiern.

18 Jahre an der Regierung

Seit seinem Regierungsantritt ist der ANC ein strategisches Bündnis mit der südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) und dem Kongress der südafrikanischen Gewerkschaften (COSATU) eingegangen. Dieses Bündnis diente der gegenseitigen Machtabsicherung und der politischen Verschleierung der Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse. Gleichwohl haben sich die ArbeiterInnen gegen die Kürzung ihrer Löhne und das Absenken ihres Lebensstandards zur Wehr gesetzt. In den letzten zwei Jahren kam es zu massiven Streiks. 2010 beteiligten sich 1,3 Millionen ArbeiterInnen an einem Streik des öffentlichen Dienstes, der 20 Tage andauerte. 2011 gab es Streiks im Bergbau, der Energiewirtschaft und in der Erdöl-, Metall- und Papierindustrie an denen sich hunderttausende ArbeiterInnen beteiligten, um für Lohnerhöhungen zu kämpfen. Auch wenn die COSATU ihr Bestes getan hat, um diese Streiks zu kontrollieren und abzuwürgen, führt die zunehmende Verschlechterung der Lebensbedingungen der ArbeiterInnen zu wachsenden Pressionen und auch offenen Brüchen im ANC selber. Der Druck und die Unzufriedenheit all derjenigen, die sich vom ANC verraten fühlen, hatte 2008 einen nicht unwesentlichen Anteil an der Verdrängung des Präsidenten Thabo Mbeki und der Einsetzung des populistischeren Zuma. Nach der Absetzung Mbekis verließ seine Fraktion den ANC und gründete eine neue Partei, den Congress of the People (COPE). Ein weiterer und potentiell explosiverer Bruch trat mit der Disziplinierung und Absetzung des Führers der ANC-Jugend Julius Malema auf. Malema war einer der wichtigsten Unterstützer Zumas bei der Absetzung Mbekis. Doch unter dem Druck der zunehmenden Verschlechterung der Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und der Armen fing er an gegen die politische Führung um Zuma zu schießen und die Verstaatlichung des Bergbaus und die Enteignung der weißen Farmer zu fordern. Diese Forderungen stehen zwar in der sog. „Freedom Charter“, dem politischen Programm, welches sich der ANC 1956 gab, aber heute sind sie den Interessen der südafrikanischen wie auch des internationalen Kapitals und damit folglich auch dem ANC entgegengesetzt. Gleichwohl ist das Wiederaufstellen dieser Forderung der Vergangenheit dem ANC sichtlich peinlich. Sie gleicht sprichwörtlich einem alten Geist, der aus der Flasche gelassen wird. Auch wenn Malema ruhig gestellt und für fünf Jahre vom ANC suspendiert wurde, hat er weit verbreiteter Unzufriedenheit einen Ausdruck gegeben. Die Solidaritätsdemonstrationen bei seiner Verhandlung zeigten, dass Malema viele Unterstützer hat, die sich schwerlich durch das Ruhigstellen eines einzigen Menschen beschwichtigen lassen. Auch die Erwerbslosen verschaffen sich zunehmend Gehör. Ein Sprecher des Unemployed Peoples Movement bezichtige den ANC öffentlich des Verrats:

Während des Kampfes verkörperten unsere Führer die Hoffnungen der Menschen. Aber seit sie an der Macht sind, brauchen sie uns nicht mehr. Wir wurden nachhause geschickt. Wir sollen nur noch wählen oder zu Kundgebungen kommen. Gleichzeitig werden unsere Leute von den Farmen vertrieben, unter dem Vorwand dort Wildparks für den Tourismus zu errichten. Unsere Leute werden aus den Städten vertrieben. Unseren Leuten wird ein anständige Ausbildung verweigert (1).

Die Demonstrationen der Erwerbslosen für die Forderungen nach Arbeitsplätzen, Wohnungen, fließendem Wasser und Elektrizität wurden von der Polizei mit der gleichen Brutalität wie unter dem Apartheidregime angegriffen. Während einer Demonstration in Ermelo, einer der ärmsten Regionen Südafrikas, wurden zwei Protestierende von der Polizei erschossen. Bei einer Demo in der Stadt Ficksburg wurde der Demonstrant Andries Tatane vor laufenden Fernsehkameras zu Tode geprügelt. Wenn die Sozialleistungen noch weiter gekürzt werden, könnte es zu einer hochexplosiven Situation kommen. Diverse politische Kommentatoren und Politiker des ANC verfolgten sichtlich nervös die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ und sahen darin gewissermaßen eine Vorwegnahme der Zukunft Südafrikas. Es ist verständlich, dass sich die Aktivisten des „Unemployed Peoples Movement“ und Teile der ANC-Jugend vom ANC verraten fühlen. Aber ist dem wirklich so?

