Shades of Grey: Rojava, der „Spirit of 36“ und das Wolkenkuckucksheim der „Linken“

Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. (…) Die Tradition der toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden. Die soziale Revolution (…) kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft. Sie kann nicht mit sich selbst beginnen, bevor sie allen Aberglauben an die Vergangenheit abgestreift hat. Die früheren Revolutionen bedurften der weltgeschichtlichen Rückerinnerung um sich über ihren eigenen Inhalt zu betäuben. Die Revolution (…) muss die Toten begraben lassen, um bei ihrem eigenen Inhalt anzukommen.(Karl Marx)

Das Auftauchen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) leitete eine neue Runde blutiger Verteilungskämpfe in der ohnehin schon krisengeschüttelten des Mittleren Ostens ein. Erwartungsgemäß führte diese Entwicklung auch im buntscheckigen Spektrum der Restlinken zu Verunsicherungen, weiteren Verwirrungen und allerlei politischen Bocksprüngen. Zunächst erwies sich der Terror des IS maßgeblich für jene Gruppen und Grüppchen trotzkistischer oder stalinistischer Provenienz als Problem, die islamistischen Bewegungen traditionell einen „objektiv antiimperialistischen Charakter“ andichteten. Das Umwerben von Vereinen wie der libanesischen Hisbollah oder der palästinensischen Hamas als potentielle Bündnispartner gegen den erklärten Erzfeind Israel galt in weiten Teilen der Linken als „normal“ bzw. Ausweis „antiimperialistischer“ Gesinnung. In Anbetracht der schier unfassbaren Gräueltaten des IS wurde diese Verklärung des Islamismus zunehmend unbequem, weswegen sich selbst ein dümmlich reformistisches Spartenblatt wie „Marx21“1 zu einer (erwartungsgemäß antisemitisch grundierten) Frontbegradigung bemüßigt sah:

Die Hamas stellt eine in Gaza gewählte Regierung, deren bewaffneter Arm sich gegen den barbarischen Angriff der übermächtigen israelischen Besatzungsmacht zur Wehr setzt. In Gaza herrscht kein Regime, das mit den harschen Regeln des „Islamischen Staates“ zu vergleichen wäre. (…) Die Hamas schneidet auch keinen amerikanischen Journalisten die Kehle durch, sondern wäre froh wenn ihr Standpunkt in den westlichen Medien auftauchen würde.(2)

In der Tat würde die Hamas ihren Vernichtungsantisemitismus auch gerne auf CNN propagieren. Vorerst muss sie sich aber wohl auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren: Den täglichen Tugendterror gegen Frauen, das öffentliche Foltern und Hinrichten von angeblichen „Kollaborateuren“, das Erhängen von Homosexuellen …- was in der pathologischen Weltsicht des „antizionistischen“ Philisters selbstredend ein himmelweiter Unterschied zur Enthauptungspraxis des IS ist.

Mit dem Vormarsch des IS und den Kämpfen um die Stadt Kobane traten diese ideologischen Verrenkungen in den Hintergrund. Eine wenig reflektierende, dafür aber gerne reflexartig reagierende „Linke“ wurde sich sehr schnell einig. Die Schlacht um Kobane wurde allgemeinhin als Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Faschismus und Zivilisation mit enormem emanzipatorischem Entwicklungspotential interpretiert. Schnell wurden schiefe Analogien zum „Spanischen Bürgerkrieg hergestellt. „No Pasaran!“ oder „Halt stand rotes Kobane!“ lauteten die Parolen. In Anbetracht des menschenverachtenden Vorgehens des IS stieß diese gleichermaßen emotionalisierende wie moralisierende Propaganda auf fruchtbaren Boden. Zuweilen mit äußerst tragischen Ausgang.

Ich kann die schönsten Farben nicht mehr auseinander halten, den Wind der Stadt spüre ich nicht mehr auf meiner Haut, das Singen der Vögel hört sich stärker nach dem Ruf der Freiheit an. Ich habe einen Entschluss gefasst, (…) Ich will ein Teil der Revolution in Rojava sein

schrieb die 19jährige Ivana Hoffmann, kurz bevor sie als Mitglied einer bewaffneten Einheit der stalinistischen MLPK („Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei“) in der Nähe des kurdischen Ortes Til Temir ums Leben kam.(3) Laut Bekanntmachung der MLKP habe sie„ein Widerstandsepos geschrieben“ und sich „in die Unendlichkeit verabschiedet."(4)

Derart grotesk kitschige und im Kern zynische Verklärungen blieben nicht auf das Spektrum der autoritär strukturierten „Linken“ beschränkt. Auch im anarchistischen Milieu machte sich die Vorstellung breit, dass in Rojava eine „Revolution“ im Gange sei, die durchaus mit den Ereignissen in Spanien 1936 vergleichbar sei. Benannt sei in diesem Zusammenhang nur der selbsterklärte Anarchist und Anthropologieprofessor David Graeber, der im Oktober 2014 im britischen „Guardian“ einen Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Warum ignoriert die Welt die revolutionären Kurden“ veröffentlichte. Graebers Text fand weite Beachtung, was mitunter auch dem Umstand geschuldet war, dass er einen betont subjektiven und emotionalen Zugang wählte um seine These zu stützen:

1937 meldete sich mein Vater als Freiwilliger für den Kampf bei den Internationalen Brigaden zur Verteidigung der spanischen Republik. Ein potenzieller Faschisten-Coup wurde vorübergehend durch einen von Anarchisten und Sozialisten angeführten Aufstand der Arbeiter verhindert und es folgte fast überall in Spanien eine echte soziale Revolution, die dazu führte, dass ganze Städte eine direkte demokratische Führung erhielten, Industrien durch Arbeiter kontrolliert wurden und es zu einer radikalen Selbstbestimmung der Frauen kam. Die spanischen Revolutionäre hofften, die Vision einer freien Gesellschaft zu schaffen, der die gesamte Welt folgen sollte. Stattdessen erklärten die Weltmächte eine Politik der »Nichteinmischung« und erhielten eine Blockade der Republik aufrecht, auch nachdem die angeblichen Unterzeichner Hitler und Mussolini begannen, Truppen und Waffen zur Verstärkung der faschistischen Seite ins Land zu bringen. Das Resultat war ein jahrelanger Bürgerkrieg, der in der Zerschlagung der Revolution und einem der blutigsten Massaker eines blutigen Jahrhunderts endete. Ich hätte nie gedacht, dass ich erleben muss, dass sich dasselbe erneut ereignet.(5)

