Von der Zimmerwalder Linken hin zur Gründung der Kommunistischen Internationale

Übersetzung eines Artikels, der ursprünglich in The Communist (Mai 2019, nachgedruckt im März 2021), dem Organ der Internationalist Communist Perspective (Südkorea), veröffentlicht wurde.

September 1915 - März 1919: Von der Zimmerwalder Linken zur Gründung der Kommunistischen Internationale

Vor 102 Jahren, vom 2. bis 6. März 1919, versammelten sich 52 Delegierte von mehr als 40 politischen Gruppierungen aus verschiedenen Ländern außerhalb Russlands, in Moskau. Der fünftägige Kongress wurde zum ersten Kongress der Dritten Internationale, auch bekannt als Kommunistische Internationale, abgekürzt Komintern. Dieses Ereignis markiert einen Schlüsselpunkt in der Entwicklung revolutionärer proletarischer Organisationen.

Der Kongress fand zu einem historischen Zeitpunkt statt, als das Proletariat die kapitalistische Ordnung am stärksten in Frage stellte. Lenin verkündete die Perspektive der Dritten Internationale mit "revolutionärem Optimismus" über einen Phonographen, welche Ende März nach dem Kongress aufgenommen wurde:

Heute nennen sich die ArbeiterInnen, die sich dem Ziel verschrieben haben, das Joch des Kapitals abzuschütteln, 'KommunistInnen' [...] Bald werden wir den Triumph des Kommunismus in der ganzen Welt erleben. Wir werden die Gründung der Sowjetunion der Welt erleben. (unsere Übersetzung aus „The Foundation of the Communist International – Minutes and Documents of the First Congress: March 1919“, Ed. John Riddell, Anchor Foundation, 1987, S.316)

Im April schrieb er dann:

Eine neue Epoche der Weltgeschichte hat begonnen. Die Menschheit wirft die letzte Form der Sklaverei ab: die kapitalistische oder Lohnsklaverei. Indem sie sich von der Sklaverei befreit, gelangt die Menschheit zum ersten Mal zu wahrer Freiheit. [Lenin, Gesammelte Werke 29, Die Dritte Internationale und ihr Platz in der Geschichte, S. 296]

Die Gründung der Kommunistischen Internationale war also Ausdruck des Vertrauens in den Klassenkampf des Weltproletariats und der Hoffnung auf eine Weltrevolution. Doch für die gesamte Kapitalistenklasse und ihre Lakaien war sie eine unangenehme Erinnerung. Vor allem die revolutionäre Welle am Ende des Ersten Weltkriegs war für sie Horror und Alptraum zugleich. Der Sieg der russischen proletarischen Revolution im Oktober 1917, die Meuterei in den Schützengräben, die Abdankung Kaiser Wilhelms II. in Deutschland und die Unterzeichnung eines Waffenstillstands angesichts der Aufstände und Unruhen der ArbeiterInnenklasse, der deutsche ArbeiterInnenaufstand, die Errichtung von Räterepubliken in Bayern und Ungarn nach russischem Vorbild, Massenstreiks in Großbritannien und Italien und die Revolte der französischen Flotte und Armee sowie einiger britischer Truppen, die sich weigerten, die Waffen gegen Sowjetrussland zu ergreifen.

Obwohl die Gründung der Komintern bereits 102 Jahre zurückliegt war sie der Höhepunkt einer weltweiten Revolutionswelle, die von 1917 bis mindestens Ende 1923 von Europa bis Asien und von Nordamerika bis Lateinamerika reichte. Diese Revolutionswelle war die Antwort des internationalen Proletariats auf den Ersten Weltkrieg, den vierjährigen imperialistischen Krieg, der zu einer neuen Aufteilung der Welt zwischen den kapitalistischen Mächten führte.