Die Entwicklung des ANC

Wie schon eingangs erwähnt, entstand der ANC in einer Situation, in der sich Südafrika im Übergang von einer tribalen Subsistenzwirtschaft zu einer kapitalistischen Gesellschaft befand. In diesem Prozess wurden Subsistenzbauern aus ihren traditionellen Stammesstrukturen und von ihrem Land weggerissen und zu Lohnarbeitern gemacht. Dieser Prozess vollzog sich äußerst gewaltsam und die Doktrin des Rassismus war eine wichtige ideologische Waffe um die Klassenspaltung zu legitimieren. Marx skizzierte die Durchsetzung kapitalistischer Strukturen in den Kolonien folgendermaßen:

… Anders in den Kolonien. Das kapitalistische Regiment stößt dort überall auf das Hindernis des Produzenten, welcher als Besitzer seiner eignen Arbeitsbedingungen sich selbst durch seine Arbeit bereichert statt den Kapitalisten. Der Widerspruch dieser zwei diametral entgegengesetzten ökonomischen Systeme betätigt sich hier praktisch in ihrem Kampf. Wo der Kapitalist die Macht des Mutterlandes im Rücken hat, sucht er die auf eigner Arbeit beruhende Produktions- und Aneignungsweise gewaltsam aus dem Weg zu räumen. (…) Zu diesem Behuf weist er nach, wie die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit, Kooperation, Arbeitsteilung, Anwendung der Maschinerie im großen usw. unmöglich sind ohne die Expropriation der Arbeiter und die entsprechende Verwandlung ihrer Produktionsmittel in Kapital. Im Interesse des sog. Nationalreichtums sucht er nach Kunstmitteln zur Herstellung der Volksarmut. Sein apologetischer Panzer zerbröckelt hier Stück für Stück wie mürber Zunder (3).

Insbesondere die Kräfte des Britischen Empire hatten einen großen Anteil an der Zerstörung der tribalen Strukturen und der Verwandlung der afrikanischen Bevölkerung in Lohnarbeiter. Nach der militärischen Niederschlagung der verschiedenen Stämme enteigneten die britischen Behörden ihr Land und erhoben Steuern. Um diese überhaupt begleichen zu können, waren die Menschen faktisch zur Lohnarbeit verdammt. Doch selbst nach der militärischen Niederschlagung der Stämme stieß dies, wie von Marx beschrieben, auf erheblichen Widerstand. So führte z.B. die Einführung einer jährlichen Kopfsteuer in Natal zu einer Rebellion der Zulus. Das Ziel dieser Politik wurde vom britischen Kolonialminister Earl Grey 1880 ziemlich unverblümt auf den Punkt gebracht:

Die farbige Bevölkerung sollte allgemein von den Weißen als eine minderwertige Rasse betrachtet werden, deren Interessen systematisch missachtet werden sollten. (…) Sie sollten vor allem zum Vorteil der höheren Rasse regiert werden. Für diesen Vorteil sind zwei Dinge besonders notwendig: Erstens sollten Maßnahmen getroffen werden, damit die weißen Kolonialisten das Land in Besitz nehmen können, was bisher von den Stämmen besetzt gehalten wird. Zweitens sollte die Kafferbevölkerung ein Reservoir an ausreichend billigen Arbeitskräften bieten (4).

