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Vorwort

Die heutige Situation

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat das Ende des Kalten Kriegs herbeigeführt, der Imperialismus und die Drohung eines neuen Weltkrieges bestehen jedoch weiterhin.

Das Ausscheiden der Sowjetunion aus dem imperialistischen Zusammenstoß mit den USA und ihre Auflösung gehen auf zwei Umstände zurück, die der Dynamik des kapitalistischen Wirtschaftssystems innewohnen.

Der erste Umstand ist die wirtschaftliche Krise, die die gesamte Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen hat. Seit den frühen 70er-Jahren sind sowohl die Ländern mit einer vollkommen verstaatlichten Wirtschaft (die sogenannten „sozialistischen" Länder) als auch die Länder der „freien Welt" mit „gemischter" Wirtschaft mit einer Situation wachsender ökonomischer Stagnation konfrontiert. Mit anderen Worten, der Kapitalismus ist am Ende des nach dem Zweiten Weltkrieg begonnenen Akkumulationszyklus angelangt. Das erste Zeichen der Krise war die Entwertung des Dollars 1971, die zum Ende des Regimes von Bretton Woods (des ökonomische Rahmens des Nachkriegsimperialismus) geführt hatte. Mit diesem Schachzug versuchten die USA die Kosten der eigenen Krise auf den Rest der Welt abzuwälzen.

Der zweite Umstand besteht in der wirtschaftlichen Stagnation innerhalb der Sowjetunion selbst. In der UdSSR existierte in der Tat kein Sozialismus, sondern lediglich eine besondere Form des Kapitalismus, in welcher der Staatsapparat die Rolle der klassischen Bourgeoisie übernommen hatte. Kraft ihres absoluten Monopols über die Staatsmacht hatte sich die KPdSU in der Tat zu einem Mittel der neuen herrschenden Klasse zur Absicherung ihrer Privilegien entwickelt.

Ein zusätzlicher Faktor war die relative Schwäche der UdSSR. Die wirtschaftliche Stagnation wurde von einer im Vergleich mit der westlichen Welt technologischen Verspätung überlagert, die die Fähigkeit der Sowjetunion verringerte, die Rüstungsanstrengungen aufrechtzuerhalten. Im Rüstungswettlauf zwischen den beiden Supermächten in den 70er - und 80er-Jahren war die Sowjetunion nicht mehr imstande, mit den enormen Rüstungsausgaben der USA mitzuhalten. Gorbatschows Versuche, den Rüstungswettlauf zu beendigen und die Wirtschaft umzustrukturieren, scheiterten wegen der Sabotage der herrschenden Klasse und dem durch die Krise (welche Gorbatschow zu bekämpfen suchte) aufgezwungenen beschränkten Spielraum.

Alle diese Umstände zusammen führten zum Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991.

Die jüngste Geschichte bestätigt somit zwei Tatsachen:

  1. Die vollkommene Kontrolle der Wirtschaft durch den Staat hat nichts mit Sozialismus zu tun. In einer echten sozialistischen Wirtschaft würden die Produzenten selbst kollektiv entscheiden, was sie auf der Grundlage menschlicher Bedürfnisse produzieren. Die wirtschaftliche Planung wäre ein Mittel der rationalen Verwaltung der Ressourcen, und der Einsatz der Arbeitskräfte würde sich an den Bedürfnissen der Gesellschaft ausrichten. In einer derartigen Gesellschaft würde man nicht eine Krise wie die erleben, die die Sowjetunion zum Einsturz brachte.
  2. Kein Versuch des kapitalistischen Staates, das Wertgesetz zu überwinden oder zu regulieren, und noch weniger die undurchführbare phantastische Idee, dafür zu sorgen, dass sich dieses durch den sogenannten freien Markt frei entfalten kann, können einen Ausweg aus der weltweiten Krise der kapitalistischen Wirtschaft bringen.

Trotz aller Versuche, die wirtschaftliche Krise zu verwalten, trotz der verschiedenen Übereinkommen zwischen den sieben Großen der Weltwirtschaft (G 7), trotz aller internationalen Umschuldungsverhandlungen mit den hoch verschuldeten Ländern, trotz der mikro-elektronischen Revolution und der wirtschaftlichen Umstrukturierungen, die der Staat mit finanziellen Zuschüssen und sozialen Abfederungen unterstützt, bleiben die grundlegenden Probleme der kapitalistischen Akkumulation bestehen. Sie sind zurückzuführen auf die chronische Verminderung des Mehrwerts, welche die Bourgeoisie dazu treibt, immer neue Wege zu suchen, die Ausbeutung des Proletariats in relativer wie in absoluter Hinsicht zu erhöhen.

Allgemeine Situation und Perspektiven für die Arbeiterklasse

Doch zurück zur Untersuchung der aktuellen Situation im Hinblick auf die Klassenbeziehungen. Es gibt ein enormes Missverhältnis zwischen der Schärfe der wirtschaftlichen Krise und der daraus folgenden Drohung eines imperialistischen Krieges einerseits und dem Fehlen einer Mobilisierung des Proletariats andererseits. Die Herrschaft des Kapitals über die Produktion und Verteilung hat sich dahingehend entwickelt, dass inzwischen jede Art von sozialer und politischer Beziehung von ihm durchdrungen ist. Durch die demokratischen Parteien und die Gewerkschaften ist die bürgerliche Ideologie so tief in die Arbeiterklasse eingedrungen, dass jeder Versuch seitens des Proletariats, auf die Auswirkungen der Krise zu reagieren, im Keim erstickt wird.

Die Streikwellen der vergangenen Jahre, die manchmal ganze Wirtschaftssektoren eines Landes erfasst haben, haben sich nie auf andere Sektoren ausgedehnt, weil jeder Sinn für Klasseneinheit und Klassensolidarität durch Nationalismus, Gradualismus (die Idee einer allmählichen und punktuellen Veränderung), Individualismus bzw. durch alle Formen bürgerlicher Ideologie, die die Agenten des Kapitals erfolgreich in der Arbeiterklasse verbreitet haben, erstickt worden ist. Die Herrschaft der Bourgeoisie über die Arbeiterklasse durch die Gewerkschaften und die Parteien der bürgerlichen Linken ist die konkrete Manifestation dessen, was Marx die „reificazione von sozialen Verhältnissen" (?) nannte.

