Marx versus Bakunin: Die Spaltung der Ersten Internationale

Im September 1872 tagte der Haager Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation (auch als die Erste Internationale bekannt). Nach einer turbulenten Sitzung wurde Bakunin mittels einer Mehrheitsentscheidung ausgeschlossen. Von da an gingen die „roten“ und „schwarzen“ Strömungen der ArbeiterInnenbewegung getrennte Wege. So heißt es zumindest. 150 Jahre nach diesem Ereignis lohnt sich ein neuer Blick auf die genauen Geschehnisse und auf die Meinungsverschiedenheiten, die RevolutionärInnen bis heute entzweien.

Bakunin und Marx

Bakunin wurde 1814 als Sohn einer liberalen russischen Adelsfamilie geboren. Nach einem kurzen Militärdienst in der russischen Armee zog er 1836 nach Moskau, um dort ein Philosophiestudium aufzunehmen. Er fühlte sich von den Ideen Fichtes und Hegels angezogen und freundete sich mit Alexander Herzen(1) und Nikolai Ogarjow (2) an, die beide eine wichtige Rolle in seinem späteren Leben spielen sollten. Im Jahr 1840 ging er nach Berlin, der damaligen Hochburg der deutschen Philosophie.

Marx wurde 1818 als Spross einer liberalen jüdischen Familie geboren. Im Jahr 1835 reiste er nach Bonn, um ebenfalls philosophische Studien aufzunehmen. Wegen seines schlechten Gesundheitszustands blieb Marx der Militärdienst erspart. Auf Wunsch seines Vaters wechselte er 1836 an die Universität Berlin, wo er sich mit den Ideen Hegels vertraut machte und unter den Einfluss von Bruno Bauer(3) und Ludwig Feuerbach(4) geriet.

Europa befand sich zu dieser Zeit in einem bahnbrechenden Wandlungsprozess. Die Industrialisierung hatte althergebrachte soziale Strukturen durcheinandergewirbelt und neue Bewegungen und Ideen hervorgebracht. Vor dem Hintergrund von Ereignissen wie dem Dekabristenaufstand(5) von 1825 in Russland, den Revolutionen von 1830 in Frankreich und Belgien, dem polnischen Aufstand von 1831, der Canut-Revolten (Aufständen der Seidenarbeiter) in Frankreich und dem Chartismus in Großbritannien wandten sich die beiden jungen Männer allmählich von der Philosophie der Politik zu. Beide machten ihre ersten Schritte in den junghegelianischen Kreisen Berlins und traten dabei in Kontakt mit Arnold Ruges(6). Beide veröffentlichten 1842 ihre ersten Schriften Bakunin in Dresden, Marx in Köln, sahen sich jedoch 1843 zum ersten Mal der Verfolgung durch die staatlichen Behörden ausgesetzt , sodass Bakunin in die Schweiz und Marx nach Frankreich ging. Sowohl Marx wie Bakunin setzten sich mit dem Sozialismus Wilhelm Weitlings(7) und Pierre-Joseph Proudhons(8) auseinander und lernten diese bald auch persönlich kennen.

In Paris kreuzten sich 1844 schließlich die Wege von Bakunin und Marx. Bakunin sollte sich später daran erinnern:

Ich verstand damals von Nationalökonomie nichts, ich hatte mich noch nicht von den metaphysischen Abstraktionen befreit, und mein Sozialismus entsprang nur aus dem Instinkt. Obgleich jünger als ich, war er schon Atheist, gelehrter Materialist und denkender Sozialist. Gerade zu jener Zeit arbeitete die ersten Grundlagen seines gegenwärtigen Systems aus. Wir trafen uns ziemlich oft, denn ich achtete ihn sehr seiner Wissenschaft und seiner ernsten leidenschaftlichen Hingebung an die Sache des Proletariats wegen, obgleich dieselbe immer mit persönlicher Eitelkeit vermischt war, und ich suchte begierig Gespräche mit ihm, die immer lehrreich und geistreich waren, wenn sie nicht kleinlicher Hass beseelte, was leider nur zu oft der Fall war. Aber es bestand nie eine offene Intimität zwischen uns. Unsere Temperamente vertrugen sich nicht. Er nannte mich einen sentimentalen Idealisten, und er hatte recht; ich nannte ihn einen perfiden und tückischen eitlen Mann und ich hatte recht.(9)

Mit Hilfe seines neuen Freundes und Genossen Friedrich Engels vollzog Marx nun einen klaren politischen Bruch mit dem Idealismus und der Religion und begann seine Studien zur Analyse des Kapitalismus. Bakunins Politik hingegen blieb stark vom Panslawismus beeinflusst (der Idee, dass sich die slawischen Nationen in einer großen demokratischen Föderation vereinigen sollten) und wurde somit von idealistischen und religiösen Vorstellungen gelähmt. Im selben Jahr, in dem Bakunin seinen „Aufruf an die Slawen“ verfasste, veröffentlichten Marx und Engels ihr „Kommunistisches Manifest“.

Mit dem Ausbruch der Revolutionen von 1848 nahmen beide Revolutionäre aktiv an den Kämpfen in ganz Europa teil, Bakunin in Paris, Prag und Dresden und Marx in Brüssel, Paris und Köln. Während sie alle die Bedeutung der Revolution in Polen anerkannten, unterschieden sich ihre Einschätzungen der Bewegungen in Europa erheblich. Vor allem Engels prangerte Russland und die österreichischen slawischen Länder als Wiege der Reaktion an und lehnte die nationalen Bestrebungen der Tschechen, Slowaken, Serben, Kroaten und Ukrainer ab, die er als „geschichtslose Völker“ bezeichnete. Zu dieser Zeit wurde Marx auch von zwei verschiedenen Korrespondenten das Gerücht übermittelt, dass Bakunin ein russischer Agent sei, und sah sich bemüßigt dies prompt in der Neuen Rheinischen Zeitung zu veröffentlichen. Als sich herausstellte, dass diese Gerüchte nicht der Wahrheit entsprachen, ließ Marx eine Klarstellung folgen und verteidigte Bakunin in den folgenden Jahren trotz ihrer öffentlichen Meinungsverschiedenheiten über den Panslawismus. Dennoch wurden solche unbegründeten Anschuldigungen gegen Bakunin in Zukunft von seinen politischen Gegnern immer wieder ausgeschlachtet.

