KAPD (1920): Leitsätze über Nation und Klassenkampf

Na­tio­na­lis­ti­sche Ideo­lo­gi­en haben der­zeit Kon­junk­tur – auch und ge­ra­de in den Rest­be­stän­den der „Lin­ken“. Sei es nun der von Sta­li­nis­ten, Trotz­kis­ten u.a. pro­pa­gier­te Po­panz der „na­tio­na­len Be­frei­ung“ , oder die po­pu­lis­ti­sche Vor­stel­lung , „na­tio­na­le Sou­ve­rä­ni­tät“ gegen das „glo­ba­le Fi­nanz­ka­pi­tal“ ver­tei­di­gen zu wol­len – das na­tio­na­lis­ti­sche Res­sen­ti­ment hat viele Fa­cet­ten… Neu ist das alles nicht. Im Fol­gen­den do­ku­men­tie­ren wir einen Text der KAPD (1) aus dem Jahre 1920 (2) der je­doch (lei­der) nicht an Ak­tua­li­tät ver­lo­ren hat. -- GIS

  1. Die Epo­che des Feu­da­lis­mus kenn­zeich­net sich durch den Man­gel eines im Rah­men der Na­ti­on ein­heit­lich or­ga­ni­sier­ten Staats­gan­zen, was gleich­be­deu­tend war mit dem Feh­len einer ent­spre­chen­den na­tio­na­len Ideo­lo­gie. (0lig­ar­chie der Fürs­ten in Deutsch­land, Ita­li­en, Frank­reich, Eng­land usw.)
  2. Mit der Ent­wick­lung der ka­pi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se bil­det sich mehr und mehr die Not­wen­dig­keit gro­ßer ein­heit­li­cher Wirt­schafts­ge­bie­te her­aus. Die Kämp­fe des eng­li­schen und fran­zö­si­schen Bür­ger­tums im 17. und 18.​Jahrhun­dert en­di­gen mit der Auf­rich­tung von ein­heit­lich in sich ge­schlos­se­nen Na­tio­nal­staa­ten, in denen das Bür­ger­tum die ge­setz­ge­ben­den und ver­wal­ten­den Funk­tio­nen über­nimmt. Das Bür­ger­tum als herr­schen­de Staats­macht ent­wi­ckelt aus sich her­aus den Ge­dan­ken der na­tio­na­len Ein­heit und Frei­heit. Somit ist ideo­lo­gisch be­trach­tet die Na­ti­on ein Pro­dukt der bür­ger­li­chen Welt, ge­bo­ren aus den öko­no­misch-​po­li­ti­schen In­ter­es­sen der ka­pi­ta­lis­ti­schen Ge­sell­schafts­struk­tur.
  3. Wie ver­hält sich dem­ge­gen­über das Pro­le­ta­ri­at in sei­nem Be­stre­ben um die öko­no­mi­sche Be­frei­ung aus der Skla­ve­rei des Ka­pi­ta­lis­mus? In den Län­dern, wo die Bour­geoi­sie im Be­griff steht, den na­tio­na­len Ein­heits­staat zu be­grün­den im In­ter­es­se der vol­len Ent­fal­tung der ka­pi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se, wird das Pro­le­ta­ri­at ge­mein­sam mit der Bour­geoi­sie gegen den herr­schen­den Fö­de­ra­lis­mus kämp­fen, wobei je­doch gleich­zei­tig die be­son­de­ren po­li­ti­schen und öko­no­mi­schen Ziele scharf her­vor­ge­ho­ben wer­den müs­sen. Diese Epo­che war für Deutsch­land und das ge­sam­te West­eu­ro­pa mit dem Jahre 1871 ab­ge­schlos­sen. Von die­sem Zeit­punkt an be­ginnt die Pe­ri­ode der vol­len ka­pi­ta­lis­ti­schen Ent­wick­lung, die an der Wende des Jahr­hun­derts be­reits die For­men des Im­pe­ria­lis­mus an­nimmt.
  4. In dem Sta­di­um der Ge­schich­te, wo der Ka­pi­ta­lis­mus zur voll­stän­di­gen Ent­fal­tung ge­langt, ma­chen sich na­tur­ge­mäß die Klas­sen­ge­gen­sät­ze zwi­schen Bour­geoi­sie und Pro­le­ta­ri­at in ver­schärf­tem Maße be­merk­bar. In die­sem Sta­di­um gibt es keine ge­mein­sa­men In­ter­es­sen mehr zwi­schen Aus­beu­tern und Aus­ge­beu­te­ten. Das Pro­le­ta­ri­at aller Län­der schließt sich mehr und mehr zu einer ge­mein­sa­men Kampf­front zu­sam­men gegen die In­ter­es­sen­ge­mein­schaft des Ka­pi­ta­lis­mus.
  5. Das gilt in höchs­tem Grade für die ge­gen­wär­ti­ge Epo­che, wo in­mit­ten der welt­re­vo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lung die Exis­tenz der rus­si­schen So­wjet­re­pu­blik das ge­sam­te Welt­ka­pi­tal zu ge­mein­sa­men Ak­tio­nen gegen das sieg­rei­che rus­si­sche Pro­le­ta­ri­at ver­an­lasst. In die­ser his­to­ri­schen Si­tua­ti­on er­wächst dem deut­schen Pro­le­ta­ri­at ge­mein­sam mit dem Pro­le­ta­ri­at aller Län­der die Pflicht, den Kampf gegen das Welt­ka­pi­tal auf in­ter­na­tio­na­lem Maß­stab mit Auf­bie­tung aller Kräf­te in An­griff zu neh­men. Der Kampf gegen das Welt­ka­pi­tal wird wirk­sam ge­führt durch den rück­sichts­lo­ses­ten Klas­sen­kampf ge­gen­über der deut­schen Ka­pi­ta­lis­ten­klas­se, als den Hand­lan­gern des En­ten­te­ka­pi­tals. Die voll­stän­di­ge Nie­der­wer­fung der deut­schen Ka­pi­ta­lis­ten­klas­se ist die Vor­aus­set­zung für die er­folg­rei­che Aus­ein­an­der­set­zung mit dem En­ten­te­ka­pi­tal. Darum gel­ten alle Be­stre­bun­gen für kon­ter­re­vo­lu­tio­när, die dar­auf ab­zie­len, das deut­sche Pro­le­ta­ri­at für eine Kampf­ge­mein­schaft mit dem Bür­ger­tum in Form des na­tio­na­len Auf­stands gegen die En­tente zu en­ga­gie­ren. Als kon­ter­re­vo­lu­tio­när müs­sen auch Be­stre­bun­gen gel­ten, die dar­auf ge­rich­tet sind, nach dem Siege der pro­le­ta­ri­schen Re­vo­lu­ti­on auf den un­ver­meid­li­chen Bür­ger­krieg zu ver­zich­ten zu­guns­ten eines so­ge­nann­ten re­vo­lu­tio­nä­ren Volks­krie­ges gegen die En­tente. Auf­ga­be des sieg­rei­chen Pro­le­ta­ri­ats ist in ers­ter Linie die Nie­der­hal­tung der ei­ge­nen Bour­geoi­sie. Ein etwa not­wen­dig wer­den­der Kampf gegen das En­ten­te­ka­pi­tal be­deu­tet den gleich­zei­ti­gen Kampf gegen die mit jenen durch glei­che In­ter­es­sen ver­bun­de­ne deut­sche Ka­pi­ta­lis­ten­klas­se. Jede Art von na­tio­na­lem Bol­sche­wis­mus muss daher von einer re­vo­lu­tio­nä­ren Par­tei grund­sätz­lich ver­wor­fen wer­den. Be­stre­bun­gen na­tio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Cha­rak­ters haben kei­nen Platz in der KAPD. Die KAPD be­kennt sich zum schärfs­ten Klas­sen­kampf­ge­dan­ken im In­ter­es­se der Re­vo­lu­ti­on des deut­schen und in­ter­na­tio­na­len Pro­le­ta­ri­ats. Die Or­ga­ni­sa­ti­on der In­ter­na­tio­na­le be­steht nicht in der Fö­de­ra­ti­on der Na­tio­nen, son­dern in dem in­ter­na­tio­na­len Zu­sam­men­schluss der Klas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on des Pro­le­ta­ri­ats zu dem ein­zi­gen Zweck des Auf­baus einer kom­mu­nis­ti­schen Welt.

