Globalisierung und Imperialismus

Aus: Prometeo 1997/2

In der an unserem letzten Kongreß (1983) vorgestellten und allgemein akzeptierten These "Krise und Imperialismus", die sich mit den möglichen Auswirkungen der in den frühen 70er-Jahren ausgebrochenen Wirtschaftskrise befaßt, ist zu lesen:

Die grundsätzliche Tendenz ist klar: Wir befinden uns nicht in einer Konjunkturkrise, die innerhalb einer größeren oder kleineren Zeitspanne zu überwinden sein wird, sondern in einer permanenten Wirtschaftskrise, die nur in einem neuen Weltkrieg ihren Abschluss finden kann.

Nun, wenn wir den Bruch der Vereinbarungen von Bretton Woods als einen Wendepunkt in der aufsteigenden Phase des mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eröffneten kapitalistischen Akkumulationszyklus betrachten, so hat sich die Krise insgesamt 26 Jahre lang hingezogen, ohne daß der Dritte Weltkrieg ausgebrochen ist. Es ist offenkundig, daß die Vorausschau (Entwicklung hin zum Weltkrieg) für die Dauer der Krise gültig bleibt, sofern man ihr als Zykluskrise einen Phasencharakter und nicht einen temporären Charakter zuschreibt. Das schließt jedoch nicht aus, daß sich sicherlich eine gewisse Kluft zwischen der Vorausschau und den tatsächlich eingetretenen Ereignissen aufgetan hat, und es darf auch kein Alibi sein, mit geschlossenen Augen zu warten, bis sich die Vorhersagen wie eine Prophezeiung erfüllen. Es wäre ein Verzicht auf den dialektischen Materialismus zugunsten einer banalen Formaldialektik: einer uns fremden Methode, die wir der Schar von Mechanisten überlassen, die sich leider auch in den Reihen der kommunistischen Linken tummeln.

Die Krise hat ihren Ursprung in der Überakkumulation von Kapital, und deshalb ist die Zerstörung des überschüssigen Kapitals allem Anschein nach die einzige bürgerliche Lösung der Krise, die einzige Lösung, die den Übergang von einem Akkumulationszyklus zum anderen ermöglicht. Darüber besteht kein Zweifel, und die marxistische Krisentheorie hat, wie wir mehrere Male gezeigt haben, gerade in den Ereignissen der letzten Jahre ihre volle Bestätigung erfahren. Es gibt daher nichts zu erfinden oder zu entdecken. Wir müssen aber die Reflexion über alle jene Prozesse verstärken, die einen in vielen Aspekten unvorhergesehenen Ablauf der Krise gebracht haben. Teilweise handelt es sich um Phänomene, die von der marxistischen Kritik des Kapitalismus bereits beschrieben worden sind, die sich aber noch nie so rein manifestiert haben und noch nie die zentrale Bedeutung hatten, die sie heute haben.

Hier möchten wir aber nicht über den inneren Zusammenbruch des ehemaligen sowjetischen Imperiums sprechen, auch wenn dies einer der Hauptgründe dafür ist, daß kein dritter Weltkrieg ausgebrochen ist, denn diese Ereignisse sind von unserer Partei in den letzten Jahren schon mehrfach unter die Lupe der marxistischen Kritik genommen worden. Wir möchten uns hier bei jenen Phänomenen aufhalten, die verstärkt in den letzten Jahren aufgetaucht sind und mit dem wirtschaftlichen und finanziellen Umgang mit der Krise verknüpft sind, insofern sie relevante Veränderungen in den Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit als auch interessante Perspektiven für die Wiederaufnahme des Klassenkampfes ankündigen.

Wie bekannt ist, hat bereits Marx bei der Untersuchung des Gesetzes über den tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate herausgestellt, was für eine starke Wirkung von dieser Tendenz auf die Internationalisierung des Kapitals ausgeht. Doch erst die moderne technologische Revolution hat ermöglicht, daß sich diese Tendenz vollendet und damit einen ungeheuren Druck auf den Prozess der Globalisierung der Wirtschaft ausübt, den die Propaganda der Bourgeoisie als zukünftiges Allerheilmittel für alle Übel der Welt darstellt, als Eldorado, für das kein Opfer zu groß ist.