Was immer ihr Ursprung war, heute sind die Gewerkschaften und die linken Parteien nichts anderes als Instrumente der Herrschaft der Bourgeoisie über das Proletariat. Es genügt aber nicht, deren Funktion zu denunzieren, sondern es ist notwendig, sie politisch wie organisatorisch zu bekämpfen.

Trotz der unzweifelhaften Erfolge des Kapitalismus bei der Befriedung des Klassenkampfs und bei der Bewältigung der Widersprüche seines Wirtschaftssystems lassen sich diese nicht beseitigen, und wir Marxisten wissen, dass dieses Spiel nicht ewig fortgesetzt werden kann. Als Marxisten wissen wir, dass die Widersprüche des Kapitalismus nicht ewig eingedämmt werden können. Ihre endgültige Explosion wird aber nicht notwendigerweise zum Sieg der Revolution führen. Im imperialistischen Zeitalter kann der Kapitalismus seine Widersprüche vorübergehend durch Krieg lösen.

Doch auf dem Weg dorthin tut sich die Möglichkeit auf, dass sich die politische und ideologische Herrschaft der Bourgeoisie über die Arbeiterklasse abschwächt; mit anderen Worten, es ist möglich, dass das Proletariat plötzlich massiv in den Klassenkampf eingreift, und darauf müssen die Revolutionäre vorbereitet sein. Wenn die Arbeiterklasse wieder die Initiative ergreift und also beginnt, seine kollektive Kraft gegen die Angriffe des Kapitals einzusetzen, müssen die revolutionären politischen Organisationen politisch und organisatorisch in der Lage sein, den Kampf gegen die linken Kräfte der Bourgeoisie zu führen und zu organisieren.

Jede folgende Kampfwelle wird nur dann ein weiterer Schritt in Vorbereitung der Revolution sein, wenn das revolutionäre Programm und die revolutionäre Organisation daraus von Mal zu Mal gestärkt hervorgehen; das wiederum ist nur dann der Fall, wenn die revolutionäre Organisation imstande ist, sich und das Programm immer tiefer in der Klasse zu verwurzeln.

Die Russische Revolution von 1905 war eine Vorbereitung für 1917 in dem Sinne, dass das revolutionäre Programm, das dann zur Revolution von 1917 führte, trotz der Niederlage der Revolution daraus gestärkt hervorging. Es gibt heute keine Garantie dafür, dass eine ähnliche Episode stattfinden wird, d.h. dass in einem allgemeinen Aufstand die revolutionären Kräfte wachsen, auch wenn die Klasse unmittelbar geschlagen wird. Eines aber ist sicher: Wenn eine solche Klassenbewegung stattfinden sollte, ohne dass innerhalb des Proletariats eine revolutionäre politische Kraft wesentlich vorhanden ist, würden die Niederlagen historische Dimensionen annehmen.

Es ist die Aufgabe der revolutionären Organisation, dem Proletariat die Lektionen der eigenen historischen Erfahrungen in Erinnerung zu bringen, in der Weise, dass diese eine Quelle der Kraft der Klasse in der Perspektive seiner Emanzipation werden.

Das Internationale Büro für die revolutionäre Partei (IBRP)

Das Internationale Büro entstand 1983 als gemeinsame Initiative des Partito Comunista Internazionalista (PCInt.) / Battaglia Comunista in Italien und der Communist Workers’ Organisation (CWO) in Großbritannien. Es gab zwei Hauptgründe für diese Initiative.

Der erste bestand darin, einer schon existierenden Tendenz innerhalb des proletarischen politischen Lagers eine organisierte Form zu geben. Diese Tendenz bildete sich auf den Internationalen Konferenzen, die vom PCInt./Battaglia Comunista zwischen 1977 und 1981 einberufen wurden.

Die Kriterien für die Teilnahme an der letzten Konferenz waren die sieben Punkte, für die die CWO und der PCInt. auf der Dritten Konferenz gestimmt hatten:

  • Akzeptieren des proletarischen Charakters der Oktoberrevolution
  • Anerkennung des auf dem Ersten und Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale vorgenommenen Bruchs mit der Sozialdemokratie
  • Ablehnung des Staatskapitalismus und der Selbstverwaltung ohne Abstriche
  • Ablehnung jeder politischen Linie, die das Proletariat der nationalen Bourgeoisie unterwirft
  • Anerkennung der sozialistischen und kommunistischen Parteien als bürgerliche Parteien
  • Orientierung auf die Organisation der Revolutionäre auf der Grundlage der marxistischen Lehre und Methode als proletarischer Wissenschaft
  • Anerkennung der internationalen Treffen als eines Aspekts des Diskussionsprozesses zwischen den revolutionären Gruppen zum Zwecke der Koordinierung ihrer aktiven politischen Intervention in den Kämpfen der Klasse, mit dem Ziel, sich aktiv am Prozess zu beteiligen, der zur Internationalen Partei des Proletariats, dem unverzichtbaren politischen Organ für die politische Führung des revolutionären Klassenbewegung und für die proletarische Macht selbst, führen wird.

Der zweite Grund und der Zweck für die Bildung des Büros war, als Bezugspunkt für Organisationen und Individuen zu dienen, die in der internationalen Szene in dem Augenblick auftauchen würden, da die Vertiefung der Krise des Kapitalismus das Aufkommen politischer Antworten hervorrufen würde. Im ersten Lebensjahrzehnt des Büros (80er-Jahre) fanden keine großen Klassenkämpfe statt, und die Antworten der Arbeiter auf die stärker werdenden Angriffe des Kapitals hatten immer einen sektoriellen Charakter und endeten schließlich immer in Niederlagen, wenngleich sie manchmal sehr kämpferisch waren (wie der Streik der englischen Bergarbeiter 1984-5 oder später der Kampf der spanischen Hafenarbeiter). Dem internationalen Kapital wurde so eine Atempause gewährt, die es dazu benutzte, jene Umstrukturierungen durchzuführen, die den Arbeitern den Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen, ständig zunehmende Sparmaßnahmen sowie Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und der Bedingungen des Verkaufs der Arbeitskraft bescherten. Es ist deshalb nicht überraschend, wenn die 80er-Jahre keine neuen Genossen in unsere Reihen gebracht haben und wenn umgekehrt viele, die schon da waren, wieder verloren gingen, überwältigt von der politischen Isolierung, in der wir uns befinden.