Dieser von der britischen Kolonialmacht eingeleitete Prozess setzte sich mit der Gründung der Südafrikanischen Union fort. Ein Jahr nach der Gründung des ANC war die Landenteignung der schwarzen Bevölkerung mit dem sog. Natives Land Act von 1913 fast abgeschlossen. Nach diesem Gesetz durfte der schwarzen Bevölkerung nur 7% der Fläche des Staatsgebietes der Südafrikanischen Union als Wohn- und Nutzfläche zur Verfügung stehen. Ferner durften Schwarze kein Land in den „weißen Gebieten“ erwerben oder gar pachten. Vor diesem Hintergrund blieb einem Großteil der schwarzen Bevölkerung gar nichts anderes übrig als sich als Lohnarbeiter auf den Farmen der Weißen, in der Industrie oder in den Minen zu verdingen. Gleichwohl hatten die Kapitalisten in Südafrika immer das Problem auf genügend Arbeitskräfte im Bergbau zurückgreifen zu können. So mussten die Briten nach den Burenkriegen chinesische ArbeiterInnen als ungelernte Arbeitskräfte im Bergbau einsetzen. Die fortgesetzte Vertreibung der schwarzen Bevölkerung vom Land war in dieser Hinsicht der Schlüssel zur Lösung ihres Problems. Dies führte zu einem System der Wanderarbeit, welches zu einem wesentlichen Bestandteil der Apartheid im Allgemeinen und zur Norm in der Bergbauindustrie wurde. Die Bergbauunternehmen gründeten 1912 eine gemeinsame Vermittlungsagentur, die National Recruiting Company, die besonderes in den auf 7% der Staatsfläche geschrumpften schwarzen Gebieten und in den folgenden Jahren auch in den britischen Protektoraten und in Mosambik Arbeitskräfte anwarb. Dieser Prozess wurde durch einen offenen Rassismus gleichermaßen begleitet und kaschiert. Das südafrikanische Kapital zog aus der fortgesetzten Spaltung der schwarzen und weißen ArbeiterInnen einen großen Nutzen. Angesichts der erheblichen Lohnunterschiede zwischen Schwarzen und Weißen konnten Streiks in der Bergbauindustrie rassistisch gespalten und leichter niedergeschlagen werden. Dies war besonders bei den wichtigsten Streiks, wie dem weißen Bergarbeiterstreik von 1922 und dem schwarzen Bergarbeiterstreik von 1946 der Fall. Der Streik der weißen Bergarbeiter von 1922 schrieb sich die höchst widersprüchliche Parole „Arbeiter aller Länder vereinigt euch für ein weißes Südafrika“ auf die Fahne. In diesem historischen Kontext entstand der ANC und in diesem Kontext glaubten die schwarzen ArbeiterInnen, dass der ANC sie vertreten könnte, da sowohl die schwarzen ArbeiterInnen als auch das schwarze Bürgertum diskriminiert wurde. Dies war jedoch ein schwerwiegender Trugschluss, wie nicht zuletzt die 18 Regierungsjahre des ANC gezeigt haben. Von seiner Gründung an war der ANC das Projekt einer westlich orientierten Elite, die ihren Anteil an der Beute des Kapitalismus einforderte und auch wenig Anstalten machte dies zu verschleiern. So erklärte Mandela in einer Rede zur Forderung nach Verstaatlichung der Minen und Schlüsselindustrien:

Die Charter war ein schwerer Schlag für die Finanz- und Goldminenmonopole, die seit Jahrhunderten das Land geplündert und die Menschen in Knechtschaft gehalten hatten. Das Aufbrechen und die Demokratisierung dieser Monopole eröffnen neuer Felder für die Entwicklung eines prosperierenden nicht-europäischen Bürgertums. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes wird ein nicht-europäisches Bürgertum die Möglichkeit haben nach Recht und Gesetz Mühlen und Fabriken zu besitzen. Der Handel und Unternehmen werden blühen und gedeihen wie nie zuvor (5).

1964 kam er in seiner bekannten Verteidigungsrede vor Gericht auf dieses Thema zurück:

Die Freiheitscharter war das wichtigste politische Dokument welches der ANC jemals verabschiedete. Es ist in keinster Weise eine Blaupause für eine sozialistische Gesellschaft. Der ANC hat zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte eine revolutionäre Veränderung der wirtschaftlichen Grundlage unseres Landes propagiert (…) oder die kapitalistische Gesellschaft abgelehnt (6).

Es ist daher nicht ganz richtig die ANC-Regierung seit 1994 als einen Verrat an der ArbeiterInnenklasse zu bezeichnen, wie es einige seiner Kritiker heute tun. Der ANC hat lediglich ein bürgerliches Programm durchgesetzt und versucht entlang der von Mandela bereits skizzierten Richtlinien die Entwicklung einer afrikanischen Bourgeoisie zu befördern.