Die industrielle Globalisierung

Die Einführung der Mikroelektronik in den Produktionsprozeß hat nicht, wie andere Technologien in der Vergangenheit, zur Enstehung neuer Produktionssektoren geführt, sondern zur absoluten und relativen Zerstörung einer großen Anzahl von Arbeitsplätzen. Zum ersten mal in der Geschichte des modernen Kapitalismus folgte einem neuen technologischen Stadium, nicht einmal nach einer mehr oder weniger langen Krise, keine Erweiterung der Produktionsbasis, welche gemeinsam mit dem Zuwachs an Arbeitsproduktivität zu einem quantitativen Anstieg der im Produktionsprozeß verwendeten Arbeitskraft führen hätte können. Die auf der Mikroelektronik basierenden Technologien wurden zum Ersatz für die Arbeitskraft und sie haben, entgegen aller Erwartungen, nicht zur Entwicklung neuer produktiver Sektoren geführt. Da aus diesem Grund der gesamte Mehrwert nicht mittels eines Anstiegs der Beschäftigtenzahl erhöht werden konnte, erlahmte der Mechanismus, der die mittlere Profitrate kompensieren sollte, und man mußte sich auf einen von einer immer geringer werdenden Zahl von Arbeitskräften produzierten Zuwachs des absoluten und relativen Mehrwerts stützen. Daraus resultierten fieberhafte Versuche, die ihresgleichen in diesem Jahrhundert.suchen, den absoluten Mehrwert mittels Verlängerung des Arbeitstages und den relativen Mehrwerts durch Steigerung des Ausbeutungsgrades der Arbeitskraft zu vergrößern. Die Folgen waren eine sukzessive Abwertung der Arbeitskraft, eine tiefgreifende Veränderung des Arbeitsmarktes und eine weltweite Arbeitsteilung.

Die Revolution im Bereich der Telekommunikation und die Vereinfachung der Arbeit als Folge zunehmender Automatisierung haben die Verlagerung wichtiger Produktionssegmente in Gebiete mit extrem billliger und wenig qualifizierter Arbeitskraft ermöglicht, dies auch im Bereich komplexer Produktionsprozesse. Neben der Abwerung der Arbeitskraft resultierte daraus auch eine extrem flexibilisierte Lohnstruktur, die den Unternehmen ermöglichte, die Anstellung von Arbeitskräften und deren Entlohnung den Entwicklungen des Marktes anzupassen.

Als längst überholt gelten auch die Tarifverhandlungen der internationalen Borgeoisie (allen voran jene der USA) nach dem Zweiten Weltkrieg, die der monopolistischen Planung Stabilität und Kontinuität garantieren sollte. An ihre Stelle tritt immer mehr eine Art Individualverhandlung, die alle Schranken beseitigen soll, welche verhindern könnten, daß der Preis der Arbeitskraft im Verhältnis zu einer weit unter dem Angebot liegenden Nachfrage sinkt. Das Phänomen ist so stark, daß es nunmehr auch den indirekten Lohn betrifft, welcher Ziel von Attacken ist, die auf den Abbau von Institutionen wie Sozial- und Pensionsversicherung abzielen, welche im allgemeinen als sicher erworbene Rechte gelten.