Doch trotz der objektiv ungünstigen Situation und unseren bescheidenen Kräften hat sich das BIRP konsolidiert und seine Zeitschrift in englischer Sprache, „Internationalist Communist" (vormals „Communist Review"), ist zu seinem Hauptinstrument der politischen und theoretischen Auseinandersetzung geworden. Das IBRP führt nicht nur die internationale Korrespondenz durch und organisiert, wenn möglich, Treffen und Diskussionen mit den Elementen, mit denen wir in Kontakt kommen, durch, sondern hat zahlreiche internationale Publikationen in verschiedenen Sprachen über entscheidende Themen der letzten Jahre veröffentlicht und hat sich darum gekümmert, dass diese in die betreffenden Länder gelangen.

Wir betrachten das Büro als eine Kraft innerhalb des proletarischen politischen Lagers. Zu diesem Lager zählen wir all jene, die sich für die Unabhängigkeit des Proletariats vom Kapital einsetzen, die nichts mit dem Nationalismus in irgendeiner Form zu tun haben, die am Stalinismus und an der ehemaligen Sowjetunion nichts Sozialistisches gesehen haben, die aber gleichzeitig den Oktober 1917 als den Ausgangspunkt für eine weitere europäische Revolution begriffen haben. Unter den Organisationen, die zu diesem Lager gehören, gibt es noch bedeutende politische Differenzen, nicht zuletzt über die stark erörterte Frage der Natur und Funktion der revolutionären Organisation.

Unsere Position kann wie folgt umrissen werden:

  1. Die proletarische Revolution wird international sein oder sie wird zu nichts führen.
    Die internationale Revolution setzt die Existenz einer internationalen Partei voraus. Diese ist der konkrete politische Ausdruck des bewusstesten Teils der Arbeiterklasse, der sich organisiert, um das revolutionäre Programm im Rest der Klasse zu verbreiten. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Versuche, die Partei während der Revolution selbst aufzubauen, zu spät kommen und der Situation nicht gerecht werden.
  2. Das IBRP zielt so auf die Bildung der kommunistischen Weltpartei in dem Augenblick, in dem das politische Programm und genügend Kräfte dafür vorhanden sind. Das Büro beabsichtigt jedoch nicht, der einzige originäre Kern für eine solche Partei zu sein. Die zukünftige Partei wird in der Tat nicht die Frucht des Wachstums einer einzigen Organisation sein.
  3. Bevor die revolutionäre Partei gegründet werden kann, müssen die Einzelheiten ihres politischen Programms durch Diskussionen und Debatten zwischen den sie bildenden Teilen geklärt worden sein.
  4. Die die Partei bildenden Organisationen müssen schon eine minimale Präsenz innerhalb des Proletariats in der Region ihrer Herkunft haben.
  5. Das Ziel jeder revolutionären Organisation muss es heute sein, sich in der Arbeiterklasse zu verwurzeln, um imstande zu sein, die Richtung zu weisen, die der Klassenkampf heute nehmen muss, und die Revolution von morgen zu organisieren und zu führen.
  6. Die Lehre der letzten revolutionären Welle (1917-23) besteht weder darin, dass die Arbeiterklasse auf eine organisierte Führung verzichten kann (diese „Lehre" aus der Degeneration der Russischen Revolution haben die „Rätekommunisten" gezogen) noch darin, dass die Partei die Klasse selbst ist (gemäß einer metaphysischen Abstraktion der heutigen Bordigisten), sondern vielmehr darin, dass die organisierte Führung in der Form der Partei die mächtigste Waffe ist, mit der sich die Arbeiterklasse ausstatten kann. Ihre Aufgabe wird es sein, in den Massenorganen, die vor der Revolution entstehen (Sowjets oder Räte) für eine sozialistische Perspektive zu kämpfen. Da die Partei auf jeden Fall eine Minderheit in der Arbeiterklasse bleiben wird, kann sie nicht stellvertretend für die Klasse handeln. Das Ziel, der Aufbau des Sozialismus, kann nur von der Arbeiterklasse als Ganzes ins Werk gesetzt werden. Diese Aufgabe kann nicht delegiert werden, auch nicht an den bewusstesten Teil des Proletariats.

Plattform des Internationalen Büros für die Revolutionäre Partei

Der Kapitalismus

Wie jede Klassengesellschaft krankt auch die kapitalistische Produktionsweise in jeder historischen Phase am Gegensatz zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen. Im Kapitalismus nimmt die Arbeitskraft die Form einer Ware an, die von ihren Besitzern (den Proletariern) im Austausch gegen einen Lohn verkauft wird. Dieser entspricht dem Wert der Güter und Dienste, die nötig für die Existenz und Reproduktion der Arbeitskraft selbst sind. In Klassenbegriffen ausgedrückt, drückt sich das aus im unüberwindbaren Gegensatz zwischen der Bourgeoisie, die die Produktionsmittel besitzt, und dem Proletariat, das mit diesen Produktionsmitteln seine Arbeitskraft verausgabt. Die Arbeit erzeugt allen Wert, und nur die Arbeit kann Rohstoffe in Waren verwandeln. Die Waren haben einen Gebrauchswert und einen Tauschwert zugleich. Die Kapitalisten interessiert zu allererst der Tauschwert, die Käufer der Gebrauchswert. Die Versuche der Bourgeoisie, immer größere Massen von Mehrwert aus der Arbeitskraft herauszupressen, stellen eine Grundlage des Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zwischen Kapitalismus und Arbeiterklasse dar. Dies ist in der heutigen, von bürgerlichen Ideologen als postindustriell bezeichneten Gesellschaft, in der angeblich keine Arbeiterklasse mehr existiert, nicht weniger wahr als im 19. Jahrhundert. Die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus und damit der Klassengegensatz bleiben unabhängig von allen technologischen Veränderungen bestehen.