Als die Konterrevolution einsetzte, waren sowohl Marx als auch Bakunin gleichermaßen mit Ausweisungen und Verhaftungen konfrontiert. Als Bakunin 1849 von den sächsischen Behörden festgenommen wurde schien dies erstmal nur ein weiterer vorübergehender Rückschlag zu sein. Doch in den nächsten zwölf Jahren musste er in verschiedenen Ländern Gefängnisstrafen, Schläge und Folter erleiden. Mehrere Todesurteile wurden in Haft und Verbannung umgewandelt. Erst 1861 gelang es ihm aus Sibirien zu fliehen und sich wieder nach Westeuropa durchzuschlagen, wo er seine politische Aktivität wieder aufnehmen konnte. In der Zwischenzeit gelang es Marx 1849, in London Zuflucht zu finden, wo er sich niederließ und sich der Kritik der politischen Ökonomie widmete.

Die jahrelange Gefangenschaft verbitterte Bakunin und er entwickelte sich zu einem noch entschiedeneren Panslawisten mit einem neu entfachten Hass auf Deutschland. Er knüpfte wieder Kontakte zu Alexander Herzen und Nikolai Ogarjow und engagierte sich in der polnischen und italienischen nationalen Befreiungsbewegung. Als 1863 der Aufstand im geteilten Polen ausbrach meldete sich Bakunin freiwillig, wurde aber abgewiesen. Er versuchte daraufhin sich auf eigene Faust dem Aufstand anzuschließen, doch die Expedition scheiterte ebenso wie der Aufstand selbst - die polnischen Aufständischen wurden isoliert und niedergeschlagen. Diese Ereignisse versetzten Bakunins panslawistischen Hoffnungen einen Schlag und veranlassten ihn schließlich, seine politischen Ideen zu überdenken.

Der polnische Aufstand und der amerikanische Bürgerkrieg sollten 1864 in London den Anstoß zur Gründung der Ersten Internationale geben. Bakunin nahm am Gründungsprozess nicht teil, da er im Begriff war nach Italien überzusiedeln. Bakunin und Marx liefen sich in London nur kurz über den Weg. Marx berichtete darüber an Engels:

Bakunin lässt dich grüßen. Er ist heute nach Italien, wo er wohnt (Florenz), abgereist. Ich sah ihn gestern wieder zum erstenmal nach 16 Jahren. Ich muß sagen, daß der er mir sehr gefallen hat und besser als früher. Er sagt mit Bezug auf die polnische Bewegung: die russische Regierung habe die Bewegung gebraucht, um Russland selbst ruhig zu halten, aber keineswegs auf 18monatlichen Kampf gerechnet. Sie habe daher die Geschichte in Polen provoziert. Polen sei gescheitert an zwei Dingen, am Einfluß von Bonaparte und zweitens am Zögern der polnischen Aristrokratie, von Anfang an Bauernsozialismus offen und unzweideutig zu proklamieren. Er Bakunin werde sich jetzt – nach dem Fall der polnischen Geschichte – nur noch an sozialistischer Bewegung beteiligen. Im ganzen ist er einer der wenigen Leute, die ich nach 16 Jahren nicht zurück-, sondern weiterentwickelt finde.(10)

In den folgenden Monaten korrespondierten die beiden Revolutionäre weiterhin freundschaftlich miteinander und tauschten Dokumente der Ersten Internationale und frühe Entwürfe des „Kapital“ aus. Der Einfluss von Marx in der Ersten Internationale wuchs an, während Bakunin in Italien daranging, eine neue Doktrin zu formulieren, die sich durch politische Absentismus, Antistaatlichkeit und Föderalismus definierte und unter verschiedenen Bezeichnungen wie „revolutionärer Sozialismus“, „Kollektivismus“ oder auch „Anarchismus“ firmierte. Zunächst versuchte er Anhänger unter der radikalisierten Gefolgschaft von Giuseppe Garibaldi(11) und den Freimaurern zu finden und gründete schließlich einen Geheimbund, die Internationale Verbrüderung. Die „Katechismen“ dieses Geheimbundes fußten maßgeblich auf den Ideen Bakunins der daraufhin arbeitete, die Revolutionäre in einem internationalen Netzwerk zu reorganisieren. 1867 reisten er und einige seiner Anhänger in die Schweiz, wo sie versuchten, Einfluss auf die neu gegründete Internationale Liga für Frieden und Freiheit zu nehmen, eine bürgerliche pazifistische Organisation, die sich gegen die zunehmenden Feindseligkeiten zwischen dem Zweiten Französischen Kaiserreich und dem Königreich Preußen wandte. Auch die Erste Internationale schickte einige Delegierte (darunter James Guillaume(12) , der ein enger Genosse Bakunins werden sollte). Allerdings waren diese angewiesen, nicht im Namen der Organisation auf dem Kongress aufzutreten. In einem internen Protokoll hieß es dazu:

Bürger Marx lenkte die Aufmerksamkeit auf den Friedenskongreß, der in Genf stattfinden soll. Er halte es für wünschenswert, daß soviele Delegierte wie möglich als Privatpersonen am Friedenskongreß teilnähmen; es wäre jedoch unklug, offiziell als Vertreter der Internationalen Assoziation daran teilzunehmen. Der Kongreß der Internationalen Arbeiterassoziation sei an sich schon ein Friedenskongreß, da die Vereinigung der Arbeiterklasse der verschiedenen Länder internationale Kriege schließlich unmöglich machen müsse. Hätten die Initiatoren des Genfer Friedenskongresses den Kern der Frage wirklich verstanden, dann wären sie der Internationalen Assoziation beigetreten.(13)

Bakunin wurde in das Zentralkomitee der Liga gewählt, doch seine Versuche, die politische Ausrichtung der Liga zu beeinflussen, waren vergeblich - ihr bürgerlich-demokratischer Charakter war von Anfang an offensichtlich. Es gelang ihm jedoch einige weitere Anhänger zu gewinnen. Gemeinsam verließen sie die Liga nach dem Berner Kongress 1868 um die Internationale Allianz der Sozialistischen Demokratie zu gründen, die sich nun als „Zweig“ der Ersten Internationale verstand. Bakunin schrieb an Marx:

Mein lieber Freund, ich begreife jetzt deutlicher denn je, wie recht du hattest, den großen Weg der ökonomischen Revolution zu gehen, uns einzuladen, mit dir zu gehen, und diejenigen von uns zu verurteilen, die ihre Energien auf den Nebenpfaden teilweise nationaler und gelegentlich gänzlich politischer Unternehmungen vergeudeten. Ich tue jetzt das, was Sie in den letzten zwanzig Jahren getan haben. Seit meinem feierlichen und öffentlichen Bruch mit der Bourgeoisie auf dem Berner Kongress kenne ich keine andere Gesellschaft und keine andere Umgebung als die Welt der Arbeiter. Mein Vaterland ist jetzt die Internationale, zu deren prominenten Gründern du gehörst. Du wirst also sehen, mein lieber Freund, dass ich dein Schüler bin, und ich bin stolz darauf. Soviel zu meiner Haltung und meinen persönlichen Ansichten.