Spanien 1936-1938“ ist so etwas wie die „Dolchstoßlegende“ der bürgerlichen „Linken“. Doch bezeichnenderweise scheiterte der von ihnen propagierte „Antifaschismus“ in Spanien gerade da, wo er Effektivität vorgaukeln wollte (und in all seinen Facetten immer noch will) – die Verwandlung der Demokratie in eine Diktatur im breitest möglichen Bündnis aller Gutmenschen verhindern zu wollen. Bevor wir uns also den Mystifikationen um Rojava zuwenden, müssen wir uns eingehender mit dem „Mythos Spanien“ auseinandersetzen.

Der historische Kontext des Spanischen Bürgerkrieges

Der Militärputsch vom 18 Juli ereignete sich in einem Klima zunehmender politischer Polarisierungen und verschärfter Klassenkämpfe. Gleichwohl wurde die Volksfrontregierung aus Liberalen und Sozialisten vom Putsch vollkommen überrascht und stand dem Treiben der Militärs weitgehend hilf- und tatenlos gegenüber. All ihre Versuche mit den Putschisten zu einer Verständigung und einem Kompromiss zu kommen scheiterten kläglich. Überall dort wo die Aufrufe der Regierungsparteien zu Ruhe und Ordnung befolgt wurden, setzten sich in der Regel die Putschisten durch. Faschistischer Terror und blutige Repression waren die Folge. Doch in weiten Teilen Spaniens stieß der Putsch auf den spontanen Widerstand der ArbeiterInnenklasse. ArbeiterInnen traten in den Streik, gingen massenhaft auf die Straße und stellten sich den Putschisten entgegen. Als sich die Volksfrontregierung weigerte Waffen auszugeben, stürmten sie die Kasernen und bewaffneten sich selbst. Die spontane Aktion der Klasse vereitelte nicht nur den Putsch, der zum Fiasko zu werden drohte, er paralysierte den gesamten Staatsapparat. Wie bei vorherigen Aufständen und Revolten handelten die spanischen Massen radikaler und konsequenter als die Führungen ihrer Organisationen, allerdings gingen sie nicht über deren Bezugsrahmen hinaus.

AnarchistInnen an der Regierung

„Sie haben gesiegt, Sie können bestimmen“, erklärte der katalanische Regierungschef Lluis Companys gegenüber der Führung der anarchistischen Massengewerkschaft CNT.(6) Doch die AnarchistInnen machten wenig Anstalten, dem angeschlagenen Staatsapparat den Rest zu geben. „Freiheitlicher Kommunismus kommt jetzt nicht in Betracht. Lasst uns zuerst die Meuterei zertreten“ erklärte das katalanische Regionalkomitee der CNT.7 Die CNT blies den für den 23. Juli anberaumten Generalstreik ab. Am 26. Juli rief das katalanische Regionalkomitee die Mitglieder CNT auf „nicht weiter (zu) schauen“ als bis „zur Niederschlagung des Faschismus“. Dieser Entscheidung lag die Einschätzung zugrunde, dass der Klassenkampf und die Perspektive der sozialen Revolution dem Kampf gegen den Faschismus untergeordnet werden müsse. Im Sinne dieser antifaschistischen Logik traten die AnarchistInnen zunächst in die katalanische Regionalregierung und später in die Madrider Zentralregierung ein. Damit wurden die AnarchistInnen Teil einer bürgerlichen Regierung, deren erklärtes Ziel die Verteidigung der „Demokratie“, also derselben bürgerlichen Ordnung war, die den Faschismus hervorgebracht hatte. Diese politische Agenda wurde von den AnarchistInnen vollauf akzeptiert und verinnerlicht. „Wir sagen erst Krieg dann Revolution. Die Regierung alleine darf befehlen“ hieß es in der anarchistischen Presse. Gegenüber der eigenen Basis wurde dieser Schritt als revolutionäre Tat ausgegeben. Das anarchistische Zentralorgan „Solidaridad Obrera“ feierte den Regierungseintritt

als den vorzüglichsten Tag in der Geschichte unseres Landes (…) die Umstände haben das Wesen der spanischen Regierung und des spanischen Staates verändert. Die Regierung, das Instrument, das die Staatsorgane lenkt, hat aufgehört die Unterdrückungsgewalt gegen die Arbeiterklasse zu sein, wie auch der Staat nicht mehr das Gebilde ist, das die Gesellschaft in Klassen scheidet. Beide werden jetzt mit dem Eintritt der CNT das Volk noch weniger unterdrücken.(8)

Eine soziale Revolution?

Letztendlich führte dies zur Abkehr von jeder Klassenpolitik und zur Auslieferung der erkämpften revolutionären Ansätze an die Bourgeoisie. Dies ist eines der düstersten Kapitel in der Geschichte der anarchistischen Bewegung, wie selbst einige anarchistische Autoren und Historiker einräumen müssen. Graeber u.a. stellen die Geschichte auf den Kopf. Für sie erklärt sich die Niederlage der „libertären Revolution“ aus den Waffenlieferungen Hitlers und Mussolinis an Franco. Doch es war in erster Linie die Unterordnung und Aufgabe der sozialrevolutionären Perspektive unter die militärischen Erfordernisse des „antifaschistischen Kampfes“, die zur Niederlage führte. Wir behaupten nicht, dass es damals eine Garantie für eine erfolgreiche soziale Revolution gegeben hätte. Es ist müßig im Nachhinein darüber zu spekulieren. Fest steht jedoch, dass die ersten Ansätze einer sozialen Revolution bereits im Keim erstickt wurden. Grundlage einer jeden sozialen Revolution ist das bewusste selbsttätige Handeln der Menschen. In diesem Sinne stellten die Kollektivierungen und die vielfältigen, maßgeblich von AnarchistInnen initiierten sozialen Experimente in den Städten und Dörfern Vorwegnahmen einer besseren Gesellschaft dar. Allerdings müssen auch anarchistische Autoren wie Jose Peirats und Vernon Richards einräumen, dass die Kollektive alles andere als ideale Ausdrücke des libertären Kommunismus waren. Oftmals wurden von Franco-Anhängern verlassene Fabriken einfach übernommen und weitergeführt wie bisher. So gibt auch Vernon Richards unumwunden zu, dass viele selbstverwaltete landwirtschaftliche Kollektive nicht anders als eine „Art kollektiver Kapitalismus“ funktionierten.(9)Doch die Stärken und Schwächen dieser Organe und Kollektive sind zunächst einmal irrelevant. Die soziale Revolution dreht sich in erster Linie um die Frage der Zerschlagung des bürgerlichen Staates. Einige AnarchistInnen mochten sich der Illusion hingeben, dass die Gesetze des bürgerlichen Staates in ihren Kollektiven und Gemeinden nicht mehr galten. Doch das waren Illusionen, die sich letztendlich als tödlich erwiesen. Schon damals warnten RevolutionärInnen eindringlich vor diesen Gefahren. So erklärten bspw. die RätekommunistInnen der niederländischen „Groep van Internationale Communisten“ (GIC):

