Stellungnahme zu den Banlieu-Krawallen in Frankreich im Herbst 2005

Die Arbeitervororte mit starkem Immigrantenanteil werden nun schon die dreizehnte aufeinander folgende Nacht von Ausschreitungen heimgesucht. Ausgehend von den Pariser Vororten dehnten sie sich auf die Provinzen aus, auf Großstädte wie Lyon, Bordeaux und Nantes, aber auch auf Kleinstädte wie Blois oder Rennes. Mehr als 4000 Autos, außerdem unzählige öffentliche Gebäude und Privathäuser wurden seit dem Beginn der Krawalle am 27. Oktober (2005) in Brand gesteckt.

Die Unruhen wurden vermutlich durch die verächtlichen Äußerungen des Innenministers oder durch den Tod zweier Jugendlicher durch einen Stromstoß in einem Trafokasten der Elektrizitätsgesellschaft ausgelöst. Die Anspannung und Verbitterung bei diesen arbeitslosen und unter prekären Bedingungen lebenden Arbeiterjugendlichen war aber schon seit Monaten spürbar. Die Ereignisse haben ihre Wurzel in der Verzweiflung dieser Jugendlichen, deren Alltag durch Misere und Erniedrigung geprägt ist. Der Großteil von ihnen ist vom Schulsystem hinausselektiert worden und bleibt von der Arbeitswelt ausgeschlossen. Sie haben keine andere Zukunft als weiter in diesen Ghettos zu vegetieren, zu denen sich die Vororte entwickelt haben.

Diese Ausbrüche von Wut und Gewalt werden durch die Vertiefung der Krise des Kapitalismus hervorgebracht. Aber sie zeigen keine Perspektive für die Arbeiterklasse auf. Diese Jugendlichen waren in ihrer großen Mehrzahl noch nie mit der Arbeitswelt konfrontiert und haben nur einen schwachen und ziemlich diffusen Klasseninstinkt. Ihre Revolte unterscheidet etwa ganz wesentlich mit den Unruhen von 2001/02 in Argentinien, wo sich hungernde Proletarier organisiert hatten, um Supermärkte zu plündern, oder von denen der Proletarier in New Orleans im Gefolge des Wirbelsturm Catherina, die, nachdem sie von der Armee in der zerstörten Stadt eingeschlossen worden waren, Geschäfte plünderten, um das Überleben zu sichern. Die Aufrührer in Frankreich zerstörten die Autos ihrer proletarischen Nachbarn, zündeten die von ihren Brüdern und Schwestern besuchten Schulen an, brannten Supermärkte nieder usw.

Diese Krawalle zeugen zwar von den schwierigen Lebensumständen der Proletarier in einer großen kapitalistischen Metropole, weisen allerdings für den Moment keinen politischen Klasseninhalt aus. Die einzige Antwort, die die Regierung, die herrschende Klasse hatte, war die Repression. Die Bourgoisie ergreift so die Gelegenheit, ihren Repressionsapparat, der durch den “Kampf gegen den Terrorismus” ohnehin schon weit weit entwickelt ist, zu vervollständigen. Um die Ausschreitungen bzw. den Vandalismus einzudämmen, hat die Regierung soeben das bestehende repressive Arsenal durch eine gewichtige Waffe erweitert. Der Regierungschef hat das Gesetz vom 3. April 1955 ausgegraben, mit dem während des Algerienkrieges der Staatsnotstand eingeführt wurde. Die mit erweiterten Machtbefugnissen ausgestatteten Präfekten fällen ihre Entscheidungen jetzt auf der Grundlage dieses Gesetzes. Sie können Ausgehverbote verhängen, den Personen- und Fahrzeugverkehr untersagen, unerwünschten Personen Aufenthaltsverbot in ihrem Departement erteilen, Hausdurchsuchungen (auch nachts) anordnen usw.

Solche Bewegungen wie die der Immigrantenjugend der französischen Vorstädte drücken leider auch das Fehlen einer Perspektive in der Arbeiterklasse aus, und sie unterstreichen einmal mehr die Notwendigkeit für die Revolutionäre, zur Wiederherstellung der Kampfbedingungen auf dem Feld des Kampfes für unmittelbare Forderungen und in weiterer Folge des politischen Kampfes beizutragen. Sie unterstreichen die unverzichtbare Notwendigkeit der revolutionären, wirklich kommunistischen, internationalen und internationalistischen Partei. Diese Revolten der Verzweiflung werden nur mit der Entwicklung von realen, von der revolutionären Partei politisch geführten Klassenkämpfen einen positiven Ausgang finden.

IBRP - Internationales Büro für die revolutionäre Partei, 9. November. 2005