(1) Die „Kom­mu­nis­ti­sche Ar­bei­ter­par­tei Deutsch­lands“ (KAPD) war im April 1920 von der links­kom­mu­nis­ti­schen Strö­mung ge­grün­det wor­den, die sich den op­por­tu­nis­ti­schen Di­rek­ti­ven Mos­kaus in der Par­la­ments-​und Ge­werk­schafts­fra­ge wi­der­setzt hatte und des­halb aus der KPD aus­ge­schlos­sen wurde. Sie ver­stand sich als strikt an­ti­par­la­men­ta­ri­sche Or­ga­ni­sa­ti­on, de­nun­zier­te die Ge­werk­schaf­ten als bür­ger­li­che Ap­pa­ra­te und ver­tei­dig­te in­ter­na­tio­na­lis­ti­sche Po­si­tio­nen.

(2) Der Ent­wurf der Leit­sät­ze war von Ar­thur Gold­stein als Ant­wort auf die Um­trie­be der sog. „Ham­bur­ger Na­tio­nal­kom­mu­nis­ten“ um Lau­fen­berg und Wolff­heim ver­fasst wor­den. 1887 in Li­pi­ne ge­bo­ren, trat Gold­stein 1914 der SPD, dann der USPD und schließ­lich dem Spar­ta­kus­bund bzw der KPD bei. Ge­mein­sam mit Her­man Gor­ter ver­fass­te er den Pro­gramm­ent­wurf der KAPD und ge­hör­te ihrer Lei­tung an. Spä­ter war er in der rä­te­kom­mu­nis­ti­schen Grup­pe „Rote Kämp­fer“ aktiv, die 1931/32 von ehe­ma­li­gen Mit­glie­dern der sog. „Es­se­ner Rich­tung“ der KAPD ins Leben ge­ru­fen wor­den war. Nach der Macht­über­nah­me der Nazis or­ga­ni­sier­te er im Pa­ri­ser Exil die Aus­lands­lei­tung der „Roten Kämp­fer“. Wäh­rend der deut­schen Be­sat­zung von der SS ver­haf­tet, wurde Gold­stein im Juni 1943 nach Ausch­witz de­por­tiert und dort er­mor­det. ( ​db.​yadvashem.​org )

Tuesday, March 18, 2014