Bakunin an Marx, 22. Dezember 1868

Alles sah danach aus als würden die beiden Revolutionäre nun in einer Organisation zusammenfinden. Doch die Allianz beharrte auf ihre Autonomie und bestand darauf ihre eigenen getrennten Sitzungen während der jährlichen Kongresse der IAA abzuhalten. Die Erste Internationale konnte „die Anwesenheit einer zweiten internationalen Organisation, die innerhalb und außerhalb der Internationalen Arbeiterassoziation tätig ist“, nicht zulassen.(14) Marx und Engels standen auch dem Programm der Allianz sehr kritisch gegenüber, insbesondere der Tatsache, dass es die „Gleichmachung der Klassen“ und nicht deren Abschaffung forderte. Folglich wurde die Allianz aufgefordert, sich selbst aufzulösen und ihre Mitglieder dazu zu bringen, sich den lokalen Sektionen der Internationale anzuschließen. Auf dieser Grundlage traten Bakunin und seine Anhänger schließlich im Juli 1869 der Ersten Internationale bei. Wie sich später herausstellen sollte, behielt die Allianz jedoch eine informelle Organisationsstruktur innerhalb der Internationale bei.

Die Erste Internationale

Die Art und Weise, wie Bakunin zunächst versuchte, der Ersten Internationale beizutreten, erregte bei Marx Misstrauen. Bakunins ominösen Verbindungen mit Sergej Netschajew(15) , einem russischen Verfechter des revolutionären Terrors, der 1869 in der Schweiz auftauchte, schien dieses Misstrauen nur zu bestätigen. Doch bevor dies ans Licht kam, taten sich Marx und Bakunin kurzzeitig zusammen, um den Proudhonisten, die das bäuerliche Privateigentum an Grund verteidigten, einen letzten Schlag zu versetzen.

Die Erste Internationale war immer ein heterogenes Bündnis politischer Strömungen, die damals Einfluss auf die Arbeiterbewegung hatten - darunter Anhänger von Proudhon, Blanqui(16) , Lassalle(17) , Marx und später Bakunin. Marx und Engels kämpften von Anfang an für eine politische Klärung innerhalb der Internationale, um ihr so eine Ausrichtung auf die Selbstemanzipation der Arbeiterklasse zu geben. Auf dem Genfer Kongress (September 1866) vertrat nur eine Minderheit der deutschen und belgischen Delegierten kommunistische Ideen. Auf dem Lausanner Kongress (September 1867) machte sich ein wachsender Einfluss kommunistischer Ideen geltend, und auf dem Brüsseler Kongress (September 1868) konnten schließlich Anträge gestellt werden, die besagen, dass Bergwerke, Zechen, Kanäle, Eisenbahnen usw. in Gemeineigentum übergehen sollten. Die französischen Proudhonisten widersetzten sich jedoch weiterhin der Vergesellschaftung des Bodens. Diese Frage wurde schließlich auf dem Basler Kongress (September 1869) geklärt, u.a. mit Unterstützung von Bakunin, der die kollektivistische Position unterstützte.

Auch über die Bedeutung von Streiks herrschte nun allgemeine Einigkeit. Überraschenderweise unterstützte Bakunin auch einen Antrag zur Erweiterung der Befugnisse des Generalrats, so dass dieser jede Sektion suspendieren konnte, die den Grundsätzen der Internationale zuwider handelte. Hinsichtlich des Erbschaftsrechtes kam es jedoch zwischen den „Marxisten“ und „Bakuninisten“ zu Meinungsverschiedenheiten. Für Bakunin (und seine Allianz) war die Abschaffung des Erbrechts ein zentraler Programmpunkt und gewissermaßen die Voraussetzung für die soziale Gleichheit in einer zukünftigen Gesellschaft. Für Marx hingegen war die ganze Frage des Erbrechts eine juristische Abstraktion, die mit der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln (die von der Internationale bereits gebilligt wurde) gelöst werden sollte. Keine der beiden Positionen erhielt eine klare Mehrheit, und es wurde keine Entscheidung getroffen. Sowohl Marx als auch Bakunin waren mit dem Gesamtergebnis des Basler Kongresses relativ zufrieden, obwohl die Saat der Zwietracht gelegt worden war.

Dies war die Blütezeit der Ersten Internationale. Der Klassenkampf schritt in Europa voran: Streiks der Bandweber, Seidenfärber, des Baugewerbes und der Setzer in der Schweiz, Streiks der Eisen- und Bergarbeiter in Belgien, Streiks der Baumwollarbeiter und Bergarbeiter in Frankreich, Streiks der Bergarbeiter in Wales. Es werden neue Anhänger für die Sache gewonnen. Es kam zu Aufstandsversuchen, wie 1870 in Lyon, an denen Bakunin persönlich beteiligt war.

Im Jahr 1871 gipfelte diese Welle der Unzufriedenheit schließlich in der Pariser Kommune, einem revolutionären Aufstand, der im Gefolge des lange erwarteten Krieges zwischen dem Zweiten Französischen Kaiserreich und dem Königreich Preußen ausbrach. Obwohl die Internationale in Paris nur einen geringen Einfluss hatte, avancierten die von Marx verfassten Texte über die kurzlebige Kommune zu ihren bekanntesten öffentlichen Verteidigungsschriften. In den Augen der Bourgeoisie wurde die Pariser Kommune zum Synonym für die Erste Internationale, und ihre Mitglieder mussten Repressionen ertragen. Obwohl Marx als auch Bakunin die Pariser Kommune auf unterschiedliche Weise als Bestätigung ihres Programms ansahen, hatten sich die Beziehungen zwischen den beiden Revolutionären inzwischen so weit verschlechtert, dass sie nun die Internationale zu spalten drohten. Eine Reihe von Faktoren hatte zu dieser Entwicklung geführt.