Wenn die Arbeiter wirklich eine Verteidigungsfront gegen die Weißen bilden wollen, können sie das nur unter einer Bedingung: Sie müssen selber die politische Macht erobern, anstatt sie in den Händen der Volksfrontregierung zu lassen. Die Verteidigung der Revolution ist nur auf der Grundlage der Diktatur des Proletariats, auf der Grundlage der Arbeiterräte möglich und nicht auf der Basis einer Zusammenarbeit aller antifaschistischer Parteien. Die Zerstörung des alten Staatsapparats und die Ausübung der Macht durch die Arbeiter selber, sind die Achsen der proletarischen Revolution.(10)

Zu einem ähnlichen Urteil kamen die GenossInnen der „Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken“:

die historische Erfahrung hat gezeigt, dass vor der Abschaffung der politischen Macht der Bourgeoisie keine Rede von Kollektivierung, von Arbeiterkontrolle, von sozialistischer Revolution sein kann.

Die politischen Rahmenbedingungen

In Spanien stellten sich die politischen Ausgangsbedingungen der ArbeiterInnenklasse anders da als im restlichen Europa. Die spanische Bourgeoisie hatte sich nicht am Ersten Weltkrieg beteiligt und eine neutrale Position eingenommen. Den spanischen ArbeiterInnenorganisationen war der Lackmustest des Krieges (vorerst) erspart geblieben. So konnten sich die sozialdemokratische PSOE und die anarchistische CNT trotz ihrer verhängnisvollen Politik (bspw. während des ArbeiterInnenaufstands in Asturien) ihrer Basis gegenüber immer noch als proletarische Organisationen ausgeben. Nach der Niederschlagung der durch den Ersten Weltkrieg hervorgebrachten revolutionären Welle befand sich die ArbeiterInnenklasse im restlichen Europa in der Defensive. Diese schweren Niederlagen der revolutionären Bewegungen ebneten in Italien und Deutschland dem Faschismus den Weg. In Spanien war die ArbeiterInnenklasse zwar ungeschlagen, stand aber wie die „Groep von Internationale Communisten“ (GIC) damals richtig konstatierte, international isoliert da:

Die spanischen Arbeiter stehen nicht einem kriegsgeschwächten Westeuropa, sondern einem gestärkten Kapitalismus gegenüber. Eine proletarische Revolution in Spanien ist nur als Teil einer Revolution in ganz Europa möglich. Ein Sieg des Proletariats in Spanien (gemäß der trotzkistischen Konzeption. Einführung des Sozialismus in einem Land) steht außer Frage, solange das Kapital der Herr und Meister in Europa bleibt, solange die Revolution nicht auch anderswo ausbricht.(11)

Dieser Perspektive standen mächtige Kräfte entgegen. Graeber ist sehr ungenau wenn er schreibt, dass sich alle Großmächte auf eine Politik der Nichtintervention verlegt hatten. Dies mag auf die zynische Politik der britischen und französischen Bourgeoisie zutreffen, die sich aus unterschiedlichen Gründen bedeckt hielten. Doch für die außenpolitischen Ambitionen der UdSSR erwies sich Spanien als lohnendes Interventionsfeld, um außenpolitische Geländegewinne zu erzielen und sich dabei noch die spanischen Goldreserven (damals immerhin die größten der Welt) unter den Nagel zu reißen. Die vielbeschworene „sowjetische Waffenhilfe“ gab es nicht für lau. Sie fiel weitaus bescheidener aus als in der stalinistischen Propaganda und bürgerlichen Geschichtsschreibung dargestellt, war an viele politische Bedingungen geknüpft und, wie der italienische Anarchist Camillo Berneri schrieb, „von konterrevolutionären Erwägungen diktiert“. Fortan gaben russische Diplomaten und Militärexperten den Ton an. Die Kräfteverhältnisse begannen sich grundlegend zu verschieben."Der spanische Krieg, dem aller Glaube, alle Größe genommen worden ist, bleibt Ringen auf Leben und Tod, ist aber kein Krieg mehr, der eine neue Ordnung und eine neue Menschheit verheißt“,schreib ein anarchistischer Milizionär von der Huesca-Front.(12)

Weitaus klarer und deutlicher brachten die LinkskommunistInnen der holländischen GIC die Lage der Dinge auf den Punkt:

Der Kampf in Spanien nimmt den Charakter eines Krieges der großen imperialistischen Mächte an. Die ausländischen Waffenlieferungen haben den Kampf auf das militärische Terrain verschoben und damit notwendigerweise das spanische Proletariat den imperialistischen, vor allem aber den russischen Interessen unterworfen.(13)

Genau das der Zweck von Stalins Intervention: Jeder Ansatz einer potentiell revolutionären Bewegung, die als Attraktionspol und Alternative zum stalinistischen Herrschaftsmodell hätte dienen können, sollte im Keim erstickt werden.