Der Prozeß der kontinuierlichen Abwertung der Arbeitskraft hat einerseits vortrefflich die fehlgeschlagene Kompensation des Absinkens der durchschnittlichen Profitrate mittels eines enormen Zuwachses an der in der Produktion beschäftigten Arbeitskräften ausgeglichen, andererseits hat er den Widerspruch selbst verschärft, indem der Ersatz der Arbeitskraft durch dementsprechende Investitionen gefördert wurde. Die kapitalistische Reorganisation und Neustrukturierung haben infolgedessen noch beachtlichere Dimensionen errreicht. Die relative und absolute Reduktion der Arbeitskraft hat den Grundstein zu einem Absinken der weltweiten Nachfrage in vielen strategisch bedeutsamen Bereichen gelegt und hat für größerere Produzenten zu Marktschwierigkeiten geführt. Indem die einzelnen nationalen Märkte immer kleiner wurden, wuchs die Bedeutung der internationalen, um die ein wahnwitziger Kampf entfacht wurde, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Der gigantische Zuwachs an Wettberwerbsfähigkleit ist daher der Imperativ, nach dem sich die die strategischen Entscheidungen der meisten Industrieländer richten. Aber eine größere Wettbewerbsfähigkeit zieht immer eine Zunahme der Automatisierung nach sich; diese hingegen bedeutet einen Zuwachs an konstantem Kapital und sowohl relative als auch absolute Reduktion des variablen Kapitals; deshalb tendiert der Widerspruch,der die Abnahme der Profitrate begünstigt, dazu, sich auszuweiten und die Anreize zur Globalisierung werden stärker. Abber auch jene Kapitalmasse wird immer größer, die im normalen Produktionspozeß keinen Gewinn mehr bringt und sich daher in den Bereich finanzieller Spekulation verlagert.

Die finanzielle Globalisierung

1300 Milliarden Dollar bewegen sich auf der Suche nach Profit tagtäglich mit Lichtgeschwindigkeit von einem Ende der Welt an das andere. Um eine Idee von der Größe dieser Masse an Kapital zu bekommen, genügt es sich vorzustellen, daß die Notenbanken aller OECD-Länder zusammen nicht mehr als 350 Milliarden umsetzen. In der Rangliste der ersten 10 Unternehmen der Welt nehmen die ersten fünf Plätze Finanzfirmen ein, in erster Linie die großen amerikanischen und japanischen Pensionsfonds. Noch vor 10 Jahren wurden die ersten Plätze ausschließlich von Industrieunternehmen belegt.

Nach dem Ende der Verhandlungen von Bretton Woods haben sich die Finanzmärkte immer mehr ausgeweitet und heute gibt es mehr Innovationen auf dem Finanzsektor als im Bereich der Industrie. Vor allem der Devisenmarkt, der mit der Schaffung des Marktes für Währungsoptionen im Jahre 1982 (dank eines dementsprechenden Gesetzes über Termingeschäfte in den USA, dem Future Trading Act) belebt wurde, hat einen großen Umbruch erlebt. Mit der Schaffung dieser neuen Produkte sind die großen Finanzgruppen tatsächlich in der Lage, durch Interventionen das Geldvolumen zu bestimmen und auf dieses eine Kontrolle auszuüben, was einstmals ausschließlich Sache von Staaten und ihren Notenbanken war. Dank der Kontrolle über das Geldvolumen ist der Prozeß der Preisbildung auf internationalem Niveau in ihren Händen, oder besser gesagt, in den Händen einer kleinen Zahl von Finanzunternehmen, Banken und Pensionsfonds. Deshalb unterliegt die sogenannte Realökonomie der Finanzrendite und tendiert kontinuierlich zu einer Erhöhung des für die Spekulation vorgesehenen Mehrwerts. Die Finanzspekulation, die sich bis in die gesamten 80er Jahre hindurch mit Warenpreisschwankungen befaßte, hat sich jetzt den Währungsschwankungen zugewandt. Das Sinken der Inflationsrate, das in den letzten Jahren in allen Industrieländern zu beobachten war, resultiert aus dieser Verlagerung der Spekulation aus dem Bereich der Warenpreise in jene der Währungen und ist nicht, wie oft behauptet wird, Verdienst einzelner Regierungen.