In der Geschichte unseres Klassenkampfes gab es jedoch zugleich große Spaltungen und Wendepunkte innerhalb der proletarischen Bewegung. Es geht um die Haltung der SozialistInnen und ProletarierInnen in Bezug auf den imperialistischen Krieg während des Ersten Weltkriegs und dessen Konsequenzen. Der imperialistische Krieg von 1914 und die Russische Revolution von 1917 bestätigten die marxistische Auffassung, dass der Kapitalismus unweigerlich in ein "Jahrhundert der sozialen Revolution" eintreten würde, und förderten grundlegende Spaltungen innerhalb der proletarischen Bewegung. Damals unterstützten die wichtigsten sozialdemokratischen Parteien der Zweiten Internationale den imperialistischen Krieg, wobei sie sogar frühere marxistische Schriften zitierten, und denunzierten die Oktoberrevolution mit dem Argument, dass Russland noch eine Periode der bürgerlichen Entwicklung durchlaufen müsse. Sie waren in das Lager der Bourgeoisie eingetreten, als sie zu Rekruten für den imperialistischen Krieg von 1914 und zu Kettenhunden für die Konterrevolution von 1918 wurden. Die sozialistischen Organisationen, die mit Marx und Engels begannen, standen zum ersten Mal auf der Seite des Klassenfeindes.

Dies zeigte eindeutig, dass die Treue zur Klasse und zur Revolution nicht durch heuchlerische Erklärungen oder Parteizeichen, sondern durch gelebte Praxis bewiesen wird. Es waren alle linken Strömungen innerhalb der Zweiten Internationale, die während des imperialistischen Massakers im Alleingang die Fahne des proletarischen Internationalismus hochhielten, die sich zur Verteidigung der proletarischen Revolution in Russland wieder versammelten und die während des Krieges die Streiks und Aufstände in zahlreichen Ländern anführten. Und es war dieselbe Strömung die 1919 den Kern der neuen Kommunistischen Internationale bildete.

Der Verrat und die Linke in der Zweiten Internationale

Innerhalb der Zweiten Internationale erkannten Lenin und Rosa Luxemburg als erste die Veränderungen in der kapitalistischen Welt, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollzogen. Die kapitalistische Produktionsweise hatte ihren Höhepunkt erreicht und beherrschte nun den gesamten Planeten. Wie Lenin sagte, hatte nun die Periode des "Imperialismus, der höchsten Phase des Kapitalismus" begonnen. Der bevorstehende europäische Krieg in dieser Periode würde ein imperialistischer Weltkrieg zwischen kapitalistischen Staaten um die Aufteilung von Kolonien und deren Einfluss sein. Es war die Linke der Zweiten Internationale, die die Internationale und das Proletariat in den Kampf gegen ein opportunistisches Lager führte, das die Prinzipien des proletarischen Kampfes von Tag zu Tag mehr verriet. In diesem entscheidenden Moment des Kampfes verband Rosa Luxemburg, die ihre Erfahrungen aus dem russischen Massenstreik von 1905 zog, den imperialistischen Krieg mit dem Massenstreik und der proletarischen Revolution.

Im Jahr 1907 fand in Stuttgart ein internationaler Kongress statt. Der Kongress nahm einen wichtigen Änderungsantrag der Linken an, der von Rosa Luxemburg und Lenin eingebracht worden war.

Falls dennoch ein Krieg ausbricht, so sind die Sozialisten verpflichtet, sich zu seiner schnellsten Beendigung einzumischen und mit allen Mitteln die durch den Krieg hervorgerufene wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes zu benutzen und so den Sturz der kapitalistischen Herrschaft zu beschleunigen. [Die Stellung zu den sozialistischen Strömungen und der Berner Konferenz, Vierte Sitzung des Ersten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (sinistra.net)]

Der Basler Kongress der Zweiten Internationale im Jahr 1912 bekräftigte diese Position angesichts der wachsenden Bedrohung eines imperialistischen Krieges in Europa.

Die Bourgeoisieregierungen mögen nicht vergessen, dass der deutsch-französische Krieg den revolutionären Aufstand der Kommune hervorrief und dass der russisch-japanische Krieg die revolutionären Kräfte Russlands in Bewegung setzte. Die Proletarier halten es für ein Verbrechen, zugunsten des kapitalistischen Gewinns, dynastischen Wetteifers und des Aufblühens diplomatischer Verträge auf einander zu schiessen. [ebenda]