Der Aufstieg zur Macht

Mitte der 70er Jahre wurde den wichtigsten Fraktionen der südafrikanischen Bourgeoise klar, dass das System der Wanderarbeit im Besonderen und die Apartheid im Allgemeinen das Land in eine Katastrophe führen würde. Die erhöhte Kapitalintensität erforderte gut ausgebildete Arbeitskräfte. Die Strategie der Herrschenden zielte nun auf die Förderung einer afrikanischen Mittelschicht ab. Des Weiteren setzte man auf Gewerkschaften, die in der Lage waren, den Klassenkampf zu kontrollieren. Dies setzte natürlich voraus der schwarzen Bevölkerung dieselben politischen Rechte zuzugestehen wie den Arbeiten in den metropolitanen Ländern. Die einzige Kraft, die so ein Programm durchsetzen konnte, war der ANC. Nachdem den Schlüsselsektoren des südafrikanischen Kapitals zugesichert worden war, dass die alten Forderungen nach Verstaatlichung des Bergbaus weder verfolgt noch umgesetzt werden würden, stand der Legalisierung des ANC nichts mehr im Wege. Letztendlich waren dies Forderungen der Vergangenheit und im Zeitalter der „Globalisierung“ kaum praktikabel. Angesichts der zunehmenden Verschlechterung der sozialen Situation in den 80er Jahren wurde selbst in den reaktionären und nationalistischen Kreisen der Weißen erkannt, dass der einzige Ausweg aus der Sackgasse des südafrikanischen Kapitalismus in einer vom ANC durchgeführten Modernisierung bestünde. Der ANC hat seit seinem Machtantritt die Strukturen des südafrikanischen Kapitalismus zwar nicht grundlegend geändert, allerdings konnte der Kapitalismus von der Politik des ANC in vielfältiger Hinsicht profitieren. So konnte er sich bspw. einen freieren und ungehinderten Zugang zu den Märkten des restlichen Afrika erschließen und seine Handelsbeziehung mit China, Indien und Brasilien intensivieren. Die Politik des sog „Black Empowerment Programms“ (BBE) führte zur Herausbildung einer reichen schwarzen Elite, die natürlich keinerlei Interesse an grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen hat, aber nach wie vor in den politischen Spitzenpositionen des ANC sitzt. Politiker wie Cyril Ramaphosa, früher Vorsitzender der Bergarbeitergewerkschaft NUM, oder Tokyo Sexwale, ein ehemaliger Gefängnisinsasse von Roben Island wurden durch das BEE zu den reichsten Männern Südafrikas. Beide sind nach wie vor Mitglieder des Nationalkomitees des ANC. All dies zeigt einmal mehr, wie der ANC zu einem ausführenden Organ des südafrikanischen Kapitals wurde. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Bündnis der ArbeiterInnenklasse mit dem ANC richtig war. Unsere Antwort ist ein kategorisches Nein.

