Krise, Krieg und Migration: Hungergames!

„Für den Konflikt: Riesenhafte Konzentration des Kapitals einerseits und wachsendes Massenelend andererseits, gibt es nur eine Lösung: Die soziale Revolution!“ (Friedrich Engels)

Es war absehbar, dass nach den Anschlägen von Paris die staatlichen Ausnahmegesetze weiter verschärft und die tägliche Hetze gegen ImmigrantInnen zunehmen würden. Die sog. „Flüchtlingskrise“ beherrscht weiter die Schlagzeilen. „Grenze der Belastbarkeit“, „unkontrollierte Zuwanderung“ und „Gefahr für die innere Sicherheit“ – lauten nur einige von vielen Stichwörtern der täglichen Stimmungsmache. Terrorhysterie, kulturalistische Zuschreibungen und rassistische Ressentiments haben Hochkonjunktur und vermengen sich zu einem gefährlichen Gemisch. Es vernebelt die Köpfe und entlädt sich in täglicher Aggression und Gewalt gegen Schwächere. Ein Ende dieses Treibens ist nicht absehbar. Fest steht nur eins: Das Leben, bzw. Überleben all jener, die vor Krieg und Elend fliehen müssen, wird von Tag zu Tag schwieriger …

Kapitalistische Krise

Doch lenken wir unser Augenmerk auf das, was sich jenseits der Schlagzeilen abspielt. Es gibt keine “Flüchtlingskrise“, allenfalls eine Krise des Kapitalismus. Die Entwicklung des Kapitalismus war stets von Migrationsbewegungen begleitet. Armut, Hunger und Not zwangen lohnabhängige Menschen von jeher zu migrieren, um ihre Arbeitskraft mehr schlecht als recht zu verkaufen. Es war diese Klasse von Migranten, die den enormen Reichtum produzierte auf dem dieses System basiert. Es waren immer diese diskriminierten und weitgehend rechtlosen Arbeitsmigranten, die in wirtschaftlichen Krisenzeiten als erstes auf die Straße gesetzt und zu Sündenböcken gemacht wurden. Und so sind es auch heute wieder Migranten, die als Zielscheibe rassistischer Stimmungsmache herhalten müssen. Sie wurde schon oft für beendet, gelöst und überwunden erklärt, doch die Krise, die sich 2007/2008 mit den Platzen der Spekulationsblasen bemerkbar machte, bestimmt nach wir vor den Takt des Weltgeschehens. Die globale Verschuldung nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Ein Austeritätsprogramm jagt das nächste. Überall ist die ArbeiterInnenklasse mit Lohnkürzungen, Arbeitsplatzabbau und einer Verschärfung der Ausbeutung konfrontiert.

Imperialistische Kriege

Auf internationaler Ebene schlägt sich die Krise in einer zunehmenden Verschärfung der innerimperialistischen Spannungen nieder. Die USA versuchen verbissen ihre Führungsrolle in der Welt gegen eine wachsende Zahl an Herausforderern zu verteidigen. China setzt darauf, seinen wirtschaftlichen Aufstieg international politisch und militärisch zu untermauern. Deutschland strebt die Führungsrolle in einem europäischen imperialistischen Block an, um seine Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Russland will da nicht zurückstehen und verleiht seinen Großmachtambitionen immer aggressiver Nachdruck. Vom südchinesischen Meer bis Syrien nehmen die bewaffneten Auseinandersetzungen der Großmächte an Zahl und Schärfe zu. In diesem Wettrennen um Einflusszonen und Energieressourcen ist sich jeder selbst der nächste und tut alles um etwaige Rivalen zu schwächen. Durch das Aufheizen lokaler Konflikte und Stellvertreterkriege wurden und werden ganze Regionen und Staatengebilde auseinandergerissen. Die durch die Manöver und Interventionen diverser imperialistischer Mächte hervorgerufenen Massaker in Syrien sind nur ein Beispiel für eine verhängnisvolle Dynamik, die perspektivisch in einer offenen Konfrontation, einem globalen Krieg ungeahnten Ausmaßes münden kann.