Währungen sind Symbole und können mit extremer Geschwindigkeit von einem Teil der Welt in einen anderen verschoben werden; man kann damit den Zusammenbruch von Kursen oder den Aufschwung einer Währung zugunsten einer anderen steuern. Für denjenigen, der beträchtliche Mengen an Finanzkapital kontrolliert, ist es leicht, in die Wechselkurse einzugreifen um Extra-Profit abzuschöpfen. Aber es handelt sich dabei immer nur um ein Verschieben des Mehrwerts von einem Kapital zum anderen, es wird kein größerer Mehrwert produziert, weshalb die Kluft zwischen Geldwert und Realwert der produzierten Waren erhalten bleibt. Die Inflation, welche durch diese Kluft ausgedrückt wird, flaut nicht ab, sondern verlagert sich von den Warenpreisen auf die Währungspreise und dabei vor allem von den starken Währungen auf die schwachen. Und tatsächlich eignen sich die starken Währungen auf diese Weise ohne Blutvergießen und ohne sich die Hände in der Warenproduktion schmutzig zu machen, Mehrwertsanteile an. Der Prozeß der Reichtumsverteilung wird von diesen Bewegungen diktiert, immer größere Anteile an Mehrwert verleibt sich die finanzielle Rendite ein, und das internationale Proletariat ist jeden Tag aufs neue aufgerufen, sich den Gürtel enger zu schnallen um die nationale Wirtschaft vor den Angriffen der Spekulation zu retten und um die sogenannten Märkte zu beruhigen, deren Bewertungen mittlerweile sind wie jene des Papstes: unfehlbar und unumstößlich. In Wirklichkeit ist die parasitäre Aneignung die vorherrschende Form der Aneignung von Mehrwert geworden und die Vorherrschaft des Rentier, wie ihn Lenin beschrieben hat, ist heutzutage so total und umfassend wie nie zuvor.

Der einzige herrschende Gedanke

Die Wirtschaftswissenschaftler, die Intellektuellen und die bürgerlichen Politiker erwarten, von einigen Ausnahmen abgesehen, mit der Globalisierung die endgültige Behauptung der freien Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Man bekundet mit ohrenbetäubender Insistenz, daß, wenn sich erst mit der Globalisierung ein einheitlicher weltumfassender Markt durchgesetzt hat, die freie Konkurrenz schrankenlos und schließlich, wie in den Lehrbüchern beschrieben, perfekt sein wird. Und wenn dieser Prozeß einmal in Gang gekommen sein werde, stelle sich ein vom freien Spiel von Angebot und Nachfrage gelenktes wirtschaftliches Gleichgewicht ein. Und da der Kampf um ein derartiges Gleichgewicht weniger konkurrenzfähige Unternehmen ausschließe, werde die Globalisierung auch der Triumph der Rationalität und Effinzienz, der Demokratie und es Wohlstandes sein

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Es werde zu einer besseren Verteilung der Ressourcen und des Gewinns und offensichtlich auch der Löhne kommen. Unwidersprochen dominiert die Idee des Laissez-faire und andauernd beschwört man die Liberalisierung des einen oder anderen Sektors, die Privatisierung dieses oder jenes Unternehmens, die Beseitigung aller Hindernisse, die die freie Bewegung der Kapitalien behindern würden, die Abschaffung von sozialen Sicherheiten (Welfare Reform) und die Aufhebung von Regeln, welche die Ausbeutung der Arbeitskraft beschränken könnten. Der Herausgeber von Le Monde Diplomatique, Ignacio Ramonet, hat dies den einzigen vorherrschenden Gedanken genannt und er hat sich nicht geirrt; gegen diesen Gedanken kann man in der Tat keine Einwände vorbringen. Man muß kein Marxist sein um in die Verbannung geschickt oder wie ein altes Relikt aus einer längst begrabenen Vergangenheit behandelt zu werden: es reicht, eine Anspielung auf Keynes zu machen, und der neoliberalistische Geist gerät aus allen Fugen. Aber der Neoliberalismus ist nur scheinbar die Ideologie des Laisser-faire: Die Welt hat sich zu sehr verändert als daß man ernsthaft Manchester mit Silicon Valley oder einen Webstuhl mit numerischer Kontrolle verwechseln könnte. Die heute vorherrschende Ideologie ist in Wirklichkit die Ideologie des Monopolistischen Kapitalismus, der seine höchste Entwicklungsstufe erreicht hat.