Am 4. August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Die großen Parteien der Zweiten Internationale (vor allem die französischen und deutschen Sozialdemokraten und die britische Labour Party, die mehr als alle anderen in den Händen der Opportunisten waren) stimmten für die Finanzierung des Krieges und forderten ein "heiliges Bündnis" mit der Bourgeoisie zur "Verteidigung des Vaterlandes" und gegen die "ausländische Aggression". In Frankreich wurden sie sogar mit Ministerposten belohnt, wenn sie den Klassenkampf aufgaben. Theoretische Unterstützung erhielten sie vom "Zentrismus" (der Mittelposition zwischen dem linken und dem rechten Flügel der Internationale), als Kautsky, der als "Papst des Marxismus" bezeichnet wurde, zwischen Krieg und Klassenkampf unterschied und erklärte, Klassenkampf sei nur in "Friedenszeiten" möglich und "unmöglich, bis der Krieg vorbei sei". Schließlich fand die Zweite Internationale ein beschämendes Ende, als sie durch den Opportunismus zu zerbrechen begann und durch die Flut des Patriotismus und der Kriegsbegeisterung gebrochen wurde.

Für die klassenbewussten Arbeiter ist der Sozialismus eine ernste Überzeugung, nicht aber ein bequemer Deckmantel für spießbürgerlich- versöhnlerische und nationalistisch-oppositionelle Bestrebungen. Unter dem Zusammenbruch der Internationale verstehen sie den himmelschreienden Verrat der Mehrheit der offiziellen sozialdemokratischen Parteien an ihren Überzeugungen, an den feierlichen Erklärungen in den Reden auf den internationalen Kongressen zu Stuttgart und Basel, in den Resolutionen dieser Kongresse usw. [Lenin, Gesammelte Werke 21, Der Zusammenbruch der II. Internationale, S. 199]

Nur wenige hielten inmitten dieses Sturms aus, insbesondere die Parteien in Serbien, Bulgarien, Polen und Russland. Anderswo gab es einzelne Revolutionäre und revolutionäre Gruppen. Die niederländische "De-Tribune" Gruppe um Gorter und Pannekoek, sowie auch Rosa Luxemburg hielten dem proletarischen Internationalismus und dem Klassenkampf die Treue und versuchten, sich zu reorganisieren.

Der Tod der Zweiten Internationale war eine tiefe Niederlage für das Proletariat, dass in den Schützengräben bluten musste. Unzählige revolutionäre ArbeiterInnen wurden niedergemetzelt. Die "revolutionären Sozialdemokraten" hatten ihre internationale Organisation verloren. Diese musste unbedingt wieder aufgebaut werden.

Die II. Internationale ist tot, vom Opportunismus besiegt. Nieder mit dem Opportunismus; es lebe die nicht nur von den „Überläufern" (wie der ‚Golos‘ es wünscht), sondern auch vom Opportunismus gesäuberte III. Internationale! [Lenin, Gesammelte Werke 21, Lage und Aufgaben der sozialistischen Internationale, S. 27/28]

Die Zimmerwalder Linke: Der Kampf um eine neue Internationale

Vom 5. bis 8. September 1915 fand in Zimmerwald in der Schweiz, einem neutralen Land, ein internationaler Kongress statt, an dem mehr als 40 sozialistische Kriegsgegner teilnahmen. Die Debatte, die in Zimmerwald zwischen den gegensätzlichen politischen Richtungen geführt wurde, war ein wichtiger Schritt, der in den folgenden Jahren in ganz Europa nachhallte. Und sie beeinflusst noch immer, was wir heute zu tun haben.

Mehr als ein Jahr zuvor war die Zweite Internationale wie ein Kartenhaus zusammengebrochen, als ihre wichtigsten politischen Parteien sich zusammentaten, um die kriegerischen imperialistischen Kriegsziele in ihren jeweiligen "Heimatländern" zu unterstützen. Für revolutionäre MarxistInnen, von denen viele schon vor dem Krieg gegen den Revisionismus gekämpft hatten, wurde der kapitalistische, weltimperialistische Krieg als historischer Wendepunkt wahrgenommen, an dem die objektiven Bedingungen für den Sozialismus Wirklichkeit wurden. Für die revolutionären MarxistInnen bestand kein Zweifel daran, dass die ArbeiterInnen kein Vaterland hatten und dass sie eine neue, den Marxschen Prinzipien verpflichtete Internationale brauchten, um den Kampf für den Sozialismus zu führen. Von Trotzki, der kurz nach dem Krieg über die neue Internationale schrieb, bis hin zur holländischen "De-Tribune"-Gruppe um Pannekoek, Roland Holst und Gorter, die in Bezug auf Imperialismus, Weltkrieg und Sozialdemokratie betonten, dass "dieser Krieg der Schmelztiegel ist, in dem die neue Internationale geboren werden wird". Die deutsche Linke, die sich in Borchardts "Lichtstrahlen"-Gruppe, die Bremer Linke um Johann Knief und Paul Frölich aufteilte, sowie Karl Liebknecht und die sozialdemokratischen Parteien Polens und Litauens (die Partei Rosa Luxemburgs und Leo Jogiches), verkündeten bei Kriegsausbruch: "Das Proletariat erklärt der Regierung, dem Unterdrücker, den Krieg"! und versuchten, auf der Grundlage des revolutionären Defätismus einen Generalstreik gegen den Krieg zu organisieren.