Die verschiedenen Formen des Kapitalismus

Der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln vergrößert sich mit der Veränderung der Formen der Vergellschaftung der Arbeit einerseits und des Eigentums andererseits. Das scheinbare Staatseigentum der wichtigsten Produktionsmittel hebt nicht die Tatsache auf, dass sich das Finanzkapital - die grundlegende Erscheinungsform des Kapitals in der imperialistischen Epoche - im privaten Eigentum befindet. Die Herrschaft der nationalen und transnationalen Monopole in Form von Aktiengesellschaften (also mit „gesellschaftlichem" Kapital) hebt den erwähnten Grundwiderspruch nicht auf, sondern verschärft ihn noch, indem sie ihm internationale Dimensionen verleiht. Das wurde von Engels schon vor mehr als 100 Jahren gesehen. Er erklärte, dass

die Umwandlung in Aktiengesellschaften (und Trusts) oder in staatliches Eigentum nicht die kapitalistische Natur der Produktivkräfte ändert. Was die Aktiengesellschaften anbelangt, ist es offenkundig, dass der moderne Staat seinerseits die Organisation darstellt, die sich die Bourgeoisie gibt, um die für das Funktionieren der kapitalistischen Produktion nötigen Bedingungen gegen die Störungen zu bewahren, die von den Arbeitern wie von einzelnen Kapitalisten kommen können. Der moderne Staat ist unabhängig von den Formen, die er annimmt, im Wesentlichen der Staat der Kapitalisten, eine Maschine im Dienste der Kapitalisten, die ideelle Personifizierung des gesamten nationalen Kapitals. Mehr noch, er begibt sich in den Besitz der Produktivkräfte, wird realer Kapitalist und beutet selber seine Staatsbürger aus. Die Proletarier bleiben Lohnarbeiter, und die für den Kapitalismus typischen gesellschaftlichen Verhältnisse verschwinden keineswegs.

Anti-Dühring

In den sogenannten „sozialistischen" Ländern hatte sich lediglich eine besondere Form des Staatskapitalismus durchgesetzt, in welcher der Staat direkt die Produktionsmittel kontrollierte und das Monopol über den Markt innehatte. Der jämmerliche Zusammenbruch der Sowjetunion bestätigt die von der kommunistischen Linken entwickelte (und auf der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie) basierende Analyse. Die tragische Gleichsetzung der Sozialismus mit dem Staatseigentum an den Produktionsmitteln ist heute, da die „sowjetische" Gesellschaft wieder die Organisations - und Gesetzesformen des klassischen und westlichen Kapitalismus annimmt, an ihrem historischen Ende angelangt.

Der Imperialismus

Die frühere Sowjetunion und die mit ihr verbündeten Länder bildeten einen imperialistischen Block. Der Zusammenbruch dieses Blocks hat ein neues Kapitel in der Geschichte des Weltkapitalismus eröffnet, das aber lediglich eine Verlängerung der imperialistischen Epoche des Kapitalismus darstellt, die mit dem Ersten Weltkrieg begann. Der Erste Weltkrieg, Resultat der Konkurrenz zwischen den imperialistischen Staaten, markierte einen endgültigen Wendepunkt in der Entwicklung des Kapitalismus. Er zeigte in der Tat, dass der Akkumulationsprozess des Kapitals zu einem so hohen Grad an Konzentration und Zentralisation geführt hatte, dass sich von nun an die zyklischen Krisen, die seit je her eine unabdingbare Begleiterscheinung des kapitalistischen Akkumulationsprozesses gewesen waren, zu weltweiten Krisen steigerten, die nur durch globale Kriege gelöst werden konnten. Der Kapitalismus trat somit in eine neue historische Epoche ein, in die Epoche des Imperialismus, in welchem jeder Staat Teil eines globalen wirtschaftlichen Systems ist und den ökonomischen Gesetzen, die dieses System regeln, nicht entrinnen kann.

Der Imperialismus ist deshalb nicht nur eine Art von Politik der mächtigeren Staaten gegenüber den schwächeren, sondern ein unvermeidbarer Prozess, in welchem die Fangarme der in industrieller und finanzieller Hinsicht am meisten entwickelten Zentren Mehrwert aus den peripheren Regionen saugen. Dieser Prozess kennt keine Staatsgrenzen und verwickelt die Bourgeoisien der peripheren Länder gleichermaßen in die Mechanismen des internationalen Finanzkapitals wie die der metropolitanen Zentren. Die Bourgeoisien der peripheren Länder gehören deshalb ohne Abstriche zur internationalen Kapitalistenklasse, und es wäre deshalb falsch, sich von ihnen ein Minimum an Loyalität gegenüber der eigenen Nation gegen die imperialistische Herrschaft zu erwarten, wie dies ihre „antiimperialistischen" Unterstützer tun.

Die Arbeiterbewegung

Die imperialistische Epoche hat der Menschheit ihren höllischen Kreislauf von Weltkrieg - Wieder-aufbau - Krise - und wiederum Weltkrieg beschert, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, eine höhere Stufe der Zivilisation zu erreichen: den Kommunismus. Die Generalprobe dafür war die russische Oktoberrevolution von 1917, in der das russische Proletariat die Macht eroberte - der erste Akt einer revolutionären Welle, die sich in ganz Europa und in der ganzen Welt aus dem Gemetzel und den Verwüstungen des Ersten Weltkriegs erhob. Eine wichtige Erfahrung dieser Periode war aber auch der Verrat der meisten Parteien der Zweiten Internationale, die den Massakern am Proletariat der verschiedenen Länder im imperialistischen Krieg zustimmten und die revolutionären Aufstände der Arbeiter nach dem Ersten Weltkrieg unterdrückten.