Gegen Ende des Jahres 1869 kursierten erneut Gerüchte, Bakunin sei ein russischer Spion. Diese Anschuldigung wurde wahrscheinlich von Sigismund Borkheim(18) wieder aufgegriffen und von Wilhelm Liebknecht(19) wiederholt in Umlauf gebracht. Bakunin zufolge wurde sein Ruf bei einem Ehrengericht auf dem Basler Kongress rehabilitiert. Doch die Angriffe auf seine Person hörten nicht auf, denn im Oktober 1869 veröffentlichte Moses Hess(20) eine Hetzschrift, in der er behauptete, Bakunin beabsichtige die Internationale zu untergraben und den Generalrat von London nach Genf zu verlegen. Bakunin antwortete mit einer - unveröffentlichten - antisemitischen Tirade gegen „deutsche Juden“, die sich angeblich gegen ihn verschworen hätten (was selbst seine engsten Anhänger wie Alexander Herzen und Nikolai Ogarjow übertrieben empfanden). Sowohl aus Respekt als auch aus taktischer Überlegung verschonte Bakunin Marx, obwohl er ihn fälschlicherweise für den Drahtzieher hinter all diesen Angriffen hielt. Dieser kündigte jedoch an, dass er möglicherweise bald den Kampf gegen Marx aufnehmen müsse, nicht aus Rache, sondern wegen dessen angeblicher Unterstützung des „Staatskommunismus“.

Die nächste Kontroverse drehte sich um die Fédération romande, die Genfer Sektion der Ersten Internationale, wo die von Bakunin-Anhängern wie Paul Robin (21) und Charles Perron(22) herausgegebene Zeitschrift L'Egalité eine Reihe von Beschwerden über die Arbeit des Generalrats veröffentlicht hatte. Im März 1870 brachte der Generalrat eine Antwort von Marx in Umlauf, in der er auf die Kritik einging. Marx schien jedoch den falschen Eindruck zu haben, dass Bakunin persönlich dahinter steckte und dass er nun, nachdem es ihm nicht gelungen war den Basler Kongress zu beeinflussen, versuchte, den Generalrat zu diskreditieren. Nikolai Utin(23) ,ein weiterer russischer Emigrant der mit Bakunin auf Kriegsfuß stand, witterte nun seine Chance und machte einen Vorstoß, um die L'Egalité im Namen von Marx zu übernehmen. Die Sektion spaltet sich, die Genfer erklären sich zu Anhängern von Marx, die Jurassier zu Anhängern von Bakunin, und beide beanspruchen den Namen der Fédération romande.

Schließlich wurde im Juli 1870 die Verbindung zwischen Bakunin und dem bereits erwähnten Netschajew aufgedeckt, einer höchst umstrittene Figur: Er hatte behauptete, Vertreter einer geheimen in ganz Russland tätigen revolutionären Gruppe zu sein, die in Wirklichkeit aber nicht existierte. Er hatte die Sicherheit anderer Revolutionäre in Russland ernsthaft gefährdet und war sogar für die Ermordung eines seiner ehemaligen Genossen verantwortlich. Netschajew überzeugte Bakunin auch davon, seine Arbeit an der russischen Übersetzung des „Kapital“ aufzugeben (für die er bereits einen Vorschuss von den Verlegern erhalten hatte), um sich anderen Aufgaben widmen zu können. Bakunins Vorliebe für Geheimbünde und Verschwörungen machte ihn blind für das ganze Ausmaß des Betrugs, und als er sich schließlich von Netschajew distanzierte, war es bereits zu spät. Borkheim und Utin hatten nun weitere Munition in der Hand, um Marx' Verdachtsmomente zu nähren.

Im Vorfeld der Londoner Konferenz der Ersten Internationale im September 1871 gab es Versuche der Versöhnung. Robin, einer der Kritiker des Generalrats, wurde in den Generalrat aufgenommen während die Allianz in Genf ohne Rücksprache mit Bakunin ihre Selbstauflösung erklärte. Marx hielt während der Konferenz eine Rede in der er der Allianz vorwarf sich nicht schon 1869 aufgelöst zu haben, als sie dazu aufgefordert wurde, und stellte die Behauptung auf, dass sie immer noch als Geheimgesellschaft innerhalb der Ersten Internationale tätig sei. Er sprach sich ebenso dafür aus, dass die jurassische Sektion nicht den Namen Fédération romande verwenden sollte (sie könnte stattdessen den Namen Fédération jurassienne führen) und er warf James Guillaume vor, dass er unter Verletzung der Statuten der Internationale einen Aufruf zur Schaffung einer Armee zur Unterstützung Frankreichs während des französisch-preußischen Krieges veröffentlicht habe. Die Londoner Konferenz bekräftigt frühere Resolutionen der Internationale, dass für die ArbeiterInnenklasse die wirtschaftliche Bewegung und die politische Aktion untrennbar miteinander verbunden seien.

Die „Bakunisten“ empfanden die Londoner Konferenz als Affront. In der gesamten Internationale machten sich Unmut und Unstimmigkeiten breit. In der Schweiz hielt die jurassische Sektion eine eigene Konferenz ab, auf der sie den Namen Jura-Föderation annahm, verwahrte sich gleichzeitig dagegen zu diesem Schritt aufgefordert worden zu sein. Guillaume verfasste daraufhin ein Rundschreiben an alle Föderationen der Internationale, in dem der dem Generalrat Autoritarismus vorwarf und dazu aufrief, so bald wie möglich einen Kongress abzuhalten. In Belgien kam der Vorschlag auf, den Generalrat ganz abzuschaffen, und in Spanien wurden die „Marxisten“ um Paul Lafargue(24) (dem Schwiegersohn von Marx), aus dem Madrider Sektion ausgeschlossen. Der Generalrat reagierte auf diese „internen Streitigkeiten“ mit der von Marx verfassten Broschüre „Die angeblichen Spaltung in der Internationale“. Im August 1872 brach die italienische Sektion, die unter dem Einfluss von Bakunin-Anhängern wie Errico Malatesta(25) und Carlo Cafiero(26) stand, mit dem Generalrat und begann ihren eigenen Kongress zu organisieren. Damit war die Bühne für die endgültige Konfrontation zwischen „Marxisten“ und „Bakunisten“ auf dem Haager Kongress vorbereitet.