Ein Teil dieser Strömung hielt die Dringlichkeit der Gründung einer neuen Internationale, die den Verrat der Sozialdemokraten öffentlich bestätigen sollte, für wichtiger als andere SozialistInnen. (Hermann Gorter z.B. nahm sich für zwei entscheidende Jahre eine Auszeit von der politischen Tätigkeit. Andere, wie Rosa Luxemburg, erwarteten, dass die neue Internationale nach dem Krieg aufgebaut werden würde - oder besser gesagt, das Produkt des Kampfes der ArbeiterInnenklasse sein würde).

Diejenigen, die eine neue Internationale gründen wollten, wollten nicht allein das Recht beanspruchen, im Namen der ArbeiterInnenklasse zu sprechen, sondern auch eine politische Richtung vorgeben, wie der Kampf der internationalen ArbeiterInnenklasse zu einem revolutionären Kampf für den Sozialismus vereinigt werden könnte.

Zu dieser Zeit herrschte jedoch selbst unter den InternationalistInnen Verwirrung darüber, ob "Krieg gegen den (imperialistischen) Krieg" bedeutete, dass das Proletariat für "Frieden" als Vorbedingung für den Aufbau des Sozialismus kämpfen sollte, oder, wie Lenin beharrte, dass die ArbeiterInnen im Kampf gegen die verheerenden Kosten des Krieges zuerst ihre Regierungen stürzen und selbst das Problem lösen müssten, und dies zu einer sozialistischen Revolution führen würde.

Ausgehend von den Erfahrungen der Pariser Kommune und der russischen Revolution von 1905 argumentierte er für die Möglichkeit, dass der imperialistische Weltkrieg selbst revolutionäre Bedingungen schaffen könnte. Er argumentierte, dass die ArbeiterInnenklasse, wenn sie ihre eigenen Interessen verteidigen wolle, selbst die Macht ergreifen und einen weltweiten Kampf für den Sozialismus beginnen müsse.

Hat der Krieg einmal begonnen, so ist es undenkbar, ihm auszuweichen. Man muß auch da als Sozialist seine Sache tun. […] Es wäre eine Utopie, zu denken, das Proletariat werde auf friedlichem Wege sein Ziel erreichen. Man kann den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus nicht vollziehen, ohne den nationalen Rahmen zu sprengen, sowenig der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus möglich war ohne die nationalen Ideen.[Lenin, Gesammelte Werke 36, Referat über das Thema ‚Das Proletariat und der Krieg‘, S. 282]

Daraus ergibt sich:

Die Umwandlung des gegenwärtigen imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg ist die einzig richtige proletarische Losung. Das zeigt die Erfahrung der Kommune, das ist im Basler Manifest (1912) vorgesehen, und das ergibt sich aus den ganzen Bedingungen des imperialistischen Krieges zwischen hochentwickelten bürgerlichen Ländern. Wie groß die Schwierigkeiten dieser Umwandlung zur gegebenen Zeit auch sein mögen - die Sozialisten werden niemals ablehnen, die Vorarbeiten in der bezeichneten Richtung systematisch, unbeugsam und energisch auszuführen, da der Krieg zur Tatsache geworden ist. Nur so wird das Proletariat imstande sein, sich aus seiner Abhängigkeit von der chauvinistischen Bourgeoisie frei zu machen und in der einen oder anderen Form, mehr oder minder rasch, entschlossene Schritte auf dem Wege zur wirklichen Freiheit der Völker und auf dem Wege zum Sozialismus zu tun. Es lebe der internationale Bruderbund der Arbeiter gegen den Chauvinismus und Patriotismus der Bourgeoisie aller Länder! Es lebe die vom Opportunismus befreite proletarische Internationale! [Lenin, Gesammelte Werke 21, Der Krieg und die russische Sozialdemokratie, S. 20/21]