Die ArbeiterInnenklasse und der „nationale Befreiungskampf“

Heute ist ein grundlegendes Axiom des Marxismus, dass die ArbeiterInnenklasse sich den Kräften der Bourgeoisie, wozu natürlich auch bürgerlich nationalistische Kräfte gehören, politisch nicht unterordnen darf. Wir haben diesbezüglich in der Vergangenheit viele Texte veröffentlicht, in denen wir (auch am Beispiel Südafrika) die Gefahren einer Unterordnung des Klassenkampfes unter die Belange des sog. „nationalen Befreiungskampfes“ aufzeigten. Die Ereignisse seit 1994 haben diese Warnungen mehr als bestätigt. Stattdessen traten und treten wir für die Klassenautonomie ein, den Interessenskampf der ArbeiterInnen unabhängig und gegen alle Fraktionen der Bourgeoisie. Diese Perspektive wird nach wie vor von einem regelrechten Nebel des Liberalismus und einer rein moralisch intendierten Empörung über den Rassismus verschleiert. Das Ergebnis sind große Konfusionen wie bspw. das Gerede über einen angeblichen Verrat des ANC oder allerlei Projekte die Führung des ANC zu reformieren, deren Scheitern schon jetzt vorprogrammiert ist. Die meisten Argumente, die von Stalinisten und Trotzkisten zur Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes vorgebracht werden, wurzeln in der Annahme, dass die Apartheid für den südafrikanischen Kapitalismus grundlegend war, und ein Ende der Apartheid zwangsläufig zu seinem Zusammenbruch führen würde. Davon erhofften sie sich ferner eine Schwächung des westlichen Kapitalismus. Wie sich zeigte, waren all diese Annahmen kompletter Unsinn. Als Folge der Abschaffung der Apartheid steht der südafrikanische Kapitalismus nun stabiler den je da, der westliche Imperialismus wurde gestärkt und in der Frage der Perspektiven des Klassenkampfes gibt es die größten Konfusionen. Der Argumentation der Befürworter nationaler Bewegungen liegt die theoretische Debatte zwischen Lenin und anderen Kommunisten wie Bucharin, Pjatakow, Rosa Luxemburg u.a. über die Frage der Unterstützung nationaler Kämpfe zugrunde. Die damals u.a. von Rosa Luxemburg vertretene Position, dass in der Epoche des Imperialismus die Unterstützung nationaler Bewegung unproduktiv und in letzter Konsequenz reaktionär sei, wurde in den letzten 100 Jahren immer wieder bestätigt. Gleichwohl basierten die von der Dritten Internationale verabschiedeten „Thesen über die nationale und koloniale Frage“ auf einem Kompromiss der Sichtweise Lenins, der eine zeitweise Zusammenarbeit mit lokalen Bourgeoisien für erstrebenswert hielt und der Position von Kommunisten (wie bspw. M.N. Roy oder Avetis Sultan-Zadeh), die für eine direkte unabhängige klassenorientierte Kampfstrategie eintraten. Dieser Kompromiss hatte ernsthafte Folgen für die revolutionäre Bewegung. Am deutlichsten traten die Konfusionen der Komintern 1926-1927 in China zutage, als Stalin unter Berufung auf die besagten „Thesen“ die chinesische Kommunistische Partei anwies ein Bündnis mit der bürgerlichen Kuomintang von Tschiang Kai Tchek einzugehen. Das Ergebnis dieser Politik war ein blutiges Massaker an den kommunistischen ArbeiterInnen von Kanton und Shanghai. Lenin entwickelte seine Position zu nationalen Frage am Vorabend des Ersten Weltkrieges unter der Annahme, dass in Russland noch eine bürgerlich demokratische Revolution auf der Tagesordnung stünde. Zwar modifizierte er im April 1917 seine Sichtweise bezüglich der Perspektiven und des Klassencharakters einer Revolution in Russland, zog daraus jedoch nicht alle Konsequenzen. Wenn man davon ausgeht, dass die kommunistische Revolution auf der Tagesordnung steht, dann muss diese Revolution (wie die Bolschewiki auch immer wieder betonten) international sein. Die Unterstützung bürgerlich nationalistischer Bewegungen kann in diesem Kontext nur zur Untergrabung und Schwächung des Kampfes für den Kommunismus führen. Lenins Unterstützung von Bewegungen der „nationalen Selbstbestimmung“ in Europa untergruben die Perspektive der Befreiung der ArbeiterInnenklasse. Diese Konfusionen traten noch stärker zutage, als Lenin in den Debatten der Dritten Internationale für die Unterstützung nationaler Bewegungen in den Kolonien argumentierte, da diese den Imperialismus der Kolonialmächte schwächen würden. Lenin knüpfte hier an seiner früheren Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ an, wo er argumentierte, dass die Kolonien für die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Herrschaft elementar sei:

Einzig und allein der Kolonialbesitz bietet volle Gewähr für den Erfolg der Monopole gegenüber allen Zufälligkeiten im Kampfe mit dem Konkurrenten... (7).

Lenin ging davon aus, dass die Kolonien die Quelle von „Extraprofiten“ seien, mit denen die imperialistischen Mächte die ArbeiterInnen in den Metropolen bestechen würden, um so den sozialen Frieden herzustellen:

Es ist klar, dass man aus solchem gigantischen Extraprofit (denn diesen Profit streichen die Kapitalisten über den Profit hinaus ein, den sie aus den Arbeitern ihres `eigenen` Landes herauspressen) die Arbeiterführer und die Oberschicht der Arbeiterklasse bestechen kann. Sie wird denn auch von den Kapitalisten der `fortgeschrittenen` Länder bestochen – durch tausenderlei Methoden, direkte und indirekte, offene und versteckte (8).