Heute können wir einen klaren Unterschied zwischen den Arbeiterorganisationen in der Periode vor der russischen Oktoberrevolution und denen nach dieser Revolution erkennen. Im Akkumulationszyklus vor der Ersten Weltkrieg, während sich die bürgerliche Produktionsweise ausdehnte und schließlich konsolidierte, entwickelten sich die demokratischen und nationalistischen Bewegungen, die auch die Arbeitermassen Europas in Bewegung setzten. Sie erleichterten die Bildung von Gewerkschaften und Arbeiterparteien, die auf die Arbeitermassen in Europa in ihren Bann zogen. Wenngleich sich die Arbeiterklasse in Organisationen formierte, die im Großen und Ganzen im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft verharrten und sogar zu einem festen funktionalen Bestandteil dieser Gesellschaft wurden, war die Arbeiterklasse imstande, über diese Organisationen ihre Klassenidentität auszudrücken, indem sie ihre Bedürfnisse formulierte und ihre Probleme auf die Tagesordnung setzte. Gleichzeitig wurden die revolutionären Theorien von Marx und Engels zum kulturellen Gepäck der Arbeiter, auch wenn die Mehrheit der sozialdemokratischen Kräften nicht gemäß den Anweisungen der marxistischen Theorie handelte, sondern sie nur verbal benutzte. Die von Marx erwartete Revolution blieb für die Sozialdemokratie in der Tat ein fernes Ziel, das irgendwann in einer fernen Zukunft mit nicht näher bestimmten Mitteln erreicht werden würde. In der Theorie blieb der Sozialismus das große Kampfziel und die glorreiche Zukunft, in der Praxis aber wurden die Wahlen, der achtstündige Arbeitstag, die Organisationsfreiheit usw. zum strategischen Ziel dieser Partei

1914 zeigte die Sozialdemokratie, dass sie sich offen mit dem Imperialismus identifizierte, und dies brachte einen entscheidenden Wendepunkt in der Arbeiterbewegung: die klare Scheidung zwischen den Kommunisten und den bürgerlichen Kräften, die bis dahin die Massenbewegung der Arbeiter kontrollierten. Mit der Gründung der Dritten Internationale wurde der Beginn der Epoche der proletarischen Weltrevolution ausgerufen, und dies bedeutete den Sieg der wahren Prinzipien des Marxismus. Von diesem Augenblick an musste die Aktivität der Kommunisten in der Tat ausschließlich auf den Sturz des bürgerlichen Staates gerichtet sein, um die Bedingungen für den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu schaffen.

Revolution und Konterrevolution

Die Niederlage der revolutionären Bewegung in Europa und der Typ der Konterrevolution, der in Russland Fuß fasste, stellten für die Revolutionäre ein ernstes Interpretationsproblem dar. Der konterrevolutionäre Prozess widerspiegelte sich in den strategischen Veränderungen in der Dritten Internationale. Ihr Hauptziel wurde nun die Verteidigung der russischen Staates, und die kommunistischen Parteien der anderen Länder mussten zu den Strategien und den Taktiken der sozialdemokratischen Politik zurückkehren. Diese degenerative Wende vollzogen auch Trotzki und seine Anhänger, den anderen blieb das Problem, die Lehre aus der Niederlage zu ziehen.

Die Entrismus-Politik Trotzkis und der Trotzkisten gegenüber den sozialdemokratischen und Labour-Parteien (die sogenannte „französische Wende"), ihre Unterstützung der imperialistischen Ambitionen der Sowjetunion haben den Trotzkismus als eine potentiell revolutionäre Strömung ausgelöscht. Es fiel anderen die Rolle zu, die Lehren aus den proletarischen Niederlagen zu ziehen.

Vom Bazillus des Stalinismus angesteckt, scharten sich alle kommunistischen Parteien Europas um die Sowjetunion, und die große bolschewistische Erfahrung hatte mit dem Triumph des Staatskapitalismus in Russland eine Niederlage erlitten. Einzig und allein die kommunistische Linke erkannte den kapitalistischen und imperialistischen Charakter des sowjetischen Staates und rettete das kommunistische Programm vor dem Schicksal, verschüttet zu werden und zusammen mit dieser revolutionären Erfahrung vollkommen zu verschwinden. Das bedeutete, dass sich selbst während des Zweiten Weltkrieges eine revolutionäre Kraft aufrichten konnte (der Partito Comunista Internazionalista 1943).

Die Erfahrung der Konterrevolution in Russland zwang die Revolutionäre, ihr Verständnis der Probleme betreffend die Beziehungen Staat - Partei - Klasse zu vertiefen. Die von der ursprünglichen revolutionären Partei gespielte Rolle führte aber viele potentiellen Revolutionäre dazu, die Idee der Klassenpartei als Ganzes zurückzuweisen. Sie ist aber für das Proletariat in seinem revolutionären Kampf absolut notwendig, da sie den politischen Ausdruck des Klassenbewusstseins darstellt und den fortgeschrittensten Teil der Klasse enthält. Die revolutionäre Partei wird von einer Minderheit in der Arbeiterklasse repräsentiert, das von ihr verteidigte kommunistische Programm kann aber nur von der Klasse in ihrer Gesamtheit verwirklicht werden.

Während der Revolution wird die Partei bestrebt sein, die politische Führung in der Bewegung zu gewinnen, indem sie ihr Programm in den Massenorganen der Arbeiterklasse bekanntmacht und behauptet. So wie ein Wachstum des revolutionären Bewusstseins ohne die Anwesenheit einer revolutionären Partei undenkbar ist, so ist es ebenso unvorstellbar, dass die revolutionäre Partei ohne die Existenz von Räten (oder von ähnlichen Organen, mit denen sich die Klasse ausstattet) die Kontrolle über die Entwicklung erlangen kann. Die Räte (Sowjets) sind das Instrument, durch das sich die Diktatur des Proletariats verwirklicht. Ihr Untergang und ihre Entfernung aus dem politischen Leben Russlands sind eine Auswirkung der Niederlage des Sowjetstaates und des Sieges der Konterrevolution. Die bolschewistischen Kommissare, die von einer erschöpften und dezimierten Arbeiterklasse isoliert blieben, fanden sich in der Rolle, die Macht in einem kapitalistischen Staat zu verwalten, und handelten daher wie Regierende eines kapitalistischen Staates.