Fluchtursache Kapitalismus

Vom Sudan bis nach Syrien, vom Kongo bis zur Krim, von Myanmar bis Mexiko haben die imperialistischen Rivalitäten und die Krise des Kapitalismus überall auf diesem Planeten zu Tod, Vergewaltigung und Zerstörungen geführt. Seit 20011 mussten 60 Millionen Menschen vor Krieg und Gewalt fliehen. Schätzungen gehen davon aus, dass 12 Millionen SyrerInnen aufgrund des Krieges aus ihren Häusern vertrieben wurden. Die Hälfte davon sind Kinder. 4 Millionen SyrerInnen versuchen als Flüchtlinge in der Türkei, dem Libanon und Jordanien mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen. Anfangs hofften noch viele, dass der Krieg nicht lange dauern würde. Doch nach 5 Jahren Krieg haben viele jede Hoffnung auf Frieden aufgegeben. Wie viele Flüchtlinge aus anderen Ländern vertrauen sie ihr Leben und ihre letzten Ersparnisse skrupellosen Menschenhändlern an, um irgendwie nach Europa zu gelangen. Über 85% der Flüchtlinge, die die gefährliche Reise nach Europa schaffen, kommen aus Kriegsgebieten, die entweder durch direkte militärische Interventionen (Irak, Afghanistan) der Großmächte oder die Bewaffnung und Unterstützung lokaler Gangsterbanden und War Lords (Libyen, Syrien etc.) entstanden sind. Doch die Antwort der Hauptverantwortlichen für dieses Elend besteht mitnichten darin die Bombardierung und Ausplünderung der Herkunftsländer zu beenden. Stattdessen setzen sie alle Hebel in Bewegung um die Flucht vor Hunger und Krieg zu erschweren.

Festung Europa

Jahrelang haben die europäischen Staaten eine janusköpfige Politik betrieben. Während einige Politiker gegen die Immigration vom Leder zogen, zeigten sich Wirtschaftsbosse sehr erfreut darüber, die Arbeitskraft illegalisierter und entrechteter Menschen nach Belieben ausbeuten zu können. Der Fall der Rohstoffpreise und der Einbruch der Weltwirtschaft hat die soziale Not überall auf der Welt verschärft. Dies macht sich auch in Europa bemerkbar, wo die Erwerbslosigkeit steigt und es weniger Nachfrage nach migrantischer Arbeitskraft gibt. Mit neuen Selektionsmechanismen versucht das Kapital wirksame Instrumente zu entwerfen, mit denen es die Steuerung und Kontrolle über die Migrationsbewegungen wiederzugewinnen hofft. 26 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer werden in der gesamten Schengen-Zone wieder neue Grenzzäune errichtet und das Projekt der Festung Europa vorangetrieben. Jährlich werden allein 90 Millionen Euro in die 2005 ins Leben gerufene „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, kurz „Frontex“ investiert. Ihr Auftrag ist die organisierte Menschenjagd, um Migranten an den Außengrenzen der EU abzufangen. In diesem Sinne wurden in den letzten zehn Jahren zu Lande und zu Wasser diverse Operationen (mit wohlklingenden Namen wie Poseidon, Nautilus, Hera oder Aspida) durchgeführt. Durch sog. Push-back-Aktionen wurden dabei Flüchtlinge unter Androhung von Gewalt ohne Asylprüfungsverfahren abgeschoben. Doch damit nicht genug. Nach Aussagen von EU-Kommissionspräsident Juncker sollen derzeit „ehrgeizige Pläne“ ausgearbeitet werden, um Frontex zu einem „operationellen Grenz- und Küstenwachsystem“ weiter auszubauen. Gleichzeitig werden immer neue Asyl-und Ausländergesetze auf den Weg gebracht, um die Kontrolle der Zuwanderung nach den Kriterien ihrer ökonomischen Verwertbarkeit zu gewährleisten.

Rassismus von „rechts“…

In einem Klima wachsender Instabilität und Unsicherheit schüren reaktionäre Politiker und Parteien verstärkt Ängste und Vorurteile. In ihren Reden vermitteln sie den Eindruck als ob „Horden“, „Fluten“ und „Schwärme“ von Flüchtlingen die Festung Europa stürmen und jedes zivilisierte Leben bedrohen würden. Die Palette reicht von offen rassistischen Angriffen auf Flüchtlingsheime wie bspw. in Heidenau bis zur Bigotterie der ungarischen und polnischen Regierung die die „christlichen Werte Europas“ in Gefahr sehen und gegen eine angebliche „Islamisierung“ wettern. Dies findet ein Echo im Rassismus der Front National, der Alternative für Deutschland AfD, der PEGIDA , der UKIP oder der Lega Nord. Doch auch immer mehr Protagonisten des Mainstreams wie bspw. Horst Seehofer von der CSU oder die britische Innenministerin Teresa May spielen offen die rassistische Karte. Sie alle zielen darauf ab Sündenböcke für die Krise des Kapitalismus ausfindig zu machen und alle Probleme auf die „Fremden“ zu projizieren.