„Antifaschismus“ versus Revolution

Mit dem Eingreifen der UdSSR gewann die ursprünglich sehr kleine spanische KP immer mehr an Einfluss. Im Rahmen der von Moskau vorgegeben Volksfrontpolitik präsentierte sich die KP als Partei der Ordnung und bürgerlichen Gesetzlichkeit und wurde damit zum Anziehungspol des Kleinbürgertums, welches sich von den AnarchistInnen bedroht sah. Stalinisten erlangten Ministerposten und brachten den Polizei- und Geheimdienstapparat unter ihre Kontrolle. Altgediente stalinistische Handlanger spannten ein engmaschiges Netz, um Jagd auf Revolutionäre zu machen.

Was Katalonien betrifft, hat die Hinaussäuberung der Trotzkisten und Anarchosyndikalisten bereits begonnen; sie wird mit aller Energie wie in der Sowjetunion durchgeführt werden

drohte die Prawda am 17. Dezember 1936.(14) Tatsächlich bauten die Stalinisten systematisch ihre Positionen aus, um gegen die Strukturen der POUM und schließlich der CNT vorzugehen. Als im Mai 1937 eine stalinistische Polizeipatroullie die von AnarchistInnen kontrollierte Telefonzentrale Barcelonas besetzten wollte, kam es zur offenen Konfrontation. Aus Protest gegen diese Provokation traten die ArbeiterInnen in den Streik und errichteten im gesamten Stadtgebiet Barrikaden. Nach Monaten „demokratischer“ Gängelung und Bevormundung forderten sie die Staatsautorität erneut heraus. Wieder einmal schienen die AnarchistInnen die „Herren der Stadt“ (Companys) zu sein, und wieder setzte die CNT auf einen Kompromiss mit der herrschenden Ordnung. CNT und POUM agierten mehr und mehr als Gefangene ihrer eigenen antifaschistischen Logik. Aus Angst sich dem „demokratischen Staat“ zu entfremden, riefen sie ihre Basis zur Wiederaufnahme der Arbeit auf, und untergruben damit ihre eigene Stärke und letztlich ihre politische Existenzbedingung. Zwar wurden die Auseinandersetzungen zwischen den AnhängerInnen von CNT und POUM auf der einen und den bewaffneten Einheiten der stalinistischen PSUC auf der anderen formell mit einem Waffenstillstand im Sinne der „antifaschistischen Einheit“ beigelegt, doch diese „Einheit“ zielte in erster Linie auf die Wiederherstellung der Staatsautorität. Die Stalinisten die aus diesem Kräftemessen gestärkt hervorgegangen waren, setzten nun zu einer regelrechten Hetzjagd auf Oppositionelle und sog. „unkontrollierbare Elemente“ an. Die POUM wurde verboten und ihre Mitglieder brutal verfolgt, die rebellischen Fraktionen der AnarchistInnen systematisch aufgerieben und die CNT soweit domestiziert, bis sie sich schließlich auch den „antifaschistischen“ Jargon der Macht zu eigen machte.

Lass uns den Defätisten und Pessimisten das Maul stopfen, die jede Gelegenheit nutzen, um von revolutionären Verlusten, Zusammenbruch und Verrat zu quasseln

dekretierte der Nationalrat der CNT im Mai 1938.(15) Ein unverhohlene Drohung an die letzten verbliebenen KritikerInnen. Der Anspruch des „Antifaschismus“ den demokratischen Staat am effizientesten zu verteidigen, führte zur Erstickung jeder Initiative und Selbstaktivität und schließlich zur Liquidierung von Widerspruch, Kritik und Subversion in Knästen und Folterkellern. Eine verhängnisvolle Entwicklung die schlussendlich Franco den Weg zum Sieg und damit zu weiteren Massakern ebnete. David Graeber hat Recht wenn er sagt, dass die soziale Revolution in Spanien zerschlagen wurde. Er vergisst jedoch zu erwähnen, dass Franco nur das Werk des „Antifaschismus“ zu vollenden brauchte, – einen „Antifaschismus“ den er nun wieder zu neuen Leben erweckten möchte.

Die Tradition der toten Geschlechter – „Linke“ Zombies entdecken Kurdistan

Gelernt hat die Linke aus dieser Niederlage wenig bis gar nichts. Stattdessen wurde der Spanische Bürgerkrieg im linken Geschichtsbild zum Heldenepos romantisiert. Die „heroische Verteidigung der spanischen Republik“ ist nach wie vor die Notenleiter nach der die diversen trotzkistischen und stalinistischen Sekten ihre Einheits- und Volksfrontoperetten daher trällern. Bis heute gilt einigen AnarchistInnen der Revolutionsverzicht von 1936 als Beleg libertärer Tugendhaftigkeit. Und wieder hat es den Anschein, als ob sich die Geschichte teilweise wiederholen würde. Nach der Tragödie folgt die Farce. Abermals schlüpfen Graeber und mit ihm diverse „Linke“ in die Kostüme der Vergangenheit, um kurdische Nationalisten gegen den „faschistoiden IS“ zu verteidigen.

Der IS ist fraglos eine reaktionäre und gefährliche Bande. Doch er kommt nicht aus dem Nichts. Man sollte sich den imperialistischen Kontext der Ereignisse in Syrien, der Türkei und dem Irak klarmachen, bevor man Leute dazu mobilisiert auf Seiten der kurdischen Nationalisten zu kämpfen. Ohne die Besatzung des Irak durch die USA wäre der IS gar nicht entstanden. Ohne die militärische Unterstützung der sunnitischen Regime in Saudi Arabien und Katar wäre der IS heute nichts. Auf der anderen Seite versucht das kurdische Regime Barzanis im Nordirak aber auch die PKK/PYD in Syrien aus der entstandenen Situation den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Damals wie heute sind es die machtpolitischen Ziele im imperialistischen Ränkespiel, die die Ideologien und politischen Etiketten diktieren.