Die Liberalisiserung der Märkte, die Abschaffung jeglicher Regeln und die Entfernung aller Hindernisse für die freie Bewegung der Kapitalien ist lebensnotwendig geworden für das Überleben des Systems, ohne diese Mechanismen wären die gigantischen Konzentrationsprozesse und die Zentralisierung der Kapitalien, die die Globalisierung mit sich bringt, nicht möglich Um auf dem Weltmarkt präsent zu bleiben, bedarf es zumindest kontinentaler Dimensionen, ansonsten bleibt man nicht wettbewerbsfähig. Man kann beispielsweise nicht auf dem Telekommunikationsmarkt, auf dem die amerikanischen Kolosse in transkontinentalen Dimensionen arbeiten, mit den Möglichkeiten einer Stet oder Telecom überleben. Hier müßten sich drei Telecoms oder Stets zusammentun; Und da ist sie also, die Notwendigkeit der Privatisation dieser Unternehmen, die es braucht, um den Zusammenschluß mit anderen zu fördern, damit eine Gruppe von wenigstens kontinentalem Ausmaß entsteht. Dasselbe gilt für Banken, Industrien und Staaten.

Der zweidimensionale Staat

Gleichzeitig mit der Liberalisierung des Markes fordert das vorherrschende Denken mit derselben Eindringlichkeit die Entlastung des Nationalstaates. Man spricht von Lean-State und beschreibt einen zurückhaltenden Staat mit wenig Macht und wenigen Funktionen: Wächter der freien Konkurrenz und Garant, daß allen dieselben Möglichkeiten zugestanden werden.Aber auch hier beansprucht die dominierende Ideologie, wie auch bezüglich der Konzentrationsprozesse im Unternehmensbereich, den Zerfall des Nationalstaates. Nicht weil man, wie einige lokale Theoretiker meinen, eine Welt mit freien Staaten in einem freien Markt möchte, sondern weil angesichts der Konzentration und Zentralisierung der Kapitalien der Nationalstaat nicht mehr imstande ist, einige seiner grundlegensten Aufgaben auf zusammenhängende Weise zu lösen. Damit die großen monopolistischen Gruppen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein können, müssen sie teilhaben an der Aufteilung der finanziellen Gewinne. Deshalb muß der jeweilige Staat im Stande sein, eine effiziente und umsichtige Verwaltung der großen makroökonomischen Variablen und insbesondere des Geldvolumens zuzusichern. Ein Staat mit einem geringeren Geldvolumen ist nicht in der Lage, die Stoßwelle internationaler Spekulation abzufangen, der er seine gesamte Wirtschaft aussetzt. 1987 verkaufte der amerikanische Finanzier Andy Krieger das gesamte Geldvolumen Neuseelands indem er Währungsoptionen einsetzte und saftige Gewinne auf Kosten der dortigen Notenbank einstrich. Nun, wenn man bedenkt, daß Krieger nur 700 Millionen Dollar von einer Milliarde und dreihundert Millionen Dollar, die sich täglich auf den internationale Finanzmärkten bewegen, verschoben hat, kann man sich vorstellen, daß es in einer globalisierten und vom großen Finanzkapital dominierten Wirtschaft nicht der Staat selbst ist, der keinen Sinn mehr hat, sondern der kleine Staat, der nicht überleben kann. Der Auflösungsprozeß der Nationalstaaten, dessen Zeuge wir gegenwärtig sind, leitet nicht eine Schwächung des Staates ein, sondern eine Veränderung seiner Struktur zugunsten der Bildung von Währungszonen von mindestens kontinentalem Ausmaß.

Der sich abzeichnende Staat ist auf nationalem Niveau schwach und dezentralisiert, hingegen ist er stark und extrem zentralisiert auf kontinentaler Ebene. Dies ist der Staat der großen transnationalen monopolistischen Gruppen.

