Das Brexit-Referendum: Ein weiteres Anzeichen für die Verschärfung der kapitalistischen Krise

Statement der Communist Workers`Organisation (CWO)

Das britische EU-Referendum mag vorbei sein, doch die Debatte geht weiter. Lasst uns zuerst eines klarstellen. Nirgendwo im Vereinigten Königreich hatte die ArbeiterInnenklasse irgendetwas von einem „Brexit“ oder einem „Remain“ zu gewinnen. Das Abstimmen für eine der beiden Scheinalternativen gab dem nationalen Kapital lediglich einen Blankoscheck für mehr Austerität. Großbritannien ist gespalten. Das stimmt. Doch die Trennungslinie verläuft nicht zwischen London und den Provinzen, zwischen England und Schottland oder zwischen Jung und Alt. Die wirkliche Trennungslinie verläuft zwischen jenen, die ihre Profite vermehren wollen, und jenen, die dafür mit niedrigen Löhnen, prekären Arbeitsbedingungen und einem sinkenden Lebensstandard bezahlen sollen. All jene, die an den Kampagnen für das Referendum teilnahmen, (egal ob nun für ein „Remain“ oder „Leave“) agierten auf einer nationalistischen und kapitalistischen Agenda, bei der es einzig um die Frage ging, was für Großbritannien das Beste sei. „Als internationalistische KommunistInnen haben wir nur eine klare Antwort: ArbeiterInnen haben nur eine Wahl – für die eigenen Interessen zu kämpfen: Lasst Euch nicht durch die Scheindebatten der Bosse hinters Licht führen!“, schrieben wir bereits im November letzten Jahres.1

Wir werden auf das Referendum und die Auswirkungen auf die ArbeiterInnenklasse später zurückkommen. Für den Moment ist es offenkundig, dass sich der Staub, der durch das Votum für den Brexit aufgewirbelt wurde, noch nicht verzogen hat. Camerons Rücktritt ohne einen Antrag auf Austritt nach Artikel 50 des Vertrags von Lissabon zu stellen, hat zu einer Periode der Unsicherheit geführt. Das bedeutet, dass das Votum für den Brexit längerfristig nicht nur auf Großbritannien und Europa sondern auch die restliche globale kapitalistische Welt Auswirkungen haben wird. Zweifellos werden die wichtigsten imperialistischen Spieler, der britische, amerikanische, französische und deutsche Staat und die nationalen wie transnationalen Konzerne die Zeit nutzen, um eine Lösung zu finden, die ihren Interessen am besten entspricht.

Die erste Frage, auf die wir eingehen müssen, lautet, warum die britische herrschende Klasse das alles geschehen ließ. Es ist nicht das erste Mal, dass die herrschende Klasse angesichts einer wachsenden wirtschaftlichen und politischen Krise sich kurzfristigen Zweckmäßigkeiten beugt und dies dann bereut, weil es langfristigen strategischen Interessen in die Quere kommt. Das klassische Beispiel hierfür ist vielleicht die Entscheidung des zaristischen Staates 1904 angesichts von Bauernaufständen und politischen Streiks auf einen „kurzen siegreichen Krieg“ zu setzen wie es der damalige Innenminister von Plehwe formulierte, um von den innenpolitischen Problemen abzulenken. So stürzte man sich in den Kampf mit Japan, dem „kleinen braunen Affen“ wie es Zar Nikolaus II formulierte, um dann festzustellen, dass Japan technologisch Lichtjahre voraus, und der Krieg weder kurz noch siegreich war. Weitaus schlimmer erwiesen sich die unmittelbaren Konsequenzen. Die anwachsende soziale Unzufriedenheit, die das Regime eigentlich in den Griff bekommen wollte, führte 1905 beinah zum Sturz des Zarismus. Die Revolution von 1905 brachte „Sowjets“ oder Arbeiterräte hervor und ebnete den Weg zum Sturz des Zarismus und zur Oktoberevolution 1917.