Die „kommunalistische Wende“ der PKK: Wenn Nationalisten Karriere machen

Doch das interessiert Graeber und Co nicht im Geringsten. Die verständliche Abscheu über den Terror des IS auf der einen, und die Charmeoffensive von PKK/PYD auf der anderen Seite haben ihre Spuren hinterlassen. Dies hat zu einer Situation geführt in der völlig unreflektiert die Propaganda der PKK nachgeplappert und zudem noch mit einem „libertären Gesellschaftsentwurf“ identifiziert wird. So schreibt David Graeber:

Die PKK hat erklärt, dass sie nicht länger versucht, einen kurdischen Staat zu schaffen. Stattdessen hat sie, teilweise inspiriert durch die Vision des Sozialökologen und Anarchisten Murray Bookchin, die Vision der »freien, städtischen Selbstverwaltung« übernommen und fordert, dass die Kurden freie, sich selbst regierende Gemeinschaften auf der Grundlage der Prinzipien direkter Demokratie gründen sollen, welche dann über nationale Grenzen hinweg zusammenkämen – von denen man hofft, dass sie im Laufe der Zeit immer bedeutungsloser würden. Auf diese Weise, schlugen sie vor, könnte der kurdische Kampf ein Vorbild für eine weltweite Bewegung in Richtung einer echten Demokratie, einer kooperativen Wirtschaft und der schrittweisen Auflösung des bürokratischen Nationalstaates werden.(16)

Völlig jenseitig wird die Argumentation wenn diese angebliche „libertäre Wende“ der PKK mit der „intellektuelle Bekehrung ihres Gründers Abdullah Öcalan“ erklärt wird.(17) Es ist richtig, dass die PKK ihre politische Rhetorik grundlegend modifiziert hat. Doch ändert das die Essenz ihrer nationalistischen Politik? Um diese Politik und die Gründe für die „kommunalistische Wende“ der PKK zu verstehen, sollte man einen kurzen Blick auf die Geschichte dieser Organisation werfen. Die PKK wurde 1978 vornehmlich von StudentInnen kurdisch/türkischer Herkunft gegründet. Wie viele andere kurdische/türkische Gruppen in dieser Zeit bezeichnete sich die PKK als „marxistisch-leninistische“ Partei mit dem Ziel einer „nationaldemokratischen Revolution“ und bezog sich positiv auf den Stalinismus. So wurde die UdSSR als „sozialistisches Land“ bezeichnet und Stalins Politik ausdrücklich verteidigt. Das entscheidende Unterscheidungs- und Abgrenzungskriterium zu den meisten anderen linken Organisationen in der Türkei war die Betonung der kurdischen Frage, die von der PKK als „Hauptwiderspruch“ bezeichnet wurde. Die PKK ging dabei von der Einschätzung aus, dass Kurdistan als Lieferant von Rohstoffen und Absatzmarkt von Industrieprodukten eine Kolonie der Türkei sei. Folgerichtig wurden die Klassenwidersprüche der kurdischen Gesellschaft in erster Linie als Ausdruck der Fremdbestimmung und nationalen Unterdrückung interpretiert. Die Selbstetikettierung der PKK als „Arbeiterpartei“ war angesichts dieser Analyse von Anfang an Makulatur und irreführend. Ihr ging es primär darum, Kurden verschiedenster sozialer Herkunft und Klassenzugehörigkeit nach nationalen Gesichtspunkten zu organisieren, bzw. unter Einschluss bürgerlicher Kräfte eine „Volksfront“ mit dem Ziel der nationalen Unabhängigkeit Kurdistans aufzubauen.

Organisatorisch zeichnete sich die PKK von jeher durch äußerst autoritäre und hierarchische Strukturen aus, die mit einer geradezu esoterisch anmutenden „Parteiphilosophie“ begründet wurde, der zufolge durch die PKK „neue besondere revolutionäre Persönlichkeiten“ entwickelt würden. In der Praxis bedeutete das ein striktes Verbot von Tabak, Alkohol und sogar individuellen, d.h. sexuellen Beziehungen. Interne Konflikte wurden nicht selten durch Säuberungen, Schauprozesse und Hinrichtung von Dissidenten geregelt. Um die Person des Generalsekretärs Öcalan wurde und wird bis heute ein geradezu patriarchaler Personenkult betrieben. (Er gilt seinen AnhängerInnen immer noch als „Serok“ (= „Führer“ ) Apo“) Der nationalistische Charakter der PKK wurde besonders in ihrer politischen Praxis immer wieder deutlich. So unterstützte sie zwar anfangs Landbesetzungen armer Bauern gegen bestimmte Großgrundbesitzer (die sog. Aghas), dennoch blieb ihr Verhältnis zu den Clans der Aghas stets ambivalent. Ausschlaggebend für ihre Haltung zu den verschiedenen Aghas war im Wesentlichen deren politische Positionierung zur türkischen Zentralmacht. So wurde das Eigentum kurdischer Großgrundbesitzer, die dem „nationalen Befreiungskampf“ aufgeschlossen gegenüber standen, bzw. unterstützten akzeptiert, ja sogar garantiert. Die ohnehin schon recht verwaschene „sozialistische“ Rhetorik trat zunehmend zugunsten von nationalistischen Ideologiefermenten zurück, die zuweilen deutlich völkische Formen annahmen. So versuchte bspw. Öcalan die Hindernisse und Probleme der PKK folgendermaßen zu erklären:

Der Patriotismus ist bei den Kurden in einer verlorenen, verzerrten, in der Nähe des Verrats befindlichen, betrüblichen Situation. (…) das Stück Erde, das sogar der ursprünglichste Clan als unentbehrlich betrachtete zeigt klar wie weit die Kurden hinter der Menschheit zurückgeblieben sind. (…) Die Kurden verlassen scharenweise ihr tausendjähriges Heimatland, um sich den Bauch zu füllen. Wenn man von Ehre und Stolz, von Recht und Gesetz spricht, dann werden wir sagen: Zuerst das Recht auf Patriotismus, zuerst die Pflicht die Heimat zu verteidigen. (…) Ein Verständnis der Menschheit, das sich nicht auf Patriotismus stützt, ist Kosmopolitismus. (…) Menschen, die ohne Heimat leben und von Demokratie und Sozialismus sprechen begehen ein niederträchtiges Verbrechen.(18)

An diesen Blut-und Bodenideologien anknüpfend war sich Öcalan auch nicht zu schade gegenüber dem Publizisten Günter Wallraff folgende an die Adresse des deutschen Imperialismus gerichtete „Selbstkritik“ zum Besten zu geben:

Ich gebe zum Schluss noch eine Selbstkritik für alle Deutschen ab. Leider wird das entwickelte Deutschland aufgrund der Rückständigkeit unseres Volkes etwas verschmutzt. Das macht mich traurig. Deutschland hätte diese Schlechtigkeit nicht zugefügt werden dürfen. Es gibt so viele kurdische Menschen ohne Arbeit. Sie kamen aus zerstörten Dörfern und sind auf illegalen Wegen nach Deutschland geschickt worden. Das hätte nicht passieren dürfen. Auch das war ein Verbrechen. Sie wurden in die Elendsviertel der Vorstädte gepfercht. Deswegen macht sich heute in Deutschland Rassismus breit. Berechtigterweise übrigens! Ich finde, auch die die Rechten sind im recht. Ich sage offen, ich denke an diesem Punkt nicht wie ein Sozialdemokrat. Die Rechten haben recht.(19)

Sicherlich kann man wie viele linke Bewunderer der PKK derartige völkische Ausfälle als einmalige Entgleisungen und Geschwätz von gestern abtun, bzw. verdrängen, verschweigen und vergessen wollen. Doch das ändert nichts an dem Problem, dass der Nationalismus für die Ideologie der PKK von jeher konstitutiv war. Wie jede andere nationalistische Organisation agierte die PKK von jeher nach der Maxime der Feind meines Feindes ist mein Freund als Teilelement in den innerimperialistischen Auseinandersetzungen. Sie war bei der Wahl ihrer Bündnis- und Dialogpartner niemals wählerisch und führte ihren „bewaffneten Kampf“ von jeher mit der Perspektive ein möglichst günstigen Ausgangspunkt für etwaige Verhandlungen zu erlangen. Es stimmt, dass die PKK schon seit längerer Zeit von der Forderung eines eigenständigen kurdischen Staates abgerückt ist. Doch dem lag keineswegs ein „libertärer Gesellschaftsentwurf“ sondern die politische Akzeptanz des imperialistischen Status quo zugrunde. Die geostrategischen Rahmenbedingungen haben sich in der gesamten Region grundlegend geändert. Vor diesem Hintergrund bemüht sich Öcalan schon seit Längerem, offenkundig von den Karrieren eines Nelson Mandela oder Garry Adams inspiriert, einen Deal mit der Türkei auszuhandeln. Dabei gibt sich das einstige Stalin –Double nun betont staatstragend:

Die Lösung, die ich der Gesellschaft der Türkei anbiete, ist einfach. Wir fordern eine demokratische Nation. Wir haben nichts gegen den unitären Staat und die Republik. Wir akzeptieren die Republik, ihre unitäre Staatsstruktur und den Laizismus. Aber wir glauben, dass der demokratische Staat neu definiert werden muss, indem die Völker, Kulturen und bürgerlichen Rechte geachtet werden. Auf der Grundlage dieser Rechte muss den Kurden eine demokratische Organisierung möglich sein, die den Raum für kulturelle, sprachliche, wirtschaftliche und ökologische Entfaltung bietet. Auf dieser Basis können sich Kurden, Türken und andere Kulturen unter dem Dach einer Demokratischen Nation Türkei versammeln. Dies ist jedoch nur möglich, wenn ihr ein demokratischer Nationenbegriff, eine demokratische Verfassung und eine fortschrittliche, multikulturelle Rechtsordnung zugrunde liegt.(20)

Abgesehen davon, dass die „unitäre Türkische Republik“ sich historisch auf Massakern, Genoziden und nationalistischer Unterdrückung gründete, impliziert die Anerkennung des bürgerlichen türkischen Staates die Akzeptanz kapitalistischer Ausbeutung. Eine libertäre Perspektive zur Überwindung von Herrschaftsverhältnissen sähe anders aus. Es bleibt abzuwarten inwieweit die PKK in nächster Zeit im politischen Ränkespiel des Mittleren Ostens Geländegewinne erzielen kann. Fest steht zur Zeit nur, dass sich die Kampfeinheiten des syrischen PKK Ablegers PYD durch die Verteidigung der Stadt Kobane und das Freikämpfen eines Fluchtkorridors für verfolgte Jesiden hohes moralisches und politisches Prestige erworben haben. So machte sich bspw. kein geringerer als der israelische Ministerpräsident Netanjahu für die Schaffung eines unabhängigen kurdischen Staates stark und rief dazu auf die „Bestrebungen der Kurden zu unterstützen.(21)

Dies alles freilich nicht ohne Hintergedanken bezüglich seines Rivalen Türkei, mit dem es heftigen Streit um die Ausbeutung von Erdgasvorkommen im Mittelmeer gibt. Für die PKK/PYD geht es nun vorrangig darum dieses Pfund in internationale politische Anerkennung umzumünzen, und sich der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition weiter als verlässlicher Partner anzudienen. Trotz heftiger Widerstände seitens der Türkei scheint dies teilweise auch geglückt zu sein. So konnte im Oktober 2014 ein Pressesprecher der YPG voller Stolz erklären:

Ein YPG-Vertreter höchstpersönlich sitzt in der Kommandozentrale, wo die Luftangriffe koordiniert werden, und vermittelt Informationen aus Kobane. Ohnehin wären die Angriffe aus militärischer Sicht unmöglich, würde die YPG nicht an Luftoperationen teilnehmen. Der Bodenkrieg dauert an und stündlich ändert sich die Situation vor Ort.(22)

Das Projekt Rojava: Mythos und Realität

Jene „Linke“ die angesichts dieser Entwicklung eine soziale Revolution im „wilden Kurdistan“ herbeihalluzinieren, sollten zur Abwechslung einmal statt auf Karl May auf Karl Marx zurückgreifen. Fürs erste würde jedoch ein Blick in die Tageszeitungen und die Meldungen einschlägiger Nachrichtenagenturen reichen. Von einer Revolution im Sinne des „radikalsten Brechens mit den bestehenden Eigentumsverhältnissen“ (Karl Marx) kann in Rojava jedenfalls keine Rede sein. Das „revolutionäre Experiment Rojava“ war in erster Linie Ausdruck eines im syrischen Bürgerkrieg entstandenen Machtvakuums. Als sich das Assad-Regime im Juli 2012 dazu entschloss, Truppen aus den kurdisch besiedelten Landesteilen abzuziehen, um sie für eine Offensive gegen Aleppo einzusetzen, nutzte der syrische PKK-Ableger PYD die Gunst der Stunde und übernahm mit seinen bewaffneten Einheiten die Kontrolle über Region. Diese faktische Machtübernahme vollzog sich ohne große Gewaltanwendung. Einige politische Beobachter führten diese Entwicklung auf einen Deal zwischen der PYD und dem Assad-Regime zurück. Ob das stimmt oder nicht sei dahingestellt. Fest steht, dass die PYD stets darum bemüht war, zwischen dem Assad-Regime und der syrischen Opposition zu lavieren, entstandene Widersprüche auszunutzen und zuvorderst die eigenen nationalen Belange voranzubringen.