Während seines Exils in der Schweiz kämpfte Lenin für eine proletarisch-internationalistische Perspektive, die imperialistische Kriege in Bürgerkriege verwandeln sollte. Zunächst hielten es einige der im Ausland lebenden Bolschewiki für ihre Pflicht, sich als Freiwillige in der französischen Armee zu melden (eine Position, die von Plechanow unterstützt wurde, der einst als Vertreter der Hauptströmung des russischen Marxismus galt). Auf der Berner Konferenz der Auslandsfraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAPR) Anfang 1915 wandte sich die französische Fraktion der Bolschewiki gegen Lenins Aufruf zum revolutionären Defätismus zugunsten eines "Kampfes für den Frieden."

Auf internationaler Ebene war die Aufgabe im Wesentlichen dieselbe. Lenin bereitete die Basis für eine neue internationale Aktion vor, mit der Grundaussage, dass die ArbeiterInnen den bestehenden Regierungen gegenüber nicht loyal seien und imperialistische Kriege in Bürgerkriege verwandeln würden, um der Behauptung entgegenzutreten, dass während des Krieges "nichts getan werden könne". Insbesondere auch gegen Kautskys Position, dass die Internationale in Friedenszeiten eine Waffe sei, allerdings erst nach dem Krieg wiederbelebt werden würde, um die Kräfte im Kampf zu vereinen, um den sozialen Frieden zu zerstören und die eigenen Interessen der Arbeiter zu verteidigen.

Im Jahr 1915 gab es Anzeichen für eine zunehmende Kriegsmüdigkeit. In Deutschland ignorierten die Menschen das Kriegsrecht und es kam zu Straßenprotesten wegen der Lebenshaltungskosten. Seit April hatten die Streiks in Russland zugenommen und wurden immer politischer. Im Juli führten die Petrograder Bolschewiki einen Boykott des Komitees für die Kriegsindustrie an, das von der Regierung eingerichtet worden war, um ArbeiterInnen für den Krieg zu rekrutieren.

Sogar das überholte Internationale Sozialistische Büro wurde dazu gebracht, eine "Friedens"-Konferenz zu genehmigen. Im Januar trafen sich Sozialdemokraten aus den neutralen Ländern in Kopenhagen und appellierten an die SozialistInnen in den kriegführenden Ländern, sich für die Beendigung des Krieges einzusetzen.

Im Februar veranstaltete die britische Independent Labour Party (ILP) einen "sozialistischen" Kongress in den alliierten Ländern unter dem Vorsitz von Keir Hardie, der den Bolschewiken Litwinow (Maximowitsch) daran hinderte, das Internationalistische Manifest zu verlesen.

In der auf dem Kongress verabschiedeten Resolution heißt es, dass der Krieg die gemeinsame Verantwortung aller Nationen ist, als Ergebnis der durch die kapitalistische Gesellschaft, den Imperialismus und die koloniale Konkurrenz geschaffenen Konflikte. Dennoch verabschiedete er eine Resolution, in der es heißt, dass ein deutscher Sieg die Freiheit, die nationale Unabhängigkeit und das Vertrauen in bestehende Abkommen zerstören würde; dass die ArbeiterInnen der alliierten Länder nicht gegen das deutsche und österreichische Volk kämpfen, sondern einen Verteidigungskrieg gegen die deutsche und österreichische Regierung führen und den Versuchen widerstehen müssen, ihn in einen Eroberungskrieg zu verwandeln. Konkret forderte die Resolution die Wiederherstellung Belgiens, die Autonomie oder Unabhängigkeit Polens und die Lösung aller nationalen Probleme Europas von Elsass-Lothringen bis zum Balkan auf der Grundlage der nationalen Selbstbestimmung.

Im April hielten die alliierten Sozialisten in Wien eine ähnliche Sitzung ab wie die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei und verabschiedeten eine Resolution, die sich vor allem mit den Nachkriegsbeziehungen befasste.

