Von Hiroshima bis Fukushima

Das Erdbeben mit dem Tsunami, das Japan am 11. März mit einer Stärke von 8,9 auf der Richterskala getroffen hat, war bisher das schlimmste Beben, das jemals gemessen wurde. Das ganze Ausmaß der Tragödie mit tausenden Toten und hunderttausend Menschen, die obdachlos geworden sind, ist kaum zu erfassen. Doch noch bevor das nächste Nachbeben das Land erschütterte, stellte sich eine andere Frage. Der Naturkatastrophe folgte eine durch Menschenhand verursachte. Innerhalb von drei Tagen fanden mehrere Explosionen im AKW von Fukushima statt. Dies wirft die Frage der Atomkraft in Japan auf. Warum befinden sich in einem der am meisten von Erbeben gefährdeten Länder alleine 53 AKW – was Japan zur drittgrößten Atommacht macht! Die geläufige Antwort auf diese Frage gibt David Pilling in der Financial Times vom 14. März:

In dem rohstoffarmen Land gibt es eine pathologische aber nicht ganz unverständliche Angst davor, in einer gefährlichen Welt von den Energieressourcen abgeschnitten zu werden.

Ein einziges Tschernobyl hat weltweit zu einer Zunahme radioaktiver Strahlung und Krebserkrankungen geführt. Gegenwärtig besteht die Gefahr einer Kernschmelze in den Reaktoren von Fukushima. Ebenso befinden sich noch andere AKW in der Erdbebenzone, von denen Störfälle gemeldet wurden. Die japanische Regierung und die Atomindustrie ist dafür bekannt das Ausmaß radioaktiver Strahlen zu vertuschen und zu verschweigen. Dies war schon vor der jetzigen Katastrophe so:

Es gab schon eine Generalprobe geringeren Ausmaßes. Im Juli 2007 erschütterte ein beben der Stärke 6.8 auf der Richterskala das große AKW Kashiwazaki-Kariwa in der Nähe von Niigata im Norden Japans. Es stellte sich damals heraus, dass die Anlage, eine der größten in der Welt, für ein Beben dieser Stärke nicht konstruiert war.

Financial Times vom 14.3.2011

Imperialistische Ambitionen

Japan musste sich schon immer mit dem Mangel an eigenen Rohstoffen herumschlagen. (...) Dies führte zu Japans Kriegen gegen China (1895), Russland (1905), der Besetzung Koreas (1911) und der Invasion in die Mandschurei 1931. (...) Nachdem Japan 1937 im restlichen China einmarschiert war, schnitten die USA Japan von den Ölvorräten ab. Vier Jahre kämpfte Japan weiter. Die Japanische Armee, die faktisch das Land regierte, setzte schließlich alles auf eine Karte. Sie wollte mit einem Schlag die US-Pazifikflotte ausschalten, und dann Indonesien und die pazifischen Inseln besetzen um so Zugriff auf Öl und Rohstoffe zu erhalten. Das Faktum, dass sie dabei auch das niederländische und britische Empire besiegen musste, fand in den diesbezüglichen Strategiepapieren bezeichnenderweise wenig Erwähnung. Dies war der Hintergrund des Angriffs auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941. Doch das Spiel ging innerhalb von sechs Monaten verloren. In der Schlacht bei Midway wurde im Juni 1942 die gesamte japanische Flugzeugträgerflotte versenkt. Die USA konnten sich nun auf die Kampfhandlungen in Europa konzentrieren, um sich dann wieder Japan zuzuwenden. Aus dieser Verzögerung ergab sich jedoch eine Komplikation. Als die USA wieder daran gingen Japan den Rest zu geben, war das Kriegsbündnis mit der Sowjetunion bereits am zerbrechen. Der US-Imperialismus machte sich Sorgen darüber, wie weit die Rote Armee in Europa schon nach Westen vorgedrungen war. Nun befürchtete Präsident Truman, dass im Falle eines Eingreifens der UdSSR in die Kriegshandlungen im Osten die Mandschurei, Korea und China in Stalins Hände fallen könnten. Wie Richard Rhodes in seinem Buch „The Making of the Atomic Bomb“ ausführte, ging es bei der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki weniger darum „das Leben von Amerikanern“ zu schützen, sondern einen Eintritt der UdSSR in den Krieg im Osten (der von Stalin für den 9 August 1945 angekündigt war) zu verhindern. Hiroshima wurde am 6. August bombardiert, Nagasaki am 8. August. Man könnte annehmen, dass das Vermächtnis von Hiroshima und Nagasaki in Japan zu einer Ächtung der Atomenergie führen müsste. Doch nichts dergleichen! Nachdem Japan den Friedensvertrag mit den USA unterzeichnet und sich in den amerikanischen Machtbereich eingeordnet hatte, wurde 1951 ein Kernforschungsprogramm gestartet. Selbst als immer mehr Opfer von Hiroshima an Leukämie starben, setzte der Staat unvermindert seinen Kurs auf Atomkraft fort. Als sich Japan zu einem Kraftzentrum in der globalen Weltwirtschaft entwickelte steigerte sich der Bedarf nach Energieressourcen – und das bedeutete in der Nachkriegsära in erster Linie Öl. Japan musste 85% seines Energiebedarfs importieren und genau an diesem Punkt kam der globale kapitalistische Akkumulationszyklus 1971 zum Erliegen. In den USA führt dies zur Entkopplung des Dollars vom Goldstandard und einer Entwertung. Dies wiederum hatte eine Erhöhung des Ölpreises zufolge, da die Ölproduzenten einen massiven Rückgang ihrer Einnahmen befürchteten. Die „unsichere Energieversorgung“ wurde zu einem geflügelten Wort und ist es bis heute (man denke nur an die Rivalitäten und Auseinandersetzungen um die Energieressourcen Zentralasiens).

Mit seiner industriellen Produktion und seinem Mangel an eigenen Ressourcen war Japan diesbezüglich immer besonders anfällig. Vor diesem Hintergrund erschein der Ausweg in die Atomenergie als „vernünftige“ Alternative.

Eine rationale Welt?

Doch was unter kapitalistischen Bedingungen „vernünftig“ erscheint, hält in den wenigsten Fällen einer objektiven Prüfung der Fakten stand. Wir leben in einer Welt von Nationalstaaten. Einer gefährlichen Welt, wie selbst die Financial Times zugeben muss. Sie ist gefährlich, weil sich der Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase befindet, in der sich die Nationalstaaten (teils in verborgener Rivalität, teils im offenen Krieg) einen erbarmungslosen Kampf um die Ressourcen der Welt liefern. In einer solchen Welt mag es „vernünftig“ erscheinen, Atomkraftwerke in den erdbebengefährdetsten Gegenden der Welt zu bauen. Wir wollen hier nicht tiefer auf die Frage der Atomenergie eingehen. Eine rationale Debatte über Atomenergie ist unter diesen kapitalistischen Bedingungen kaum möglich, da sie stets von Profitabsichten und nationalistischen Bestrebungen überschattet wird. Der atomare Wahnsinn in Japan zeigt einmal mehr, dass das imperialistische System den Bedürfnissen der Menschheit entgegensteht. In einer wirklich „vernünftigen Welt“ wird es keine Nationalstaaten, imperialistische Rivalität, mörderische Kriege und die Unterordnung der Menschen unter die Profitlogik mehr geben. Diese wird jedoch erst Wirklichkeit werden, wenn die internationale ArbeiterInnenklasse daran geht, das kapitalistische System endgültig zu überwinden.

Jock