Der Haager Kongress

Der Haager Kongress fand schließlich im September 1872 statt. Die ersten drei Tage wurden mit Formalitäten und Diskussionen über die Mandate verbracht. Der vierte Tag wurde mit der Verlesung eines Berichts des Generalrats eröffnet, in dem die Verfolgung der Internationalisten im Gefolge der Pariser Kommune verurteilt wurde. Der Bericht wurde von den rund 65 Delegierten mit großer Zustimmung aufgenommen. Unter ihnen waren zum ersten Mal auch Marx und Engels. Bakunin war nicht anwesend, allerdings wurden die „Bakunisten“ von Guillaume vertreten. Die Diskussion wandte sich dann weiter zur Rolle des Generalrats in der Internationale zu. Am fünften Tag wurde ein Antrag von Marx über die Befugnisse des Generalrats angenommen. Der Kongress stimmte für die Verlegung des Sitzes des Generalrats von London nach New York, ein Vorschlag von Engels, der sich nicht nur gegen die „Bakunisten“, sondern auch gegen die englischen Gewerkschafter und die französischen Blanquisten richtete. Es folgte eine Diskussion über politische Aktionen, die sich bis zum sechsten und letzten Tag des Kongresses hinzog. Édouard Vaillant(27) , einer der französischen Blanquisten, brachte den Antrag zur „Eroberung der politischen Macht“ ein. Er wurde angenommen, aber ironischerweise ohne die französischen Blanquisten, die bereits nach der Entscheidung, den Sitz des Generalrats nach New York zu verlegen, den Saal empört verlassen und die Internationale für gescheitert erklärt hatten.

Zu guter Letzt verlas Theodore Cuno(28) den Bericht eines fünfköpfigen Sonderausschusses, der mit der Untersuchung der Allianz beauftragt war. Er befürwortet den Ausschluss von Bakunin und seinen Anhängern aufgrund ihrer angeblichen Mitgliedschaft in einer geheimen Gruppe mit „Regeln, die denjenigen der Internationale völlig entgegengesetzt sind“. Zwar wurde der Antrag auf Ausschluss des Schweizer Anarchisten Adhémar Schwitzguébel(29) nicht angenommen, dafür traf es aber James Guillaume der sich geweigert hatte sich zu rechtfertigen und zusammen mit Bakunin ausgeschlossen wurde. Für ihren Ausschluss stimmten nicht nur Marx und Engels, sondern auch Veteranen der Pariser Kommune, Leó Frankel(30), Walery Antoni Wróblewski(31) und Auguste Daniel Serraillier(32) . Aus mehreren Gründen war dies ein hässliches Ende des gesamten Verfahrens. Mindestens einer der Mitglieder des Ausschusses, der die Aktivitäten der Allianz untersucht hatte, entpuppte sich später als bonapartistischer Spion. Und um die Anklage gegen Bakunin zu verstärken, beschuldigte der Sonderausschuss ihn auch des Diebstahls und der Einschüchterung. Es ging darum, dass Bakunin den Vorschuss für die Übersetzung des „Kapitals“ zwar erhalten hatte, das Projekt allerdings weder fertigstellt noch das Geld zurückgegeben hatte. Netschajew hatte daraufhin dem Verleger, wahrscheinlich ohne Bakunins Wissen, Gewalt angedroht.

Nach der Spaltung

Nach dem Haager Kongress existierten jahrelang gewissermaßen zwei Internationalen. Die Erste Internationale in Amerika führte nur noch ein Schattendasein. Marx zog sich aus ihr zurück und konzentrierte sich, trotz seiner angegriffenen Gesundheit, auf seine Studien und die Beratung der aufkeimenden sozialdemokratischen Bewegung in Deutschland. Auf der Konferenz von Philadelphia 1876 wurde die Erste Internationale in Amerika formell aufgelöst, und die Anwesenden legten nur wenige Tage später den Grundstein für die Gründung der Socialist Labor Party. In der Zwischenzeit schlossen sich die Anarchisten unmittelbar nach dem Haager Kongress, dessen Resolutionen sie abgelehnt hatten, in der Saint-Imier-Internationale (auch als Antiautoritäre Internationale bekannt) zusammen. Bakunin zog sich 1873 aus dem öffentlichen Leben zurück, da er gesundheitlich schwer angeschlagen war. In seinen letzten Lebensjahren zerstritt er sich mit seinen beiden engsten Genossen, James Guillaume und Carlo Cafiero, und verstarb 1876. Die Saint-Imier-Internationale konnte vor allem in Italien und Spanien einige Erfolge verbuchen. In Amerika war sie viel stärker vertreten als die Reste der Erste Internationale. Doch nachdem sie zunehmend auf insurrektionalistische Aktivitäten und einzelne Gewaltakte – die sog. „Propaganda der Tat“ – setzte, verlor sie Mitglieder an die Sozialdemokratie, die sich stattdessen auf die Massenbewegungen der ArbeiterInnenklasse stützte. Der Kongress von Verviers 1877 sollte schließlich ihr letzter sein.

Entgegen der landläufigen Meinung gab es mehrere Versuche die zwei verfeindeten Strömungen zu versöhnen und wiederzuvereinigen. Der erste davon hatte bereits 1877 mit dem Kongress von Gent stattgefunden. Zu den Delegierten dieses Allgemeinen Sozialistenkongresses gehörten Liebknecht, Frankel, Guillaume und Kropotkin (der kurz zuvor zum Anarchismus gefunden hatte und bald ein bedeutender Theoretiker werden sollte). Während in den Fragen des kollektiven Eigentums und des industriellen Kampfes weitgehend Einigkeit herrschte, tauchten die alten Argumente wieder auf, als es um den Staat, die politischen Parteien, den Parlamentarismus und die „Propaganda der Tat“ ging. Dem Kongress von Gent folgten keine konkreten Maßnahmen, aber er symbolisierte eine Veränderung der Diskussionsbedingungen, da die ehemaligen Anhänger von Marx und Bakunin nun zu Sozialdemokraten bzw. Insurrektionalisten wurden. Erstere trafen sich 1881 in Chur, um den langwierigen Prozess der Gründung der Zweiten Internationale einzuleiten, letztere trafen sich in London, um die Internationale Arbeiterassoziation (auch bekannt als Schwarze Internationale) zu gründen. Während sich die Sozialdemokratie auf die Schaffung von politischen Massenparteien der Arbeiterklasse auf nationaler Ebene stützte, predigten die Insurrektionalisten Wahlenthaltung und konzentrierten sich auf die (oft gewaltsame) direkte Aktion. Als die Zweite Internationale gegründet wurde, hatte sich die Schwarze Internationale nach dem Haymarket-Massaker faktisch aufgelöst.