Doch als die sozialdemokratischen Parteien Italiens und der Schweiz einen Antikriegskongress der ArbeiterInnenorganisationen vorschlugen, unabhängig von der Rolle "ihrer" Länder im Krieg, war das Internationale Sozialistische Büro (ISB) nicht interessiert. Man beschloss, trotzdem einen Kongress aller sozialistischen Parteien und Arbeiterorganisationen einzuberufen, die an den Grundsätzen des Klassenkampfes und des Kampfes für den sofortigen Frieden durch gemeinsames Handeln festhalten konnten. In organisatorischer Hinsicht war Zimmerwald frei von der Last der verrotteten Zweiten Internationale. Es war jedoch nicht die Absicht, die Sozialdemokratie politisch zu untergraben. Sinowjew schlug vor, dass der Zweck des anstehenden Kongresses darin bestehen sollte, "sich um eine klare revolutionäre Linie herum zu organisieren und einen klaren Bruch mit der alten Internationale vorzubereiten". Er fand aber wenig Beachtung. Doch Lenin sah darin einen Prozess, um den RevolutionärInnen Gehör zu verschaffen, ihren Einfluss auszuweiten und die für den Aufbau einer neuen Internationale notwendigen Kräfte zu vereinen. In den Monaten vor dem Kongress gab es einen intensiven Briefwechsel und Diskussionen unter den Linken über die wichtigsten Themen, die in eine gemeinsame Erklärung zum Proletariat und zum Krieg aufgenommen werden sollten. Radek und Lenin verfassten beide die Resolution.

Alexandra Kollontai organisierte die Teilnahme von schwedischen und norwegischen linken Sozialisten. Marxistische Gruppen rund um „De-Tribune“ in den Niederlanden waren in Kontakt. Die Bolschewiki veröffentlichten ein deutschsprachiges Pamphlet zur Verteilung an die Delegierten [...] Das Pamphlet enthielt "Sozialismus und Krieg" von Lenin und Sinowjew sowie Resolutionen des Zentralkomitees und des Berner Kongresses. Sie enthielt auch die bolschewistische Resolution von 1913 zur nationalen Frage, in der die russischen Revolutionäre mit vielen ihrer linken Verbündeten nicht übereinstimmten. [unsere Übersetzung aus Lenin’s Struggle for a Revolutionary International: Documents, 1907-1916, the preparatory years]

Dieses letzte Thema (die nationale Frage) war eine Kontroverse, die nicht vor der Gründung der Dritten Internationale gelöst werden sollte. Doch im Vorfeld des Zimmerwalder Kongresses musste Lenin der Mehrheit weichen. In der vor dem Kongress geführten Debatte über den Wortlaut der von der Linken vorzulegenden Erklärung zieht die Mehrheit der acht Delegierten den Entwurf von Radek dem von Lenin vor. In der endgültigen Fassung ist von unterdrückten oder unterdrückenden Völkern keine Rede mehr.

Dies konnte die Mehrheit jedoch nicht aufhalten, die nicht einmal den Anschein von revolutionärem Defätismus dulden konnte. Die Resolution der Linken wurde abgelehnt. Die Zimmerwalder Erklärung, wie sie historisch bekannt geworden ist, war das Ergebnis eines Kompromisses, der hauptsächlich von Trotzki ausgearbeitet worden war. Dennoch unterzeichneten die Linken die Erklärung, da sie in der Lage waren, die von ihnen als problematisch empfundenen Klauseln zu ergänzen. Im September 1915 bezeichnete Lenin den Kongress von Zimmerwald als den "ersten Schritt".