Die Auswirkungen des Brexit mögen für die britische herrschende Klasse nicht so dramatisch sein (wie wir uns erhoffen), doch die kurzfristige Kalkulation der Konservativen Partei das Referendum über den Brexit zuzulassen, ist ihnen ziemlich um die Ohren geflogen. Die britische Bourgeoisie war in der Frage einer Mitgliedschaft in der EU lange gespalten. Doch eine eher widersprüchliche Entwicklung führte dazu, dass ein Großteil der britischen Kapitalisten sich mit ihr anfreundete. Die Briten waren in der EU, um wirtschaftlich möglichst viel zu profitieren. Allerdings wurden die von einigen europäischen Politikern propagierten Konzepte einer supranationalen Integration stets abgelehnt. So hielt Großbritannien auch stets Distanz zu allen bedeutenden EU-Projekten, wie dem Euro, der Schengen-Zone, dem visafreien Grenzverkehr und der Charta der Grundrechte.

Ökonomisch machte es für den britischen Kapitalismus zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig Sinn aus einer EU auszutreten, von der er mehr Nutzen als Kosten hatte. Der Zugang zu einem der größten Märkte der Welt führte zu direkten Investitionen aus Japan, China, Thailand etc. Großbritannien war für diese Investoren gewissermaßen der Eintrittspunkt in die EU, andernfalls wären die Firmen gar nicht gekommen. (Das wurde den ArbeiterInnen bei Nissan von ihren japanischen Bossen auch so direkt gesagt). Ferner gingen 45% der britischen Exporte in die EU.

Die Presse tendierte dazu den Mainstream der herrschenden Klasse (mittels ihrer Organe „Economist“ und der „Financial Times“) wiederzugeben, und warnte immer wieder, dass ein Austritt ein wirtschaftliches Desaster für die EU und den Rest Europas sei. Diese Position wurde auch von der Mehrheit der Ökonomen und Vertretern der Wirtschaft immer wieder betont. Kurz gesagt hatte die herrschende Klasse die Art von Verbindung zur EU, die sie wollte, was jedoch zur Kernfrage führt, warum die wichtigste Partei der britischen Bourgeoisie sich auf das unvorhersehbare und riskante Lotteriespiel einer Volksabstimmung einließ.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion erlaubte es Großbritannien die Ausweitung (statt Vertiefung) der EU auf Osteuropa auf die Agenda zu setzen. Diese Ausweitung auf 28 Mitgliedsstaaten hatte auch zur Folge, dass jede Konzeption einer weiteren Integration und Vertiefung der EU schwer durchsetzbar wurde.

Doch diese Fragen interessierte die Euroskeptiker in Großbritannien wenig. Es gab schon immer (nicht nur in der Konservativen Partei) eine Tendenz, die den Eintritt Großbritanniens in die EU als erniedrigend empfand, nachdem das Britische Empire einmal ein Viertel der Welt beherrscht hatte und siegreich aus zwei zerstörerischen Weltkriegen hervorgegangen war. Sie blicken sehnsüchtig auf die Zeiten zurück, als die britische Außenpolitik vorwiegend darauf basierte, mit sorgfältig ausgesuchten Bündnispartnern gegen potentielle dominante Mächte in Europa vorzugehen, sei es nun Napoleons Frankreich, das Russland von Zar Nikolaus I oder das Deutschland des Kaisers bzw. „Führers“. Was diese „Little Englanders“ nicht verstehen ist, dass diese zwei Weltkriege die Wirtschaft Großbritanniens auszehrten und die imperialistische Vorherrschaft unterminierten. Das Britische Empire wurde von den USA abgelöst, die die Welt mit einer neuen Form des Kolonialismus beherrschte, die ohne die kostspielige Praxis der Besetzung ganzer Territorien auskam. (…)