Das Abschneiden von dieser Quelle der Extraprofite würde Lenin zufolge die kapitalistischen Kernländer in die Krise stürzen und demzufolge eine Revolution erleichtern. Doch im Zuge der sog. „Entkolonialisierung“ nach dem Zweiten Weltkrieg kam es keinesfalls wie von Lenin erwartet zu einer tiefgreifenden Krise in den kapitalistischen Zentren. Das lag und liegt daran, dass der Kapitalismus ein globales System ist und sich die Auspressung und die Verteilung von Mehrwert auf globaler Ebene vollzieht. Die Ersetzung kolonialer bürgerlicher Regime durch neue lokale Bourgeoisien ändert dieses System nicht grundlegend. Lenin ging ferner davon aus, dass die nationale Revolution in den Kolonien zeitgleich mit der kommunistischen Revolution in den kapitalistischen Zentren ausbrechen und diese befördern würde:

Die soziale Revolution kann nicht anders vor sich gehen als in Gestalt einer Epoche, in der der Bürgerkrieg des Proletariats gegen die Bourgeoisie in den fortgeschrittenen Ländern mit einer ganzen Reihe demokratischer und revolutionärer Bewegungen verbunden ist, darunter auch mit nationalen Befreiungsbewegungen der unentwickelten, rückständigen und unterdrückten Nationen (9).

Doch das Gegenteil ist der Fall. Eine kommunistische Revolution kann nur als Weltrevolution von statten gehen. Wie die Geschichte gezeigt hat, kann eine nationale bürgerliche Bewegung den Prozess der Weltrevolution auch nicht befördern. Vielmehr war und ist das Gegenteil der Fall. Die Fehler Lenins und der Dritten Internationale haben ein schwieriges Erbe hinterlassen, an dem der linke Flügel der Bourgeoise nur zu gerne anknüpft. Im Fall von Südafrika wurde eine ganze Palette schräger Argumente (die Existenz einer weißen Arbeiteraristokratie, die Theorie nach der die Extraprofite den ArbeiterInnen in den Kernländern zu Gute kämen oder die Idee, dass eine bürgerlich nationalistische Revolution in den unterentwickelten Ländern den ArbeiterInnen kämpfen in den Metropolen förderlich sei) bis zur letzten Karte ausgespielt, um die Unterordnung des Klassenkampfes unter die nationale Bewegung zu rechtfertigen. Angesichts der fortschreitenden Globalisierung des Kapitals ist heute ein Nationalstaat in dem Sinne „national“ wie eine Bourgeoisie über die Bevölkerung eines Landes oder Territoriums herrscht. In letzter Konsequenz muss sie sich jedoch an Erfordernissen des internationalen Kapitals orientieren und im Rahmen bestimmter imperialistischer Bündniskonstellationen agieren. Dies kann man z.B. auch an dem Umstand ersehen, dass der Machtantritt des ANC durch den Druck der Finanzsanktionen des europäischen und US-amerikanischen Kapitals erleichtert und befördert wurde. Nachdem die Gefahr einer weiteren russischen Einflussnahme in Afrika im Jahr 1989 weitgehend gebannt war, wurde dieser Druck immer entschiedener.

Nach 18 Jahren an der Macht sind der ANC und der afrikanische Nationalismus vollkommen diskreditiert. Was es nun braucht, ist ein klarer Bruch mit den Kräften des Nationalismus und seinen Verbündeten wie der COSATU und der SACP. Hierbei handelt es sich eindeutig um bürgerliche Kräfte, die der Emanzipation der ArbeiterInnenklasse im Wege stehen. Zukünftige Kämpfe müssen sich außerhalb und gegen den Bezugsrahmen dieser Organisationen entwickeln. Sie müssen nationalistische und rassistische Spaltungslinien überwinden und sich auf dem Klassenterrain mit den weltweiten Klassenkämpfen für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und die Errichtung einer neuen, einer kommunistischen Welt vereinigen.

CP

(1) Siehe Ayanda Kota zit. in Counterfirecounterfire.org.

(2) Karl Marx: Das Kapital, MEW Bd. 23, Seite 793.

(3) Karl Marx: Das Kapital, MEW Bd. 23, Seite 793.

(4) Zit. nach The Political Economy of Race and Class in South Africa, B M Magubane, Monthly Review Press.

(5) Zit. nach: Mandela authorised biography, Anthony Sampson 1999.

(6) Nelson Mandela: Long Walk to Freedom, Seite 435.

(7) Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Seite 82.

(8) Ebenda. Seite 13.

(9)Lenin, Band 23, Seite 53.

Tuesday, November 13, 2012