Sollte unser Zentralkomitee das an Inkonsequenz und Ängstlichkeit leidende Manifest unterschreiben? Wir glauben, ja. […] Daß dieses Manifest einen Schritt vorwärts macht zum wirklichen Kampf gegen den Opportunismus, zur Spaltung und zum Bruch mit dem Opportunismus, ist eine Tatsache. [Lenin, Gesammelte Werke 21, Ein erster Schritt, S. 393]

Der zweite Zimmerwald (Kienthal) ist zweifellos ein Schritt nach vorn. [...] Was sollen wir also in Zukunft tun? Wir müssen unsere Entschlossenheit und unseren Kampf für eine revolutionäre sozialdemokratische Dritte Internationale fortsetzen. Die Kongresse von Zimmerwald und Kienthal haben gezeigt, dass unser Weg der richtige ist. [Sinowjew, unsere Übersetzung]

Der größte Fortschritt dieses Treffens war, dass sich die meisten InternationalistInnen zusammenschlossen und eine unabhängige Linke organisierten. Bevor sie Zimmerwald verließen, gründeten sie das Büro der Zimmerwalder Linken, bestehend aus Lenin, Sinowjew und Radek. Die durch den Krieg 1916 ausgelöste und von Lenin vorhergesagte Krise spitzte sich in ganz Europa zu. Die Differenzen zwischen der Zimmerwalder Mehrheit, die sich nicht vollständig von der Sozialdemokratischen Partei trennte, und der Linken wurden zu einem Graben. Nach dem Ausbruch der Februarrevolution in Russland vertrat Lenin die Auffassung, dass "die Sümpfe von Zimmerwald nicht länger geduldet werden können" und dass jetzt der sofortige Aufbau einer "neuen proletarischen Internationale" erforderlich sei, "die nur aus Linken besteht".

Die Russische Proletarische Revolution von 1917 leitete eine revolutionäre Welle in ganz Europa ein. Die Gefahr des proletarischen Widerstands bestätigte der internationalen Bourgeoisie, dass das imperialistische Gemetzel ein Ende gefunden hatte. Die Losung Lenins wurde Wirklichkeit. Das russische und internationale Proletariat verwandelte den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg und zollte damit der Linken der Zweiten Internationale durch die Verwirklichung der berühmten Stuttgarter Resolution Tribut.

Der Erste Weltkrieg drängte den parlamentarischen rechten Flügel der Sozialdemokratischen Partei entscheidend in das bürgerliche Lager. Die revolutionäre Welle brachte zentristische Pazifisten in den Kampf gegen die Bourgeoisie, aber viele von ihnen, vor allem Führer wie Kautsky, sprangen in das Lager der Bourgeoisie über. Die Internationale existierte nicht mehr. Die neue Partei, die von den Linken, die sich von der Sozialdemokratie abgespalten hatten, gegründet wurde, begann, den Namen "kommunistische" Partei zu verwenden.

Die revolutionäre Welle ermutigte und forderte den Aufbau einer Weltpartei des Proletariats, der Dritten Internationale. Im Jahr 1919, auf dem Höhepunkt der revolutionären Welle der Nachkriegszeit, stellte die Position des Gründungskongresses der Kommunistischen Internationale die fortschrittlichste Position der proletarischen Bewegung dar. Ein vollständiger Bruch mit den sozialpatriotischen Verrätern, die Anwendung der Methoden der Massenaktion, wie sie die neue Periode des kapitalistischen Niedergangs erforderte, die Zerstörung des kapitalistischen Staates und die internationale Diktatur der ArbeiterInnenräte. Diese politische Klarheit spiegelte die enorme Dynamik der revolutionären Welle wider, aber sie war im Vorfeld durch die politische und theoretische Arbeit und den Kampf der linken Revolutionäre innerhalb der alten Zweiten Internationale vorbereitet worden.

Die Bedeutung der Zimmerwalder Linken

Die Bedeutung der Zimmerwalder Linken lag vor allem darin, dass sie ein Schritt zur Gründung einer neuen Internationale war. Und die Bedeutung der Gründung der Kommunistischen Internationale ist, dass sie die "Internationale Kommunistische Partei" war.

Doch der Schritt von der Zimmerwalder Linken zur neuen Internationale kam zu spät. Die Kommunistische Internationale wurde gut ein Jahr nach der Oktoberrevolution von 1917 und zwei Monate nach der ersten Niederlage des Berliner Proletariats gegründet. In den folgenden Jahren wurde die internationale revolutionäre Welle besiegt und ging zurück, und das russische Proletariat wurde zunehmend isoliert. Diese Isolierung war ein entscheidender Faktor für die Degeneration der proletarischen Diktatur. Aus diesem Grund konnte die Kommunistische Internationale die Ausbreitung des Opportunismus nicht aufhalten und erlag der ständigen Degeneration.