Selbstverwaltung?

Nachdem die Einheiten der PYD das Zepter übernommen hatten, entstanden in Rojava allerlei lokale Komitees, die Verwaltungsaufgaben übernahmen und sich um Dinge des alltäglichen Bedarfs kümmerten. Gleichzeitig wurden jedoch diesen Komitees übergeordnete, quasi parlamentarische Strukturen, wie bspw. das „Hohe Kurdische Komitee“ aufgebaut, die sich vornehmlich aus Vertretern politischer Parteien und Organisationen zusammensetzten. In den linken Medien wurden und werden diese Strukturen gerne als Schritte zur „Selbstverwaltung“, ja sogar „Rätedemokratie“ abgefeiert. Der Begriff „Selbstverwaltung“ impliziert immer die Frage: „Selbstverwaltung“ von was? „Politische Partizipation“, die Einbindung der Subalternen bei der „selbstverwalteten“ Ausgestaltung bestehender Sachzwänge war von jeher ein probates Herrschaftsmittel. Von einer wirklichen Selbstermächtigung und Organisierung der Proletarisierten kann in Rojava nicht gesprochen werden. Das Gewaltmonopol über die „selbstverwalteten“ Strukturen liegt nach wie vor bei den bewaffneten Einheiten der PYD. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation „Kurdwatch“ sollen sie davon auch regen Gebrauch machen, um gegen KritikerInnen und DissidentInnen vorzugehen. Wenn schon schräge Analogien zum spanischen Bürgerkrieg gezogen werden sollen, dann kommt wohl die PYD der Rolle der Stalinisten am nähesten.

Multiethnisches Zusammenleben?

Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit sich die Ansätze eines friedlichen, multiethnischen Zusammenlebens in der Region behaupten können. Zwar spielt sich die PYD gerne als Verteidigerin ethnischer Minderheiten auf, doch ihre Politik wird nach wie vor von nationalistischen Elementen bestimmt. So zog bspw. der Vizechef der PYD, Salih Muslim in einem Interview mit dem Fernsehsender Serek TV die Möglichkeit eines Krieges mit den in der Region lebenden AraberInnen in Betracht. Mit „AraberInnen“ meinte er vornehmlich jene Menschen, die 1973 vom syrischen Regime im Rahmen einer Arabisierungskampagne in der Region zwangsangesiedelt wurden. Selbst Salih Muslim muss einräumen, dass viele dieser Menschen Opfer der Verhältnisse waren. Doch nach welchen Kriterien soll festgemacht werden, wer „Opfer der Verhältnisse“ war und wer nicht? Wenn man sich die Demographie der Länder des Mittleren Ostens näher anschaut (in Syrien liegt das Durchschnittsalter bei 22 Jahren) wird deutlich, dass der große Teil der arabischen Bevölkerung in den kurdischen Gebieten dort geboren wurde. Sie haben in andere Familien eingeheiratet und Kinder und Enkelkinder. Wie will die PYD zwischen „unrechtmäßig“ dort leben AraberInnen und „rechtmäßig“ lebenden KurdInnen unterscheiden? Wie würde die arabische Bevölkerung auf etwaige erneute Umsiedlung bzw. eine ethnische Säuberung reagieren? Für den Nationalisten Salih Muslim ist die Sache klar:

Eines Tages werden jene Araber die in die kurdischen Gebiete verbracht wurden von dort vertrieben werden müssen.(23)

Dies folgt der Logik ethnischer und nationalistischer Konflikte, wie wir sie im ganzen Mittleren Osten, der Ukraine und dem Kaukasus zur Genüge gesehen haben.

Frauenbefreiung?

Die Bilder von Frauen bewaffneter kurdischer Einheiten gingen um die Welt und zierten sogar die Titelblätter von Lifestyle -Magazinen wie „Marie Claire“ u.a. Was diese Bilder in den Köpfen diverser „Linker“ anrichteten, müsste einmal eingehender psychologisch untersucht werden. Die Dummdreistigkeit, mit der ein „Aufbruch der Frauen(24) in Rojava proklamiert wurde, sprengte jedenfalls jedes Fassungsvermögen. Es stimmt, dass Frauen in Rojava weitaus mehr Rechte haben als in vielen Teilen der Region, die von reaktionären patriarchalen Kräften und Despoten beherrscht wird. Gleichzeitig haben die Erfahrungen diverser nationalistischer „Befreiungs“bewegungen immer wieder gezeigt, dass erkämpfte und/oder zugestandene Frauenrechte immer dann zur Disposition gestellt wurden, wenn die nationale Agenda dies erforderte. Die Entwicklungsmöglichkeiten einer wirklichen Emanzipationsbewegung der Frauen sind in Rojava im wahrsten Sinne in ein enges Korsett geschnürt. Die vielbeschworene Existenz bewaffneter Fraueneinheiten (unter männlichem Oberkommando) sind jedoch weder Garant noch Gradmesser von Emanzipation. Macht etwa der „gleichberechtigte Dienst an der Waffe“ die Bundeswehr zum Hort der Emanzipation oder gar zu einer antiimperialistischen Kraft? Das iranische Regime hat eine lange blutige Tradition bewaffnete Fraueneinheiten in Kriegen zu verheizen. Fortschrittlich oder gar antipatriarchal wird es dadurch mitnichten? Selbst der IS ist mittlerweile auf den Trichter gekommen, Frauen in eigenen bewaffneten Einheiten einzusetzen. Als Selbstmordkommandos versteht sich …

Tat oder Gedanke?