In den 1880er Jahren entwickelte sich trotz verschiedener antisozialistischer Gesetze eine internationale Massenbewegung der ArbeiterInnenklasse. Marx erlebte ihre Entstehung nur noch in den Anfängen, da er 1883 verstarb, ohne sein Lebenswerk vollendet zu haben. Als die Zweite Internationale 1889 ihren ersten Kongress abhielt, waren Hunderte von Delegierten anwesend, die Tausende von Arbeiterinnen und Arbeiter vertraten. Er wurde von dem Konflikt zwischen den Possibilisten, angeführt von dem ehemaligen Anarchisten und mittlerweile zum Reformisten gewordenen Paul Brousse(33), und den Marxisten überschattet, vertreten von den ehemaligen Anarchisten, die sich zu Sozialdemokraten entwickelt hatten wie Jules Guesde(34) oder Paul Lafargue. (Engels unterstützte letztere trotz früherer Meinungsverschiedenheiten, setzte aber im Allgemeinen wenig Hoffnung in den Kongress und nahm auch nicht an ihm Teil). (…) Nichtsdestotrotz wurde die Zweite Internationale ins Leben gerufen, und zum Gedenken an das Haymarket-Massaker wurde eine Resolution verabschiedet, in der der 1. Mai zu einer jährlichen internationalen Demonstration der Arbeiterklasse im Kampf für den Achtstundentag erklärt wurde. In den folgenden Jahren schlossen sich aktive und ehemalige Anarchisten den sozialdemokratischen Parteien und ihren Gewerkschaften an, und Leute wie Malatesta und Gustav Landauer(35) bemühten sich natürlich um eine Vertretung in der neuen Internationale. Auf dem Züricher Kongress von 1893 wurde jedoch versucht, die Anarchisten mit der folgenden Resolution ins Abseits zu stellen:

Alle Gewerkschaften sollen zum Kongress zugelassen werden, ebenso jene sozialistischen Parteien und Organisationen, die die Notwendigkeit der Organisation der Arbeiter und der politischen Aktion anerkennen. Mit "politischer Aktion" ist gemeint, dass die Organisationen der Arbeiterklasse danach streben, soweit wie möglich die politischen Rechte und die Maschinerie der Gesetzgebung für die Förderung der Interessen des Proletariats und die Eroberung der politischen Macht zu nutzen oder zu erobern.(Entschließung der Zweiten Internationale, 1893)

Schon damals ließ die Resolution Raum für Interpretationen, und auf dem Londoner Kongress 1896 wurde die Frage erneut debattiert. Malatesta vertrat die Auffassung, dass antiparlamentarische Sozialisten immer noch Sozialisten seien, und erhielt dabei die Unterstützung von Ferdinand Domela Nieuwenhuis(36), William Morris (37), Tom Mann(38) und Keir Hardie(39). Leute wie Jean Jaurès(40) und Henry Hyndman(41) hingegen hielten vehement an der Zürcher Resolution fest. Liebknecht schlug eine neue Resolution vor, die besagte, dass nur diejenigen Parteien und Gewerkschaften zum nächsten Kongress eingeladen werden sollten, die die Notwendigkeit legislativer und parlamentarischer Maßnahmen anerkennen würden. Die Resolution wurde angenommen und damit war der Ausschluss der Anarchisten nun offiziell. Ironischerweise sollte die Zweite Internationale, obwohl sie eine marxistische Weltanschauung vertrat, eher einer föderalen Organisationsform ähneln, die aus mächtigen nationalen Sektionen ohne zentrale Organisation bestand (bis 1900 das Internationale Sozialistische Büro gegründet wurde).

Zwischen den 1890er und 1910er Jahren verschärfen sich die Auseinandersetzungen zwischen Arbeit und Kapital. Während die von den Anarchisten gesäuberte Sozialdemokratie ihre ersten Wahlerfolge feierte, entwickelten sich in ihren Parteien und Gewerkschaften revolutionäre Tendenzen. Der Erste Weltkrieg eröffnete eine neue Ära, die die Bedingungen der Debatte erneut veränderte. Doch das kurze Zusammentreffen von MarxistInnen und AnarchistInnen im Zuge der Russischen Revolution und in der Dritten Internationale würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Marxismus und Anarchismus

So viel zur Geschichte. Wenn man auf das Zerwürfnis von Marx und Bakunin zurückblickt, kann man den Groll, die Missverständnisse und Vorurteile sowie den negativen Einfluss ihrer Anhänger nicht außer Acht lassen. Dennoch gab es handfeste organisatorische und damit verbunden auch politische Differenzen:

Marx sah alle wirtschaftlichen Kämpfe der ArbeiterInnenklasse als inhärent politisch an, die Frage sei nur, welche Ideen sich letztlich durchsetzen würden. Daher forderte er die Arbeiterinnen und Arbeiter auf ihre eigene unabhängige politische Partei zu gründen, um dem Einfluss der bürgerlichen Ideologie widerstehen zu können. Eine solche Partei sollte von den politischen Freiheiten Gebrauch machen, die ihr zur Verfügung stehen: Wahlen, Versammlungs- und Vereinigungsrecht sowie Pressefreiheit. Dies würde es ihr nicht nur ermöglichen, das sozialistische Programm zu propagieren, sondern auch den Arbeitern die Erfahrungen und das Bewusstsein für die kommenden Kämpfe vermitteln.

Bakunin sah die ArbeiterInnenklasse aufgrund ihrer materiellen Bedingungen bereits als sozialistisch an, wenn auch unbewusst, und er betrachtete Politik als die Kunst, die Massen zu beherrschen. Daher rief er zur Wahlenthaltung auf. Stattdessen sollten sich seiner Meinung nach alle Arbeiterinnen und Arbeiter in einer einzigen universellen Vereinigung zusammenschließen, in der die Autonomie der Sektionen gewährleistet sein müsste. Die SozialistInnen würden in einer solchen Organisation eine Minderheit bilden und müssten, wenn auch im Verborgenen, zusammenarbeiten, um das sozialistische Programm zu propagieren.