Was bedeutet die Zimmerwalder Linke also wirklich für die RevolutionärInnen von heute? Sie bedeutet, dass die internationale ArbeiterInnenklasse nach wie vor eine internationale revolutionäre Partei wie die Kommunistische Internationale braucht. Genau wie 1919 wird die ArbeiterInnenklasse heute durch schweres wirtschaftliches Leid unter einem implodierenden Kapitalismus erdrückt und steht der Gefahr eines imperialistischen Krieges gegenüber, doch ihr Kampf gegen die Auswirkungen des Kapitalismus ist sporadisch und isoliert. Das große Ungleichgewicht in den Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen erfordert eine revolutionäre Partei, die eine politische und organisatorische Rolle im Klassenkampf spielt, mehr noch als vor 102 Jahren. Denn die kapitalistische Ideologie durchdringt die ArbeiterInnenklasse nicht nur durch die Kapitalistenklasse, sondern auch mittels „linker“ Parteien und Gewerkschaftsorganisationen, die einst, wie die Zweite Internationale, die Organisation der ArbeiterInnenklasse waren Sie stehen dem Kapitalismus manchmal kritisch gegenüber, sind aber praktisch immer für die Kapitalistenklasse nützlich, um die Kämpfe der ArbeiterInnen zu unterdrücken, und spielen folglich eine Rolle bei der Aufrechterhaltung des Kapitalismus. Für die Wiedererlangung des revolutionären Bewusstseins der ArbeiterInnenklasse und für den bevorstehenden umfassenden Kampf gegen die Kapitalistenklasse ist eine internationale revolutionäre Partei mit einer klaren Plattform und der Fähigkeit, internationalistisch zu handeln, unerlässlich.

Als der bewussteste Teil der Klasse, als die revolutionäre Minderheit, dürfen die KommunistInnen angesichts des kapitalistischen Niedergangs, der imperialistischen Kriege, der COVID-19-Pandemie und der daraus resultierenden kapitalistischen Zerstörung des Lebens der ArbeiterInnenklasse keine passiven Beobachter sein. Lenin sagte, dass es im Klassenkampf keinen Waffenstillstand gibt. Die Losung "den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg verwandeln" fordert die RevolutionärInnen, die sich heute imperialistischen Kriegen gegenübersehen, nicht einfach auf, die Losungen der Vergangenheit in jeder Situation zu wiederholen. Es ist die grundlegende Aktivität von KommunistInnen, auch im Alltag eine Position der ArbeiterInnenklasse einzunehmen und sich nicht der "Bewältigung der nationalen Krise" oder der "nationalen Verteidigung" oder der "Kriegsvorbereitung" zu opfern, sondern für die "Zerstörung des kapitalistischen Staates zu kämpfen". Wir ArbeiterInnen müssen erkennen, dass es "kein Vaterland zu verteidigen gibt" und dass "der einzige Krieg, der es wert ist, geführt zu werden, der Klassenkrieg ist". Wir müssen den Kampf des Weltproletariats aufnehmen, nicht den einer bestimmten Nation oder Ethnie.

Die internationalistischen KommunistInnen der Welt müssen geduldig ihre revolutionären Kräfte reorganisieren, um eine zukünftige internationale revolutionäre Partei aufzubauen, so wie es die Zimmerwalder Linke vor über einem Jahrhundert getan hat. Gegen imperialistische Kriege müssen wir die Prinzipien des Internationalismus verteidigen und uns in gemeinsamen Aktionen und internationaler Solidarität engagieren, den internationalen Klassenkampf aufnehmen, um Kriege in Bürgerkriege (Klassenkriege) zu verwandeln.

Wir sind nicht die Partei, aber wir existieren für die Partei. Wir appellieren an die Genossinnen und Genossen, die die gleichen Prinzipien wie wir haben, gemeinsam für "keinen Krieg außer dem Klassenkrieg" zu kämpfen und die Kommunistische Partei (die Internationale Revolutionäre Partei) im Geiste der Zimmerwalder Linken und des Gründungskongresses der Kommunistischen Internationale, aufzubauen.

No war but the class war!

Für proletarischen Internationalismus – für internationalen Klassenkampf!

Baut eine neue Internationale – eine revolutionäre Weltpartei auf!

Internationalist Communist Perspective (Südkorea)
Sunday, June 4, 2023