Diese Empirenostalgie bildet die Grundlage für die euroskeptische „die-hard“-Mentalität. Doch sie führen die Schlachten der Vergangenheit (…), sehen sich dabei faktisch als wahre Erben von Thatcher und lehnen staatliche Regulation egal in welcher Form ab. Die EU gilt ihnen als gescheitertes Projekt. Gleichzeitig fürchten sie die gegenwärtig diskutierten Vorschläge die EU „transparenter“ und „demokratischer“ zu machen. Der Bericht der fünf Präsidenten der wichtigsten EU-Organe, der im Juni 2015 veröffentlicht wurde, sprach sich für Reformen in Richtung einer wirtschaftlichen, fiskalen und politischen Union aus. Dies soll in zwei Stufen erreicht werden. Die erste soll 2017 beendet sein und die zweite 2025. In dem Bericht wurde argumentiert, dass die EU die nächste Krise nicht überleben könne, wenn diese Reformen nicht implementiert würden. Die Umsetzung solcher Reformen wollen die Brexiteers natürlich am wenigsten. Sie spielen vor allem in der Konservativen Partei (weniger in der herrschenden Klasse als Ganzes) eine wichtige Rolle. In dem Maß wie die UKIP an Stimmen gewann, wurden sie für die Parteiführung zu einem ernsthaften Problem. Die Gefahr, dass Unterstützer der Tories vor den Wahlen zur UKIP überwechseln könnten, war durchaus real. So erschien das Angebot in der nächsten Legislaturperiode ein Referendum abzuhalten der beste Weg um die Partei in der Koalition mit den proeuropäischen Liberaldemokraten zusammenzuhalten. Osborne und Cameron gingen davon aus, dass sie 2015 keine eigene Mehrheit bekommen würden, und das gegebene Versprechen somit nicht einzulösen sei. In der Zwischenzeit wurde die Partei zusammen – und die Abgänge zur UKIP( die 2015 nur einen Abgeordnetensitz bekam) in Grenzen gehalten. Doch durch den Einbruch der Labour Party in Schottland erlangten die Tories eine knappe Mehrheit, die es ihnen erlaubte, ohne ihre einstigen Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, zu regieren. Obwohl die meisten Abgeordneten der Tories gegen einen Brexit waren, blieb Cameron nun nichts anderes übrig, als sein Versprechen eines Referendums einzuhalten. Auch hier zeigte sich die unglaubliche Inkompetenz und Arroganz in Camerons Strategie. Es wurden keine Anstalten gemacht für eine so tiefgreifende Entscheidung wie einen EU-Austritt eine Zweitdrittelmehrheit festzulegen, wie es in vielen anderen Ländern üblich ist. „Lucky Dave“ war auch während des schottischen Referendums ohne eine solche Regelung davongekommen, warum dann also beim Brexit-Referendum? Dazu kam noch das Timing. Es lag auf der Hand, dass seit der globalen Finanzkrise 2008 das Projekt Europa mit allerlei Problemen konfrontiert werden würde, von der Eurokrise bis zum Krieg in der Ukraine, von der sog. „Flüchtlingskrise“ bis zu den Problemen der Syriza-Regierung. All dies war Wasser auf die Mühlen der UKIP und des rechten Flügels der Tories. Alles deutete auf die Notwendigkeit hin, das Referendum so lange wie möglich hinauszuschieben. Doch mit einer Mehrheit von nur 12 Stimmen im Unterhaus und bei einer (trotz aller Prahlerei) immer noch stagnierenden Wirtschaft, beschloss die Führung der Tories den Versuch zu wagen, die aufkochende Europaskepsis unter Kontrolle zu bekommen. Cameron setzte das Referendum für den 23. Juni an und machte sich nach Brüssel auf, um Großbritanniens Position in der EU „nachzuverhandeln“. Er einigte sich mit dem Europäischen Rat auf einen Deal, der es Großbritannien erlaubte staatliche Leistungen für EU-Bürger (die die wenigsten EU Bürger in Großbritannien überhaupt in Anspruch nehmen) zu kürzen. Des Weiteren wurde Großbritannien vom Ziel einer engeren politischen Integration und Vertiefung der EU ausgenommen. Doch das war zu wenig für die Euroskeptiker in seiner eigenen Partei. Das Vereinigte Königreich wurde von einer der übelsten politischen Kampagnen erschüttert, die in der Ermordung einer proeuropäischen Labour-Abgeordneten durch einen weißen rassistischen britischen Nationalisten gipfelte und im Grunde noch immer andauert.