Marx akzeptierte, dass die Erste Internationale als Organisation mit der Entwicklung des Klassenkampfes obsolet werden könnte, während für Bakunin die Erste Internationale der Embryo der zukünftigen Gesellschaft war. Obwohl Bakunin anfangs die Erweiterung der Befugnisse des Generalrats befürwortete, kam er zu dem Schluss, dass dieser auf ein einfaches Büro für Korrespondenz und Statistik zwischen autonomen Sektionen reduziert werden sollte. Marx, der den Generalrat als Mittel zur Zentralisierung des Handelns für ein gemeinsames Ziel ansah, antwortete, dass er lieber für die Abschaffung des Generalrats stimmen würde als für einen Generalrat, der nur ein Briefkasten wäre. Dies waren ihre unterschiedlichen Grundansätze, die nicht miteinander vereinbar waren. Sie wurden bald zu einem Konflikt zwischen „Zentralisten“ und „Föderalisten“ vulgarisiert (eine Unterscheidung, die Engels öffentlich zurückwies) - sowohl Marx als auch Bakunin wandten zeitlebens je nach konkreter Situation unterschiedliche Taktiken an. So gab es Zeiten, in denen Marx Mitglied eines Geheimbundes war (dem Bund der Kommunisten), oder in denen Bakunin dafür eintrat, bei Wahlen zu kandidieren und taktische Bündnisse mit bürgerlichen Parteien einzugehen (in seinen Briefen an Carlo Gambuzzi(42) und Celso Cerretti(43)). Ebenso warfen sich sowohl Marx als auch Bakunin zu verschiedenen Zeiten gegenseitig Autoritarismus vor, im Namen des Generalrats bzw. der Allianz.

Die sollte im Kontext unterschiedlicher nationaler Blickwinkel gesehen werden. Für Marx war die Zentralisierung (des Staates, des Kapitals, der Produktionsmittel, des Eigentums, der Bevölkerung) eine historische Tendenz, die die Überreste des Feudalismus hinwegfegen und die Grundlage für eine ArbeiterInnenbewegung wie in Deutschland schaffen würde. Bakunin verteidigte den Zusammenschluss von Individuen, Vereinen, Gemeinden, Bezirken und Provinzen gegen das kapitalistische Eindringen, denn er wollte verhindern, dass sich dieser Prozess in Russland vollzieht. Marx war jedoch kein blinder Apologet des „Fortschritts“, und als er begann, die Verhältnisse in Russland zu studieren, kam er zu der Überlegung, dass die bäuerliche Kommune zum Ausgangspunkt einer kommunistischen Entwicklung werden könnte (allerdings nur im Zusammenhang mit dem Sturz des Zarismus und dem Sieg des Industrieproletariats in Westeuropa). Dennoch war es kein Zufall, dass die Ideen von Marx im industrialisierten Westeuropa und die von Bakunin im ländlichen Südeuropa, wo der Kapitalismus kaum Fuß gefasst hatte, ihre Hochburg fanden. Wie Engels erklärte:

Bakunin hat eine aparte Theorie, ein Sammelsurium von Proudhonismus und Kommunismus, wobei fürs erste die Hauptsache ist, daß er nicht das Kapital, d.h. den durch die gesellschaftlichen Verhältnisse entstandenen Klassengegensatz von Kapitalisten und Lohnarbeitern für das zu beseitigende Hauptübel ansieht, sondern den Staat. Während die große Masse der sozialdemokratischen Arbeiter mit uns der Ansicht sind, daß die Staatsmacht weiter nichts ist als die Organisation, welche sich die herrschenden Klassen – Grundbesitzer und Kapitalisten – gegeben haben, um ihre gesellschaftlichen Vorrechte zu schützen, behauptet Bakunin, der Staat habe das Kapital geschaffen, der Kapitalist habe sein Kapital bloß von der Gnade des Staates. Da also der Staat das Hauptübel sei, so müsse man vor allem den Staat abschaffen, dann gehe das Kapital von selbst zum Teufel; während wir umgekehrt sagen: schafft das Kapital, die Aneignung der Produktionsmittel in den Händen weniger, ab, so fällt der Staat von selbst. Der Unterschied ist wesentlich: die Abschaffung des Kapitals ist ohne vorherige soziale Umwälzung Unsinn – die Abschaffung des Kapitals ist eben die soziale Umwälzung und schließt eine Veränderung der gesamten Produktionsweise in sich.(44)

Die Behauptung, dass Marx ein „Etatist“ und Bakunin ein „Anti-Etatist“ gewesen sei, trug am meisten zur Entstehung der heutigen Kluft zwischen Marxismus und Anarchismus bei. Marx betonte jedoch sogar auf dem Höhepunkt seines Konfliktes mit Bakunin:

Alle Sozialisten verstehen unter Anarchie dies: Ist einmal das Ziel der proletarischen Bewegung, die Abschaffung aller Klassen erreicht, so verschwindet die Gewalt des Staates, welche dazu dient, die große produzierende Mehrheit unter dem Joche einer wenig zahlreichen ausbeutenden Minderheit zu halten, und die Regierungsfunktionen verwandeln sich in einfache Verwaltungsfunktionen.(45)

Viele von Bakunins Angriffen richteten sich in Wirklichkeit gegen Elemente innerhalb der deutschen Sozialdemokratie, nicht gegen Marx. Im Nachhinein können wir sagen, dass Marx mehr hätte tun sollen, um sich öffentlich von den „Staatskommunisten“ abzugrenzen, mit denen Bakunin ihn in einen Topf geworfen hatte. Die meisten von Marx' Kritiken an verschiedenen Aspekten der deutschen Sozialdemokratie beschränken sich auf persönliche Briefe und Dokumente, die erst posthum veröffentlicht wurden und somit für Bakunin nicht zugänglich waren.