Das neue imperialistische Gleichgewicht

Nach dem Fall der Berliner Mauer und später des ganzen sowjetischen Imperiums stimmte die bürgerliche Propaganda ihre Lobeshymnen über den Beginn einer neuen Ära an. Nie mehr Krieg, denn der letzte Krieg war gewonnen worden; kein Elend mehr, denn die Welt war vom Kommunismus befreit worden. und die Blüte des Wohlstandes sollte nun überall aufgehen; keine Diktaturen mehr, denn der Kapitalismus sei das Synonym für die Freiheit. Einige sprachen sogar vom Ende der Geschichte.

Es war leicht, die Enttäuschung dieser Erwartungen vorauszusehen: die Kriege und das Elend gibt es noch, die Freiheit ist wie immer ausschließlich der Bourgeoisie vorbehalten, und was am meisten zählt ist die Tatsache, daß die interimperialistischen Konflikte kein Ende gefunden haben.

Aber auch angesichts eines so gewaltigen Widerspruchs geht die Bourgeoisie nicht von ihrer Haltung ab. Heute proklamieren ihre Chorsänger daß die Globalisierung das endgültige Grab des Krieges sei, und (so tönt es wie immer aus den USA) sollte es dennoch Kriege geben, so werden diese Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Zivilisationen und Kulturen stattfinden, niemals werde es aber Zusammenstöße aufgrund materieller Interessen geben. Laut dieses allgemein vorherrschenden Standpunktes, wird es die zur Zeit stattfindende Umwandlung von großen monopolistischen Gruppen in transnationale Unternehmen verunmöglichen, ein multinationales Unternehmen aufgrund seiner Nationalität zu identifizieren. Die Geschäfte werden in einem Netz abgewickelt werden, in dem eine Masche mit der anderen zusammenhängt, und es wird im Interessse aller sein, zu verhindern, daß sich darin Laufmaschen bilden.

Das Bild, so faszinierend es auch sein mag, kontrastiert scharf mit der Realität. Diese, wie wir gesehen haben, setzt für den Erfolg einer monopolistischen Gruppe folgende Bedingungen voraus:

  1. eine Dimension von mindestens kontinentalem Ausmaß;
  2. die Fähigkeit, die Aktivitäten optimal bezüglich des Verhältnisses Produktivität / Arbeitsaufwand einzusetzen;
  3. die Fähigkeit, die niedrige Profitrate mittels angemesserer Zusatzgewinne auszugleichen;
  4. ein hegemonial abgesichertes Gebiet, das imstande ist, eine bestimmte Produktionsquote zu absorbieren.

Wenn man also genau nachdenkt, bemerkt man, daß all diese Voraussetzungen eine solide Bezugsbasis brauchen. Besonders das Erzielen von Zusatzgewinn setzt den Bezug zu einer Währung voraus, die fähig ist, auf dem internationalen Markt um die Aufteilung der Finanzrendite zu kämpfen, umso mehr als der unaufhaltsame Rückgang der mittleren Profitrate, wie wir gesehen haben, weiterhin Zahl und Ausmaß jener Kapitalien, welche keine adäquate Vergütung in direkt produktiven Investitionen finden, ansteigen läßt. Die Zusammenstöße bei der parasitären Aneignung von Mehrwert werden immer härter und das Welt-Dorf zu klein werden, um die wachsende Anzahl an Vampiren zu beherbergen, die es bewohnen. Bereits heute, obwohl nur eine Supermacht auf der Bühne verblieben ist, sät der Kampf um die Eroberung hegemonialer Positionen Tod und Terror in jedem Winkel der Erde. Vom Kaukasus bis Afghanistan;vom Ural bis zum Balkan; Im Mittleren Orient, auf dem gesamten afrikanischen Kontinent und in Lateinamerika gibt es nicht einen einzigen Streifen Land, der nicht von auf Interessenskonflikten imperialistischer Gruppen basierenden Kriegen gepeinigt wird. Natürlich sind wir weit entfernt von imperialistischen Blöcken, die dem amerikanischen Block (dem Währungsbereich des Dolllars) gleichwertig wären. Aber worauf zielt die europäische Einheitswährung ab? Und die großen deutschen Investitionen in Rußland, die japanische Expansion im Südosten Asiens? Europa, und im besonderen Deutschland und Japan, befinden sich vor einer Weggabelung: entweder sie vereinigen Kräfte, die stark genug sind, dem Dollarblock zu trotzen, der nunmehr den gesamten amerikanischen Kontinent umfaßt, oder sie sind dazu verurteilt, eine amerikanischen Übermacht zu akzeptieren; Das würde bedeuten, Mehrwertszuwächse dem Dollarbereich zu überlassen, um dann zu riskieren, unterzugehen und als Zeuge dem eigenen finanziellen und wirtschaftlichen Ruin beizuwohnen.

