Aufstand in Tunesien

Wie gewöhnlich sind die Zahlen sehr umstritten: Die Demonstranten reden von fast 50 Toten, die Regierung geht von 14 aus. Eines ist jedoch sicher: Die spontane heftige Revolte hat eine entschiedene und gewalttätige Repression hervorgerufen. Der schwelende Konflikt in Tunesien spielt sich vor dem Hintergrund der internationalen Krise ab, die an keinem vorbeigeht – besonders in den wirtschaftlich schwächsten Ländern. Auch in Algerien gibt es Proteste während es in Ägypten und Marokko, wo die Lage genauso schlimm wenn nicht gar schlimmer ist, noch nicht zu einer sozialen Explosion gekommen ist.

Die aufgestaute Wut, die sich in den Demonstrationen ausdrückt, richtet sich im besonderen Maße gegen die diktatorische Macht von Ben Ali, die grassierende Korruption und die machthungrige Gang, die hinter dem Präsidenten steht. Im Grunde haben sich die Proteste jedoch maßgeblich an der Arbeitslosigkeit und den hohen Lebenshaltungskosten entzündet.

So liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 35-40%. Der zweite Faktor sind die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Sowohl im staatlichen als auch im privaten Sektor reicht ein Familieneinkommen kaum bis zur Mitte des Monats. Der Lebensstandard war ohnehin schon sehr niedrig. Doch nun sind die ArbeiterInnen von totaler Verarmung bedroht. Hoffnungen auf eine bessere Zukunft sind geschwunden. Hunger und zunehmende Verelendung sind die tägliche Realität. ArbeiterInnen, die noch einen Job haben, können damit ihre Familien kaum unterstützen, während jene die durch den sozialen Rost gefallen sind kaum eine Chance haben aus dem Elend herauszukommen. Selbst der Lebensstandard der Mittelschicht beginnt zu schwinden. Der öffentliche Dienst, der bis vor ein paar Jahren noch sichere und langfristige Arbeitsplätze bot, ist geschliffen und drastisch zusammengestrichen worden. Beschäftige des öffentlichen Sektors, JuristInnen, junge DipolmatInnen und HochschulabsolventInnen aller Fachrichtungen stehen auf der Straße und konkurrieren im Heer der Erwerbslosen um jeden erdenklichen Job, den sie kriegen können. Das Zusammenkürzen des Öffentlichen Dienstes (also faktisch die gleichen Maßnahme, die in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Irland, Italien usw. angekündigt wurden), die Proletarisierung der Mittelschicht kombiniert mit einer Intensivierung der Ausbeutung in den Schlüsselsektoren der Wirtschaft (wie bspw. im Energiesektor) ind handfeste Anzeichen für den Griff der Krise und die Ursache für die gegenwärtige Revolte. Die Kämpfe sind spontan ausgebrochen ohne eine bestimmte politische Richtung oder gar ein taktisches Programm. Die Gewerkschaften (UGTT) wurden vollkommen überrascht und mussten sich sputen um der Situation wieder Herr zu werden. Zuerst haben sie die Gewaltexzesse der Polizei beklagt, um dann im gleichen Atemzug die „Exzesse“ der spontanen Demonstrationen anzuprangern und für Ruhe Ordnung und Vertrauen in das Versprechen des Präsidenten aufzurufen 300.000 neue Jobs zu schaffen. Bis zum tragischen Wendepunkt der Ereignisse sind sie ihrer üblichen Aufgabe nachgekommen Wasser auf die aufflackernden Flammen des Widerstandes zu schütten. Das Durchgreifen der Polizei war brutal. Sie hat das Feuer auf die Demonstrationen eröffnet und angesichts des angeordneten Schießbefehls nicht gezögert Menschen zu töten. Die tunesische Regierung konnte sich nicht den Luxus leisten Demonstrationen einfach laufen zu lassen. Ein solches Kalkül funktioniert nicht immer und hat zuweilen auch den gegenteiligen Effekt. Besonders in Zeiten der Krise ist es stets das erste Ziel von Regierungen das Kapital zu schützen und die ArbeiterInnen mit allen Mitteln davon zu überzeugen Opfer zu bringen. “Take it or leave it“ – lautet ihr Motto. Andernfalls wird die Repression mit aller Härte zuschlagen und niemanden verschonen. Die 50 Toten sind eine dramatische Bestätigung dessen. Doch damit nicht genug. Die tunesische Regierung verfolgt die Strategie die Kämpfe zu kriminalisieren. Alle die auf die Straße gehen, demonstrieren, Gewalt gegen Sachen ausüben, gegen das „Allgemeinwohl der Gesellschaft“ ihre Gesetze ihr Kapital vorgehen, gelten als Terroristen, die im Dienste irgendwelcher fremden Mächte stehen und Tunesien destabilisieren wollen. Selbst diejenigen, die kritische Nachrichten über Twitter oder andere Medien verschicken, werden brutal verfolgt. Es ist eine alte fast immer effektive Taktik der Bourgeoisie, die in der Vergangenheit schon in Europa und in besonderem Maße in Italien angewendet wurde. Sie wird heute mit neuen Formen aber dem gleichen Ziel angewendet: Jede Form der Opposition zu bekämpfen, zu Dämonisieren und mit allen Mitteln, auch mit der Anwendung von Gewalt, zu unterdrücken.

Dagegen müssen sich die Kämpfe behaupten, weiterentwickeln und in allen Bereichen verbinden. Sie müssen Streik- und Kampfkomitees hervorbringen, die Arbeiterinnenklasse der arabischen Welt, von Marokko bis Syrien zur Solidarität aufrufen und sie ermutigen in den Kampf zu treten. All dies ist natürlich nicht einfach und mutet angesichts der derzeitigen Bedingungen fast unmöglich an, selbst wenn man bedenkt, dass die politische Verwüstung auch die kapitalistischen Stammländer Europas und die USA erfasst hat. Aus diesem Grund ist es an der Zeit, unsere Kräfte auf die Entwicklung einer politischen Organisation zu konzentrieren, die als Bezugspunkt für diese Kämpfe dienen kann, um so zu verhindern, dass sie sich spurlos erschöpfen oder der Repression zum Opfer fallen. Ob nun in Griechenland oder Tunesien, in Spanien oder Algerien, in Großbritannien oder den USA – überall wird die ArbeiterInnenklasse von der Krise hart getroffen. Für die internationale ArbeiterInnenklasse ist es an der Zeit den Klassenkampf zur Verteidigung ihrer Interessen wieder aufzunehmen. Dies erfordert den Aufbau einer internationalen revolutionären Organisation, ohne die jeder Versuch, jeder Traum von der Revolte im Bezugsrahmen des Kapitalismus stecken bleibt, unterdrückt oder vom kapitalistischen Staat wieder absorbiert wird.

FD