… und „links“

Zwar geben sich die meisten Vertreter der kapitalistischen Linken demgegenüber auf den ersten Blick weltoffen und humanitär, doch das ist mehr als verlogen und scheinheilig. So tut bspw. die SYRIZA-Regierung in Griechenland nichts um den Flüchtlingen zu helfen, sondern setzt die Politik von Frontex aktiv um. Tsipras nahm höchst persönlich am jährlichen Manöver an der Grenze zur Türkei teil, um lauthals zu verkünden, dass Europas Grenzen sicher sein. Gleichzeitig steht die antirassistische und Flüchtlingsunterstützungsbewegung vor zahlreichen gescheiterten Projekten. Die Selbstorganisierung der Flüchtlinge spielte in der Vergangenheit häufig eine untergeordnete Rolle oder wurde gar nicht in Betracht gezogen. Oft legten die Initiativen eine rein „betreuerische“, ja paternalistische Herangehensweise an den Tag. Die politische Arbeit beschränkte sich nicht selten auf Menschen, die in den Augen der Unterstützer mit „politischen“ – und damit „ehrenwerten“ Fluchtgründen“ aufwarten konnten. Auch in der aktuellen Diskussion waren sich einige Initiativen nicht zu schade auf die Nützlichkeit und Verwertbarkeit vieler Flüchtlinge für die Wirtschaft zu verweisen, um ihr Engagement als „ehrenamtliche Flüchtlingshelfer“ zu begründen. Wenn die vielbeschworene Parole „Refugees are welcome“ nicht vollkommen zur hohlen Phrase verkommen soll, sollte man mal darüber nachdenken, wo wir sie eigentlich „willkommen heißen“: In einer Gesellschaft, in der Lohnsenkungen, Sozialkürzungen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse den Alltag diktieren. Einige Gutausgebildete werden vielleicht einen Job ergattern können, doch die meisten werden lange Zeit in Lagern eingepfercht und schließlich mit Erwerbslosigkeit und Elend konfrontiert sein. Für das Kapital stellen sie in der Tat ein willkommenes Reservoir weitgehend rechtloser Arbeitskräfte dar, welches jederzeit gegen andere Sektoren der Klasse ausgespielt werden kann.

Willkommen im Klassenkampf

Gerade diejenigen die einträgliche Profite machen, indem sie Löhne kürzen, die Mieten in die Höhe treiben und die Drehschrauben der Ausbeutung verfestigen, ziehen derzeit alle Register, um den Eindruck zu vermitteln dass es nicht genug Jobs und Wohnraum gäbe. Für diesen Verweis auf die selbst geschaffenen „Sachzwänge“ haben sie auch einen guten Grund: Wer auf seinen Kollegen einschlägt, kann nicht zusammen mit ihm aufbegehren. Solange sich ArbeiterInnen als Konkurrenten um Arbeitsplätze, Wohnungen etc. ansehen, solange sie nationalistischen und rassistischen Ideologien auf den Leim gehen, solange wird der Kapitalismus nicht infrage gestellt, solange sind Ausbeutung und Verelendung Tür und Tor geöffnet. Doch die prekären Arbeits- und Wohnverhältnisse sind genau wie das Elend der Flüchtlinge Produkte des Kapitalismus.

Wir sind eine internationale Klasse! Eine internationalistische Perspektive gegen rassistische Spaltung und Ausbeutung kann nur im politischen Kampf für die vollständige Abschaffung aller gegen MigrantInnen gerichteten Ausnahmegesetze, Verordnungen und den entsprechenden Verwaltungspraxen liegen. Die erfordert die Überwindung eines Systems, welches den Rassismus tagtäglich reproduziert.

Das kapitalistische Profitstreben hat uns nichts mehr zu bieten außer weiterer Verelendung, Arbeitslosigkeit und Kriegen. Nur eine rational organisierte, für die Befriedigung menschliche Bedürfnisse produzierende Gesellschaft wird die existenziellen Probleme der Menschheit lösen können. Eine solche „Assoziation der Freien und Gleichen“ hat nichts mit dem Staatskapitalismus der UdSSR oder Chinas zu tun. Sie erfordert den radikalen Bruch mit der kapitalistischen Logik und den herrschenden Verhältnissen, den Aufbau einer internationalen kommunistischen Organisation, die in der Lage ist, den Kämpfen gegen Staat und Kapital Bewusstsein und Perspektive zu geben. Dies ist ein tollkühnes Unterfangen, doch der einzige Ausweg aus dem bestehenden Falschen. Gegen Kapitalismus und Ausbeutung, gegen Zäune und Stacheldraht, gegen Grenzen und Kriege …

Für die staaten- und klassenlose Gesellschaft!

Internationalistische Kommunistische Tendenz

Il Partito Comunista internazionalista (Italien)

Communist Workers’ Organisation (Großbritannien)

Gruppe Internationaler SozialistInnen (BRD)

Internationalist Workers Group/ Groupe Internationaliste Ouvrier (Kanada/USA)

  1. Januar 2016
Friday, January 15, 2016