Diesen Weg hat Deutschland schon halb beschritten: es hat praktisch den Einfluß der Mark auf ganz Osteuropa ausgedehnt und, trotz der Mitwirkens der USA, einen Großteil des Balkans. Tatsächlich sind auch Holland, Belgien, Dänemark, Österreich und Schweden im Einflußbereich der Mark. Diese hat ihren Einfluß auch auf Indien und einige Gebiete Afrikas ausgedehnt, aber das reicht nicht. Deutschland hat einen Markt, ein Heer und einen Staat gegen sich, der ganz allein all das schon seit einigen Jahrhunderten verkörpert. Um die Kräfte auszugleichen, wäre es notwendig, daß die gesamte Europäische Union sich innerhalb eines einheitlichen kontinentalen Gebiets mit einer gemeinsamen Währung als Bezugspunkt vereint, und sogar dann könnte die Rechnung nicht aufgehen. Das Schicksal der Welt hängt auch vom Ausgang der russischen Krise ab: ob das, was dabei herauskommt, imstande sein, eine eigenständige Rolle zu spielen, oder ob es derartig schrumpfen wird, daß es sich nur mit jemandem zusammenschließen kann, der stärker als es selbst ist. Es wird davon abhängen, was Japan in Asien unternehmen wird und von China. Nur die generalisierenden und verfälschenden Statistiken des IWF sind imstande, das, was in China passiert, als gigantischen wirtschaftlichen Entwickungsprozß, der im Widerspruch mit den Tendenzen der Weltwirtschaft steht, zu verkaufen. In Wirklichkeit ist China in gewisser Hinsicht das Äquivalent Rußlands in Asien: Ein gewaltiges Knäuel von Widersprüchen, bereit, beim geringfügigsten Anlaß zu explodieren. Es ist schwierig, vorauszusehen, ob sich das komplizierte Puzzle zusammensetzen lassen wird. Aber die Impulse, die aus der Welt der Wirtschaft kommen, drängen auf die Bildung von mindestens zwei weiteren großen Währungszonen außerhalb jener des Dollars; und um diese herum mindestens gleichviele Kontinental-Staaten oder auch transkontinentale Bündnissysteme, unter sich im Kampf um die Kontrolle der Mechanismen beim Abpressen finanzieller Erträge. Wer klein bleibt oder nicht genug wächst, ist dazu verdammmt, zerquetscht zu werden.

Nur wenn man von diesen Tendenzen abstrahiert, oder besser gesagt abstrahiert von den immanenten Widersprüchen im kapitalistischen Akkumulationsprozeß, kann man sich auf rein hypothetische Weise eine Welt ohne Konflikte vorstellen. Dieselben Antriebskräfte, die die Bildung neuer Währungszonen begünstigen, tendieren auch dazu, wirtschaftlich stärkere Gebiete von schwächeren abzutrennen. Dies wiederum führt zu einer übergreifenden Teilung der Nationalstaaten und nährt manchmal auch Spannungen, die zu deren Spaltung führen können (siehe ehemaliges Jugoslawien); Und / oder zu alles verwüstenden und verheerenden interimperialistischen Kriegen, die eine kontinentale Integration sinnlos machen.