Doch dem politischen Vorgehen der Tories liegt eine Reihe von tiefergehenden Problemen zugrunde, die sich allesamt um die politische und ökonomische Verfasstheit des Kapitalismus drehen. Zunächst macht sich überall das Phänomen bemerkbar, dass der traditionellen herrschenden Klasse die Dinge zu entgleiten drohen. Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass sich der Kapitalismus in einer wirtschaftlichen Sackgasse befindet. Die Tatsache, dass ein Austritt Großbritanniens aus der EU heute überhaupt möglich ist, ist Symptom einer allgemeinen globalen Krise und wirtschaftlicher Stagnation. Das Platzen der Spekulationsblasen 2007/2008 offenbarte, dass das scheinbare Wachstum der vergangen zwei Jahrzehnte lediglich auf einer enormen Expansion von Schulden basierte. Kurz gesagt wurde die Zukunft „verpfändet“, während die politischen Parteien nach schnellen Lösungen suchten, um die der Krise zugrunde liegenden Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals zu verschleiern. Wie wir des Öfteren ausgeführt haben, braucht der Kapitalismus eine massive Entwertung von Kapital. Eine solche Entwertung ist nur durch massive Kapitalvernichtung möglich, wie sie nur ein generalisierter Krieg der führenden imperialistischen Mächte bewerkstelligen könnte. Trotz der anwachsenden Spannungen, Rivalitäten und lokalen Kriegen in der ganzen Welt, sind die Bedingungen dafür noch nicht gegeben. In der Zwischenzeit haben die Kapitalisten zwei Möglichkeiten: Die erste besteht darin, die Banken zu stützen (bspw. durch Quantitative Easing, niedrige oder negative Zinsen), um das finanzielle Rückgrat des Systems zu erhalten und Investitionen zu stimulieren. Dies hat nicht funktioniert, da die Profitrate zu niedrig für (produktive) Investitionen ist, und viel Geld daher weiterhin in die Spekulation fließt. Die zweite Möglichkeit besteht darin die Profitrate anzukurbeln, indem die ArbeiterInnen länger arbeiten müssen und weniger Lohn bekommen, indem also mehr Mehrwert aus der ArbeiterInnenklasse herausgepresst wird. Selbst viele bürgerliche Ökonomen sehen das ähnlich (und spekulieren viel über den nächsten globalen Finanzcrash). Doch in einem System, indem die herrschenden Ideen die Ideen der herrschenden Klasse sind, und diese die Medien kontrolliert, wird nicht auf die grundlegenden Probleme des Systems fokussiert.2