In der künftigen Weltrevolution wird die revolutionäre Partei darauf abzielen, die revolutionäre Bewegung ausschließlich über den Weg der Massenorgane der Klasse zu führen, deren Entstehen sie ermutigen wird. Es existieren jedoch keine Rezepte, die den Sieg garantieren. Weder die Partei noch die Räte ermöglichen für sich genommen eine sichere Frontverteidigung gegen die Konterrevolution. Die einzige Siegesgarantie liegt in einem lebendigen Klassenbewusstsein der Arbeitermassen.

Die revolutionäre Partei

Die Klassenpartei oder die Organisationen, aus denen sie entstehen wird, umfassen den bewusstesten Teil des Proletariats, der sich organisiert, um das revolutionäre Programm zu verteidigen. Durch das Instrument des Marxismus und auf der Basis der Lehren, die aus den historischen Erfahrungen der Klasse gezogen wurden, arbeitet die Partei das Programm aus und definiert die revolutionäre Strategie und Taktik. Die zukünftige Weltpartei wird darauf abzielen müssen, die Massen dem Einfluss der verschiedenen konterrevolutionären und nationalistischen Ideologien, die die Arbeiterklasse irreführen, zu entziehen, sie wird aber nur dann imstande sein, ihr Ziel voll zu erreichen, wenn die Arbeitermassen unter dem Anstoß der durch die weltweite Krise des Kapitalismus hervorgerufenen materiellen Widersprüche wieder als Akteure auf die historische Bühne zurückkehren.

Die Revolution wird nur dann eintreten, wenn die revolutionäre Organisation angemessen entwickelt und vorbereitet ist, um den Angriff gegen die politischen Feinde des revolutionären Programms durchzuführen. Wir lehnen aber die Auffassung ab, dass die Partei erst im Augenblick des Beginns der Revolution gegründet werden soll oder dass ihre Aufgaben auf bloße Propaganda beschränkt sein soll. Die proletarischen politischen Kräfte haben die Pflicht, sich auch dann zu organisieren, wenn die objektiven Umstände ihrer Möglichkeit, die großen Massen der Arbeiter zu beeinflussen, enge Grenzen setzen. In der Epoche des Imperialismus kontrolliert die bürgerliche Herrschaft über die Gesellschaft jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens, parallel zur Konzentration der Produktionsmittel in den Händen des Finanzkapitals hat sich die politische und ideologische Herrschaft der Bourgeoisie verstärkt. Was Marx vor mehr als einem Jahrhundert behauptete, trifft heute mehr als zu anderen Zeiten zu:

Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so dass ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschenden Gedanken sind weiter nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft.

Karl Marx, Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie...

Das bedeutet, dass unter der Bedingung von sozialem Frieden und im Besonderen in den imperialistischen Metropolen, wo die Herrschaft der Bourgeoisie am stärksten eingewurzelt und am umfassendsten ist, das Proletariat vollkommen der bürgerlichen Ideologie unterworfen ist. Es ist jedenfalls nötig, das Proletariat in seiner Gesamtheit von der kommunistischen Partei zu trennen.

Solange die gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise nicht zum Zusammenbruch der bürgerlichen ideologischen und politischen Auffassungen führt, können das revolutionäre Programm und die Organisation, die es verficht, nur in einer starken Absonderung von der Klasse existieren, und keine noch so große voluntaristische Anstrengung und kein noch so großes organisatorisches Mittel kann etwas dagegen ausrichten. Trotz alledem ist der Akkumulationszyklus, der nach dem Zweiten Weltkrieg begann, seit geraumer Zeit an seinem Ende angelangt, und der Nachkriegsaufschwung ist in eine globale Krise übergegangen. Wieder einmal befindet sich die Menschheit vor einem historischen Scheideweg: hier der imperialistische Krieg, dort die Revolution, und den über die ganze Welt zerstreuten Revolutionären stellt sich das Gebot, die Reihen enger zu schließen. In der Epoche der Herrschaft des monopolistischen Kapitalismus kann sich kein Land den Anstößen entziehen, die den Kapitalismus zum Krieg treiben. Dieser unabwendbare Gang hin zur Zerstörung wird heute von einem verallgemeinerten Angriff auf die Lebens - und Arbeitsbedingungen des Proletariats begleitet. Es existieren heute die materiellen Bedingungen, aus denen sich der Kampf der Arbeiter gegen die Ausbeuter in einem internationalen Maßstab entwickelt, gleichzeitig besteht die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer kommunistischen Revolution. Was aber noch fehlt, ist eine revolutionäre Partei, die imstande ist, eine solche Schlacht vorzubereiten und durchzufechten.