Aus den bisher gemachten Untersuchungen scheint klar hervorzugehen, daß die Voraussage des Krieges als einzige bürgerliche Lösungsmöglichkeit anhand vorliegender Tatsachen weder als falsch noch als überholt betrachtet werden kann. Die aktuell stattfindenden Prozesse kapitalistischen Wiederaufbaus haben einereits den gigantischen Prozeß der Abwertung der Arbeitskraft ermöglicht, mit der das Sinken der Profitrate gemildert und die Finanzrendite vermehrt worden sind; andererseits, ohne die krisenimmanenten Widersprüche aufzulösen, haben diese Prozesse der Krise eine einheitliche, weltumspannende Dimension und eine Schärfe verliehen, die den Umgang mit den Problemen mittels herkömmlicher finanzieller und wirtschaftlicher Instrumente zusehends schwieriger macht; aus diesem Grund wird der Rückgriff auf zerstörerische Gewalt immer häufiger und unentbehrlicher.

Die Perspektive des Krieges ist immer noch aktuell, auch wenn es keine gleich starken untereinander kämpfenden Blöcke mehr gibt. Es wird zukünftig um Kriege von sogenannter niedriger Intensität gehen, um Lokal-, Religions- oder Stammeskonflikte, aber immer um interimperialistische Kriege. Eine Art permanenter Krieg, ein immenses schwarzes Loch, in das auf zerstörerische Weise Menschen, Dinge und Teile von Kulturen fallen werden bis zur totalen Barbarei.

Schlussfolgerungen

Ein Proletariat, von der Gewerkschaft in der Logik der Wettbewerbsfähigkeit gefangen gehalten, zerstört durch stalinistische Korruption und durchdrungen von kleinbürgerlichen Lebensmodellen aufgrund einer starken Arbeiteraristokratie in den eigenen Reihen, hat sich als unfähig erwiesen, dem kapitalistischen Wiederaufbau auch nur den geringsten Widerstand entgegenzusetzen. Aber die Zeichen für eine Veränderung des Verhältnisses der Klassen untereinander werden mit jedem Tag deutlicher.

In der Ausdehnungsphase dieses Akkumulationszyklus haben in der kapitalistischen Metropole die erhöhten Profitraten die Bildung einer Arbeiteraristorkratie und das Anwachsen der Mittelstände begünstigt, sodaß sich ein Großteil des Proletariats, zumindest in stark verstädterten Ländern, die Lebensmodelle der Kleinbürger angeignet hat, was dem System Stabilität und Gleichgewicht verlieh; Aber dieselben Gründe, welche zu einer permanenten Abnahme des Wertes der Arbeitskraft und zum Anwachsen der parasitären widerrechtlichen Aneignung führen, begünstigen nun eine konstante Reduktion der Mehrwertsraten, die vorher für die Aktivitäten des Kleinbürgertums und der Arbeiteraristokratie bestimmt waren. Außerdem betrifft die Computerisierung die Büroarbeit und die Freiberufe und hat zahlreiche Distributionsaktivitäten überflüssig gemacht. Im kommerziellen Bereich gilt das kleine und mittlere Unternehmen als veraltet, sodaß beim Prozeß der Auflösung und Neuformierung der Klassen eine Tendenz zur Proletarisierung der Gesellschaft zu beobachten ist. Diese Kräfte sind so stark, daß man beim sinnlosen Versuch sie zu bremsen immer häufiger beobachten kann, wie große Teile des Kleinbürgertums radikalen konservativen Lockrufen folgen (Regionalismus, Sezessionismus, Legismus usw.), sodaß diese Bewegungen, falls sich die Wirtschaftskrise zuspitzt, auf reaktionäre Weise benützt werden könnten. Aber die Prozesse der Proletarisierung und jene der Vereinheitlichung der Ausbeutungsformen stellen objektiv günstigere Bedingungen für den Erfolg einer starken internationalen kommunistischen Bewegung als sicherer Bezugspunkt im Klassenkampf dar, die zumindest einen Teil des Proletariats für sich einnehmen könnte.

Das Problem vor dem wir stehen ist die Frage, wie unsere kleine Avantgarde dazu beitragen kann, daß sich eine internationale revolutionäre Partei reformieren und aus dem Treibsand befreien kann, in dem sie feststeckt. Unter dem Gewicht wachsender Ausbeutung wird sich das Proletariat früher oder später bewegen.

November 1997