Deswegen muss das Problem auch anderswo gesucht werden. Eine geradezu tollwütige Boulevardpresse mit ihren reißerischen Schlagzeilen, die die wirtschaftlichen Probleme Großbritanniens mit ImmigrantInnen in Verbindung brachte und auf die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU zurückführte, also das Ausspielen der rassistischen Karte, waren der Schlüssel zum Sieg der Brexit – Kampagne.3 Seit Thatchers Zeiten haben weite Teile der alten ArbeiterInnenklasse ihre besser bezahlten Jobs in der verarbeitenden Industrie verloren. Im Zuge der Restrukturierung in den 80er Jahren wurden Arbeitsplätze dorthin verlagert, wo die Bosse billigere Arbeitskräfte vorfanden. Unter Blair wurden diese Sektoren von Labour weitgehend ignoriert und allenfalls versucht sie mit kleinen Zugeständnissen ruhig zu halten, da man auf die Stimmen der Mittelklasse schielte und auf Identitätspolitik setzte. Als Resultat der globalen ökonomischen Krise setzte dann 2010 die Austeritätspolitik ein, die besonders die im Niedriglohnsektor Beschäftigen traf, worüber die Klatschpresse freilich kaum berichtete bzw. berichtet. Es ist viel einfacher jemand oder etwas zu finden, und für alles verantwortlich zu machen. Die kapitalistische Linke zeigt auf die Banken (anstatt auf das ganze System), während die Rechte in der EU und der Migration die Wurzel allen Übels sieht. Das ist eine offenkundige Lüge (und der Brexit wird das Problem nicht lösen) aber für jene die zu Opfern der Krise wurden, und sich vom System im Stich gelassen fühlen, klingt es plausibel. Allgemein stimmte die ArbeiterInnenklasse gegen die Austerität und die Verschlechterung ihres Lebensstandards und dies übersetzte sich auf dem Stimmzettel mit einem Kreuz für den Brexit. Viele, die in der Vergangenheit nie gewählt hatten, machten sich nun zur Wahlkabine auf, um gegen Immigration abzustimmen. Ein arbeitsloser Familienvater aus Leicester bestätigte gegenüber dem Fernsehsender Channel 4, dass er nie zuvor gewählt habe und auch nie wieder wählen würde. Er glaube nicht, dass sich viel ändern würde, „aber alles ist besser, als das was wir jetzt haben“.4 Es ist eine besondere Ironie, dass sich im Brexit-Lager Befürworter des „freien Marktes“ wie Nigel Farage, Gove und Lawson und die Opfer ihrer Ideologie des „freien Marktes“ wiederfinden. Doch dieser Widerspruch war wohl das Rückgrat der „Leave“-Kampagne.

Die Konsequenzen lassen nicht lange auf sich warten. Die Führung der schottischen SNP hat bereits ein weiteres Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands (wo mehrheitlich für einen Verbleib in der EU abgestimmt wurde) angekündigt.5 In Nordirland (wo ebenfalls mehrheitlich für ein „Remain“ abgestimmt wurde) steht das Karfreitagsabkommen infrage, weil Nationalisten die Vereinigung mit Irland wieder ins Spiel gebracht haben. Das protestantische Kernland im Nordosten von Ulster stimmte für einen Brexit, weswegen sich die sektiererischen Spannungen wieder aufheizen könnten. Mittlerweile haben über zwei Millionen Menschen eine Petition unterzeichnet, die sich für eine Wiederholung des Referendums ausspricht. In dieser Hinsicht gab es bereits Präzedenzfälle. Als den Kapitalisten die Ergebnisse nicht in den Kram passten, wurden die Referenden in Dänemark über die Maastrichter Verträge und in Irland über die Verträge von Nizza und Lissabon wiederholt. Doch angesichts der jetzigen Umstände ist dies eher unwahrscheinlich. Gegenwärtig würde eine Umkehr des Referendums nur die Farce der „bürgerlichen Demokratie“ offenbaren.

Auf jeden Fall hat das Votum für den Brexit nach dem Schuldendesaster der Eurozone und der Unfähigkeit mit der sog „Flüchtlingskrise“ umzugehen nur die Inkohärenz des europäischen Projektes einmal mehr unter Beweis gestellt.

Es sind weitere nationalistische Alleingänge in Europa zu erwarten. In wirtschaftlicher Hinsicht gibt es mehr Unsicherheit und diese Effekte werden sich wahrscheinlich langfristig auswirken. Die Großbank HSBC hat bereits angekündigt ihre Europageschäfte (und 1000 Jobs) nach Paris zu verlagern und das Industriekonglomerat Tata hat bereits ein großes Fragezeichen über den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie gesetzt. Die internationalen Ratingagenturen stufen die britische Bonität herab, was die Kosten bei der Schuldenaufnahme erhöht.