Leitende Grundsätze für die Organisation

  1. Die historische Epoche, in welcher die nationalen Befreiungskämpfe ein fortschrittliches Element innerhalb der kapitalistischen Welt darstellen konnten, ist seit vielen Jahrzehnten, seit dem Ersten Imperialistischen Krieg 1914, beendet. In der imperialistischen Epoche hat der Kapitalismus einen globalen Charakter angenommen, das bedeutet aber auch, dass die scheinbaren Unterschiede, die noch immer zwischen den verschiedenen Gesellschaftsformationen in den verschiedenen Weltregionen bestehen, keine wirklichen Unterschiede in den Produktionsweisen darstellen. Es besteht deshalb für das Proletariat keine Notwendigkeit, in den verschiedenen Regionen der Welt verschiedene revolutionäre Strategien anzuwenden. Die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft hat gezeigt, dass unter der kapitalistischen Produktionsweise verschiedene Gesellschaftsformationen, Ergebnis von unterschiedlichen Geschichtsverläufen, bestehen können, jedenfalls sind sie den Interessen des Imperialismus unterworfen, der die nationalen, ethnischen und kulturellen Differenzen dazu benützt, seine eigene Vormachtstellung aufrechtzuerhalten. Die Art und Weise, wie die Bourgeoisie ihre politische Kontrolle ausübt, wechselt mit den sozialen und kulturellen Zuständen der verschiedenen Völker, doch die Macht bleibt in jedem Fall stets dieselbe: es ist die des Kapitals.
    Deshalb bekämpfen wir die Ansicht, gemäß der in manchen Ländern die nationale Frage noch offen ist, das Proletariat also in diesen Fällen seine eigene revolutionäre Strategie aufgeben muss, um sich mit der lokalen Bourgeoisie (oder schlimmer, mit einer imperialistischen Front) zu verbünden. Die revolutionäre Organisation weist jeden Versuch zurück, die Klassensolidarität zugunsten der Betonung von Kultur - oder Rassenunterschieden zu untergraben. Nur wenn das Proletariat in der Verteidigung seiner eigenen Interessen geeint ist, wird es in der Tat möglich sein, die Grundlage jeder Art von nationaler Unterdrückung auszumerzen.
  2. In Anbetracht der Tatsache, dass die kapitalistische Herrschaft seit geraumer Zeit globalen Charakter angenommen hat, ist eine revolutionäre Strategie vonnöten, die ebenfalls global ist: Die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats müssen die Angelpunkte der Strategie der kommunistischen Partei in jedem Land sein. Spezifische Situationen, genauer die Verschiedenheit der verschiedenen politischen und sozialen Formen, durch die sich die bürgerliche Herrschaft auf der ganzen Welt realisiert, verlangen sicher verschiedene taktische Annäherungen, aber in jedem Fall wird die Taktik der internationalen Organisation des Proletariats auf der Basis der revolutionären Programms festgelegt werden.
    Das Zeitalter der demokratischen Kämpfe ist seit langem abgeschlossen, sie können in der imperialistischen Epoche nicht wieder aufgegriffen werden. Wenngleich die Forderung gewisser Freiheiten eine Rolle in der revolutionären Propaganda spielen kann, zielt die Taktik der revolutionären Partei auf den Umsturz des Staates und die Errichtung der Diktatur des Proletariats.
    Die Kommunisten geben sich nicht der Illusion hin, dass die Freiheit der Arbeiter durch die Wahl einer Mehrheit im Parlament durchgesetzt werden könne. Vor allem ist der Glaube, dass die herrschende Klasse friedlich bleibt, während wir im Parlament Gesetze für den Sozialismus durchboxen, eine Illusion des „parlamentarischen Kretinismus" (Marx).
    Die parlamentarische Demokratie ist das Feigenblatt, hinter dem sich die Schande der bürgerlichen Diktatur verbirgt. Die wahren Machtorgane der demokratischen kapitalistische Gesellschaft befinden sich außerhalb des Parlaments; es sind die Staatsbürokratie, die Sicherheitskräfte und die Kräfte, die die Produktionsmittel kontrollieren. Das Parlament ist nützlich für die Bourgeoisie nur insofern, als es ihr gelingt, die Illusion zu verbreiten, dass die Regierenden von den Arbeitern gewählt worden sind. Deshalb weigern sich die Revolutionäre, sich an den Parlamentswahlen zu beteiligen, und rufen stattdessen die Arbeiter zum Kampf auf ihrem autonomen Klassenboden. Die Militanten der revolutionären Partei haben die Aufgabe, aufzuzeigen, dass die Arbeiterklasse nur durch die Zerstörung des Kapitalismus und des bürgerlichen Staates eine vollkommene Ausdrucks - und Organisationsfreiheit erreichen kann.
  3. Die Gewerkschaften sind als Instrumente des Abschlusses von Verträgen über die Bedingungen des Verkaufs der Arbeitskraft entstanden und waren niemals nützliche Instrumente für den Sturz des bürgerlichen Staates. In der imperialistischen Epoche ist es darüber hinaus ihre Aufgabe, den Kapitalismus besonders in kritischen Momenten, in denen er besonders bedroht ist, zu stützen.
    Daraus folgt, dass es für die Revolutionäre unmöglich ist, die Führung dieser Organisationen zu erobern. Sie müssen deshalb die Gewerkschaften überall als letzte Bastionen der Konterrevolution bekämpfen.
    Die Erfahrung der letzten revolutionären Welle und der darauf folgenden Konterrevolution machte den marxistischen Revolutionären absolut klar, dass die Gewerkschaften keine Massenorganismen sein können, die sich für eine politische Minderheit der Klasse (die Partei) dazu eignen würden, für die Verbreitung ihres Programm und ihrer Losungen in der gesamten Klasse zu arbeiten. Die Organismen, die die Kommunisten traditionell als Organismen des Kampfes und der Machtausübung der Klasse verstanden haben, sind hingegen die Räte (Sowjets), die sich im Augenblick des Wachstums des Klassenkampfes bilden. So wie die Kommunisten die politische Führung der Massen nur in besonderen Situationen erobern können, bilden sich die Massenorgane, durch die die Kommunisten diese Funktion ausüben können, als Werk der Massen nur in Perioden des ansteigenden Kampfes. Außerhalb dieser besonderen Perioden müssen die Kommunisten ihre politische Arbeit entfalten, indem sie das Wachstum der Klassenvorhut zu fördern versuchen und am Kampf der Arbeiter teilnehmen.