Diese wenigen Beispiele sollten zur Genüge gezeigt haben, wie es um eine „Linke“ intellektuell bestellt ist, die das Projekt Rojava als „große Hoffnung“ abfeiert. Es sei dahin gestellt, ob sich die Faszination für die kurdischen Nationalisten nun aus der Vorliebe für Gruppenzwang, archaische Strukturen, die Idiotie des Landlebens oder den ausgeprägten Fetisch für staatskapitalistische Beglückungsmodelle speist. Die Affirmation dieser Verhältnisse ist dieser „Linken“ des Kapitals ohnehin zur zweiten Natur geworden. Die Zukunft von Rojava wird jedenfalls weniger von den moralinsauren Solidaritätsappellen der metropolitanen Linken sondern von imperialistischen Kräfteverhältnissen abhängen. Rojava ist nicht mehr und nicht weniger als ein weiterer Schauplatz eines weltweiten verschärften Ringens der Herrschenden um Energieressourcen und Macht- und Einflusszonen, einem Treiben, bei dem die Ausgebeuteten und Unterdrückten nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren haben. Die „linke“ Verklärung des sog „nationalen Befreiungskampfes“ bzw. des „nationalen Selbstbestimmungsrechtes“ kann und soll diesen Umstand nur weiter kaschieren. Sie ist „nichts als hohle kleinbürgerliche Phraseologie und Humbug(…). In der Tat, was soll dieses Recht bedeuten? Es gehört zum ABC der sozialistischen Politik, dass sie wie jede Art der Unterdrückung so auch die einer Nation durch die andere bekämpft.“(25) Eine „Linke_“, die als Gefangene ihrer Projektionsflächen „kritisch“ bei der Neuordnung der Machtverhältnisse im Mittleren Osten Schützenhilfe leistet, sollte zu ihrem „größten Schaden darüber belehrt werden, dass es eben unter der Herrschaft des Kapitalismus keine Selbstbestimmung der Nation gibt, dass sich in einer Klassengesellschaft jede Klasse der Nation anders ´selbstzubestimmen` strebt und dass für die bürgerlichen Klassen die Gesichtspunkte der nationalen Freiheiten hinter denen der Klassenherrschaft völlig zurücktreten.(26) Es ist unwahrscheinlich, dass sich die „Linke“ von diesen Argumenten Rosa Luxemburgs „belehren“ lässt, geschweige denn sie überhaupt zur Kenntnis nimmt. Zur Legitimierung ihrer kümmerlichen Existenz benötigen sie die tote Rosa und nicht die Lebendigkeit ihrer Theorien. Das unterstreicht einmal mehr, dass sich kommunistische Kritik des bestehenden Falschen momentan vorrangig als organisierte Publikumsbeschimpfung Geltung verschaffen muss.

Sicherlich ist es richtig und wichtig sich gegen reaktionäre Banden wie den IS zu wehren. Doch dieser Widerstand ist aussichtslos, wenn er sich nicht gleichzeitig gegen das kapitalistische System in seiner Gesamtheit richtet. Die Proletarisierten dieser Welt haben niemals die Wahl zwischen Demokratie oder Diktatur, zwischen dieser oder jener Herrschaftsform des Kapitalismus. Sie haben allenfalls die Wahl den Kapitalismus zu bekämpfen oder weiter ihre Haut als Ausbeutungsmaterial zu Markte zu tragen und in letzter Konsequenz auf den „killing fields“ dieses Systems zu verrecken:

Tat oder Gedanke? Für revolutionäre Sozialisten besteht nicht das Problem, eine Synthese aus diesen beiden (…) Begriffen herzustellen. Es geht darum, den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem solche falschen Alternativen entstehen zu zerstören.(27)

JW (21. Mai 2015)

Anmerkungen

(1)Marx 21“ ist die Nachfolgeorganisation der Idiotentruppe „Links“ruck. Sie agiert tief in Rektum des Apparats der Partei „Die Linke“. Sie ist für ihren Opportunismus berühmt und berüchtigt in ihren antisemitischen Argumentations- -und Deutungsmustern jedoch stringent.

(2) marx21.de

(3) arab.blogsport.de

(4) web.archive.org

(5) civaka-azad.org

(6) zit. nach: Joll, James: Die Anarchisten, Frankfurt a.M.- Berlin, o.J. Seite 1968

(7) zit. nach Broue`; Pierre/Temime, Emile: Revolution und Krieg in Spanien, Frankfurt 1968, Seite 156

(8) Ebenda Seite 255 ff.

(9) Richards, Vernon: Lessons of the Spanisch Revolution Seite 107 ff.

(10) PIC (Presdienst van de groep van Internationale communisten) Nr. 16, Oktober 1936, „Het anarchosyndicalisme in de spaansche revolutie“, zit. Bourrinet, Phillippe: La Gauche Communiste Germano-Hollandaise des origines à 1968, o.O., o.J. Seite 291

(11) Räte-Korrespondenz, Nr. 18/19, August 1936

(12) zit. nach Broue: Revolution und Krieg in Spanien, Seite 294.

(13) Räte-Korrespondenz Nr. 21, April 1937

(14) Broue: Revolution…, Seite 292

(15) Sana, Heleno: Die libertäre Revolution, Hamburg 2000, Seite 231

(16) civaka-azad.org

(17) Graeber in: Ebenda

(18) zit. nach Gruppe Demontage: Die antifordistische Guerilla, Münster 1998, Seite 218

(19) zeit.de

(20) freeocalan.org

(21) zeit.de

(22) kurdischenachrichten.com

(23) Salih Muslim erklärte wörtlich: „One day those Arabs who have been brought to the Kurdish areas will have to be expelled Siehe auch: peaceinkurdistancampaign.com

(24) jungewelt.de

(25) Luxemburg, Rosa: Die Russische Revolution, o.O. 1922, Seite 89

(26) Luxemburg, Rosa in: Ebenda Seite 91

(27) Brinton, Maurice: 1968.Die Subversion der Beleidigten: infopartisan.net

Friday, January 15, 2016