Einige Dinge stellen sich klarer dar. Das herausragende Problem ist, dass jede unabhängige Bewegung der ArbeiterInnenklasse nahezu ausgelöscht ist. Die ganze Kampagne war in mehrerer Hinsicht eine Kampagne gegen die Ideen der ArbeiterInnenklasse. In erster Linie hat sie es beiden Seiten erlaubt, die Vorstellung zu propagieren und zu verfestigen, dass die Nation, der Inbegriff bürgerlicher Herrschaft, verteidigt werden müsse. Aggressiver englischer, irischer und schottischer Nationalismus wird weiter Auftrieb erhalten.

Das weitere Faktum dreht sich um die Abhaltung des Referendums an sich. In Großbritannien gibt es wenige Erfahrungen mit solchen Abstimmungen. Das Abhalten von zwei Volksabstimmungen innerhalb von zwei Jahren ist so etwas wie ein neuer Ausgangspunkt. Sie haben somit neues Leben in einen politischen Prozess geblasen, der offenkundig im Begriff war seine Legitimität zu verlieren. Wie beim Schottischen Referendum hatte die ArbeiterInnenklasse dabei nur die Wahl welche Sorte von Gangstern das politische System verwalten soll, welches uns ausbeutet. Doch an der Macht sind sie alle gleich. Unabhängig vom Ausgang der Wahl blieb und bleibt die „Debatte“ eine bürgerliche. Sie war nicht nur nützlich um Klassenfragen von der Tagesordnung zu verbannen (was haben wir schon in den britischen Medien schon über die Streiks in Frankreich erfahren?), sie wird auch zukünftig eine ekelhafte nationalistische und rassistische politische Kultur bestimmen. Großbritannien ist hier kein Einzelfall. Der Aufstieg der Front National in Frankreich, der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich und der Sieg der Ultranationalisten in Polen und Ungarn (die britische Tories stehen zusätzlich in Verbindung mit Formationen wie den „Wahren Finnen“, der „Danske Folkeparti“ und der polnischen PiS) zeigt, dass wir uns in einer beklemmenden historischen Periode befinden. Imperialistische Ränkespiele haben von Afghanistan bis Afrika regelrechte Höllen auf diesem Planeten geschaffen. Durch diese Kriege wurden weltweit 65 Millionen Menschen zum Opfer von Vertreibungen. Einige von ihnen versuchen in die scheinbar sicheren Verhältnisse der Staaten zu fliehen, die für die Verwüstungen in erster Linie verantwortlich sind. Viele kommen auf ihrer Flucht ums Leben, die Überlebenden werden in Lager gepfercht und/oder geraten in die Fänge diverser Mafiastrukturen. Die Rassisten und Nationalisten in den reichen Staaten schlagen daraus für ihre Zwecke politisches Kapital. Es ist ein Teufelskreis, in dem das Gespenst des anwachsenden Nationalismus zu einer Bedrohung für die Zukunft der Menschheit wird. Nur eine internationale und internationalistische ArbeiterInnenklasse, die ihre Stimme und Fähigkeit den Kapitalismus zu bekämpfen wiedergewinnt, wird dem Einhalt gebieten können.

CWO

  • Siehe das Statement “EU Referendum: More Capitalist Choices to Reject” [zurück]
  • Wir haben mehrere Texte über die Ursachen der Krise veröffentlicht. Einen ersten Überblick bietet: leftcom.org [zurück]
  • Allerdings nicht nur die Boulevardpresse. Cameron und seine Spießgesellen und die ganze herrschende Klasse nutzen die das Thema Immigration, und ein zynisches Spiel zu spielen und die ArbeiterInnenklasse zu spalten. Siehe dazu: leftcom.org Oder: leftcom.org Sowie: leftcom.org [zurück]
  • Channel 4 News 24 June 2016 [zurück]
  • Zum schottischen Referendum siehe: leftcom.org [zurück]
Monday, July 25, 2016