    Die Kämpfe können nur dann ihren zufälligen und reaktiven Charakter abstreifen und sich zu einem antikapitalistischen politischen Kampf weiterentwickeln, wenn die Kommunisten an den Arbeitsplätzen in den Betrieben präsent und wirksam sind. Nur dann können die Kommunisten ein Ansporn für die Arbeiter sein und ihnen die Perspektive weisen, welcher diese folgen können.
    Das heißt, dass sie die bewusstesten Arbeiter dahin lenken müssen, sich nicht für das Aushandeln von Löhnen oder anderer Bedingungen mit dem Kapital einzusetzen, sondern für den Aufbau von Kampfstrukturen, die dann als Band zwischen der Partei und den großen Arbeitermassen dienen können.
  4. Der in Russland mit dem Sieg vom Oktober eingeleitete revolutionäre Prozess wurde durch die Isolierung von Räte-Russland und die Niederlage der Wellen proletarischen Kampfes in den wichtigen europäischen Ländern unterbrochen. Der Arbeiterstaat war dadurch auf sich selbst und auf seine kapitalistischen wirtschaftlichen Grundlagen zurückgeworfen. Diese Erfahrung hat ein für alle Mal den Marxisten gezeigt, dass man den Sozialismus nicht in einem einzigen Land aufbauen kann und dass kein sozialistischer Staat außerhalb eines realen internationalen revolutionären Prozesses existieren kann. Das Proletariat kann zwar in einem einzigen Land die Macht ergreifen und so eine proletarische Macht zum Ausdruck bringen; es kann diese Macht aber nicht halten, ohne dass sich die revolutionäre Bewegung anderswohin ausbreitet.
  5. In der zweiten Hälfte der 20er-Jahre war die Kommunistische Internationale komplett durch die Kommunistische Partei der Sowjetunion beherrscht und hörte auf, ein nützliches Instrument für die Erreichung der objektiven strategischen Ziele der internationalen Proletariats zu sein. Was vom revolutionären Potential in Europa und China blieb, wurde von der Politik der Komintern fehlgeleitet. Diese wurde nun vom Staat Sowjetunion zum Zwecke seines Selbsterhalts gelenkt.
    In der Sowjetunion selbst führte die Erdrosselung des revolutionären Prozesses zur Entstehung einer antiproletarischen Diktatur unter Stalin, Ausdruck der im Lande herrschenden kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse, und die Entwicklung eines gleichartigen Regimes in einem so ausgedehnten Land brachte seinen Wiedereintritt in die internationale Szenerie als imperialistische Macht mit sich. Als solche nahm die Sowjetunion am Krieg in Spanien und dann am Zweiten Weltkrieg teil, durch den sie ihre Kontrolle auf die Länder Osteuropas ausdehnte und sie zwang, ihr stalinistisches Modell des Staatskapitalismus zu übernehmen.
    Der Bankrott der Perestroika und der Zusammenbruch des sowjetischen Blocks bedeuteten keineswegs, dass hier ein „Arbeiterstaat" ans Ende seines Verfallsprozesses gelangt wäre, sondern darin manifestierte sich die Tatsache, dass die Krise des Kapitalismus bereits so weit gediehen war, dass die zweite und schwächere imperialistische Weltmacht schwer getroffen wurde.
  6. In China führte die Entwicklung über einen anderen Verlauf zum selben Resultat, d.h. zu einem staatskapitalistischen Regime, das heute noch auf der Suche nach seiner Rolle innerhalb des internationalen imperialistischen Systems ist. Der grundlegende Unterschied zwischen der russischen und der chinesischen Geschichte besteht jedoch darin, dass in China keine proletarische Revolution ähnlich der von 1917 stattgefunden hat.
    Die Geschichte des heutigen chinesischen Regimes beginnt mit der tragischen Niederlage der proletarischen Bewegung in den Vorfällen von Kanton und Schanghai von 1927. Ihr folgte der Bürgerkrieg. Er wurde von einem Klassenbündnis angeführt, in dem die Bauern die Manövriermasse darstellten. Der Krieg endete mit der Errichtung eines Regimes unter sowjetischer Schutzherrschaft, das von seinem Schutzherrn das Modell des hoch zentralisierten Staatskapitalismus übernahm. Nachdem sich dieses Regime in den 60er-Jahren unter der Fahne des Neostalinismus (Maoismus) aus der sowjetischen Einflusssphäre gelöst hatte, näherte es sich in den 70er-Jahren an die USA an. Diese beiden scheinbar widersprüchlichen Bewegungen entsprangen aus dem Versuch der Staatsmacht, die Kontrolle über die Wirtschaft aufrechtzuerhalten und die kapitalistische Akkumulation zu fördern.
    In China hat nie eine proletarische Macht existiert, und die marxistische Ideologie wurde nur als Mittel benützt, die Massen dazu zu bringen, ihre Interessen zum Wohle des nationalen Kapitals zu opfern.
  7. Aus den vorangehenden Punkten geht hervor, dass es nunmehr Zeit ist, aktiv am Aufbau der revolutionären Partei zu arbeiten. So beschränkt ihre Kräfte auch sein mögen, die Revolutionäre müssen alles ihnen Mögliche tun, um die proletarischen Massen dem politischen Einfluss der reaktionären und kriegstreibenden Kräfte zu entreißen. Dazu ist aber ihre Organisierung und Zentralisierung auf internationalem Niveau nötig. Um der aus der heutigen Zersplitterung und weltweiten Zerstreutheit der revolutionären Kräfte zur politischen und militärischen Schlacht der einheitlichen revolutionären Weltpartei von morgen zu gelangen, müssen die Kommunisten heute die größte Anstrengung unternehmen, um sich politisch zu homogenisieren und neue Kader herauszubilden.
    Die Entstehung der internationalen Partei des Proletariats wird über die Auflösung der verschiedenen „nationalen" Organisationen, die sich in der Plattform und im Programm der Partei wiedererkennen, erfolgen. Das Internationale Büro für die Revolutionäre Partei schlägt sich als Brennpunkt für die Koordinierung und die Vereinigung dieser Organisationen vor. Sein Statut wird die Grundlagen für die organisatorische Homogenisierung (die sich aus der Auflösung der einzelnen Organisationen ergibt) liefern, indem eine wirklich internationale Struktur geschaffen wird. Dann wird das Büro die Aufgabe, die es sich gegeben hat, erledigt haben.
Das Internationale Büro für die Revolutionäre Partei, 1997