Allerdings lehnte Bakunin auch das Konzept der Diktatur des Proletariats ab, das wir natürlich bei Marx finden. Darüber ist viel geredet worden, aber vor allem zwei Punkte zeigen, dass das marxistische Verständnis der Diktatur des Proletariats trotz Bakunins Behauptungen nichts mit dem „Volksstaat“ eines Ferdinand Lassalle, geschweige denn von Bismarck, zu tun hatte:

Für Marx und Engels bedeutete die Diktatur des Proletariats die Eroberung der politischen Macht und den Übergang zur Abschaffung aller Klassen. Sie entwickelten keine Blaupausen wie dies konkret geschehen könnte, obwohl ihnen nach den Erfahrungen der Revolutionen von 1848 schon klar gezeigt hatte, dass dazu die Zerschlagung des alten Staatsapparates notwendig sein würde. Das einzige Beispiel, das Marx und Engels für die reale Errichtung einer „Regierung der Arbeiterklasse“, für die Eroberung der politischen Macht, für die Diktatur des Proletariats geben konnten, war die Pariser Kommune – „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.“(46)

Gleichzeitig unterschieden Marx und Engels strikt zwischen der Diktatur der gesamten revolutionären Klasse, für die sie eintraten, und der Diktatur „der kleinen Zahl derer, die den Handstreich gemacht haben und die selbst schon im voraus wieder unter der Diktatur eines oder einiger weniger organisiert sind.(47)

Wie bereits erwähnt, war die Erste Internationale immer ein heterogenes Bündnis politischer Tendenzen. Theoretisch gibt es keinen Grund, warum Marx, Bakunin und ihre Anhänger in ihr nicht neben den Proudhonisten, Blanquisten, Lassalleanern und anderen hätten koexistieren können. Aber, Spaltung hin oder her, die Ära der Ersten Internationale war vorbei. In ihren privaten Briefen mussten sich dies Marx und bald auch Bakunin eingestehen. Es sollte Jahre dauern, bis sich die ArbeiterInnenbewegung von den Repressionen nach der Pariser Kommune erholt hatte. Doch als sie es tat, wachte sie in einer anderen Welt auf. Die so genannte zweite industrielle Revolution, die in den 1870er Jahren begann, beschleunigte das Wachstum einer globalen ArbeiterInnenklasse. Das Gravitationszentrum der ArbeiterInnenbewegung verlagerte sich von Frankreich nach Deutschland. In den kapitalistischen Metropolen ging die Ära der Barrikaden zu Ende, und es begann die Ära des Massenstreiks.

150 Jahre später

Seit den Tagen der Ersten Internationale hat sich der Anarchismus in viele weitere Strömungen aufgespalten, die oft sehr widersprüchliche Positionen vertreten. Einige haben die revolutionäre Perspektive gänzlich aufgegeben, indem sie in imperialistischen Konflikten Partei ergreifen oder die ArbeiterInnenklasse als revolutionäres Subjekt aufgegeben haben. Andere, wie Bakunin selbst, haben die Kapitalismuskritik von Marx akzeptiert (wenn auch nicht die Gesamtheit seiner materialistischen Methode). Was uns KommunistInnen noch mit einigen AnarchistInnen verbindet, ist das Ziel der Selbstemanzipation der ArbeiterInnenklasse und die Schaffung einer staatenlosen Gesellschaft. Die Positionen, die KommunistInnen heute vertreten, leiten sich aus der Analyse der Entwicklung des Kapitalismus und aus den Erfahrungen der vergangenen ArbeiterInnenkämpfe ab. Sie sind nicht in Stein gemeißelt, sondern das Ergebnis eines kontinuierlichen Prozesses der Reflexion. Marx gab der ArbeiterInnenbewegung die dringend benötigte materialistische Grundlage, aber das bedeutet nicht, dass jede Taktik, die er in den frühen Tagen des Kapitalismus vertrat, auch heute noch anwendbar ist. Welche Bedeutung hat der Konflikt zwischen Marx und Bakunin also überhaupt 150 Jahre später?

Der Kapitalismus hat (bisher) die Stürme von Krise, Krieg und Revolution überstanden. Er ist mittlerweile ein globales System, das sich in der letzten Phase seiner Akkumulation befindet. Er hat die Bauernschaft als Klasse in seinen Kernländern mehr oder weniger eliminiert, der großen Mehrheit der Weltbevölkerung Lohnarbeit aufgezwungen und die Produktionsmittel so weit entwickelt, dass eine sozialistische Alternative realisierbar ist. Die Staatsmaschinerie hat sich ausgeweitet, das Finanzkapital dominiert und der Beginn neuer Akkumulationszyklen ist heute ohne massive Entwertung des Kapitals durch die Massenvernichtung eines globalen Krieges unmöglich. Imperialistische Konkurrenz und Umweltzerstörung bedrohen das Leben auf der Erde. In diesem zugegebenermaßen düsteren Kontext sind nationale Blickwinkel auf Sand gebaut. Die unterschiedlichen Schlussfolgerungen, zu denen Marx und Bakunin in Bezug auf die nationale Entwicklung Deutschlands und Russlands gelangten, sind von der Geschichte auf ihre Weise gelöst worden. In beiden Ländern herrscht der Kapitalismus, und darüber hinaus sind sie zu konkurrierenden imperialistischen Mächten geworden. Die Möglichkeit, die Parlamente als revolutionäre Tribüne, geschweige denn als Mittel zur schrittweisen Eroberung der Macht zu nutzen, hat sich ebenfalls erledigt. Die moderne Demokratie ist nur noch ein Feigenblatt, hinter dem sich die Diktatur des Kapitals verbirgt, das über organisierte Repression und eine riesige Propagandamaschine verfügt. Heute dienen Massenparteien und Gewerkschaften dazu, die ArbeiterInnenklasse in den Staat zu integrieren. Die wahre Synthese von Autorität und Freiheit liegt in den ArbeiterInnenräten, einer revolutionären Alternative zum kapitalistischen Staat, die von der ArbeiterInnenklasse 1905 entdeckt wurde.

Der Internationalismus, der Antiparlamentarismus, die Selbstorganisation des Klassenkampfes und die Macht der ArbeiterInnenräte stellen somit potenzielle Punkte einer Annäherung dar. Die verbleibenden Hauptdifferenzen - wie die Notwendigkeit einer internationalen politischen Organisation mit einem klaren Programm als politischem Kompass oder die unvermeidliche Übergangsphase zum Kommunismus, in der die ArbeiterInnenräte die ausschließliche Macht innehaben müssen - können nicht durch bloßen Willen und Appelle zur Einheit beigelegt werden, die, wie die Geschichte immer wieder zeigte, dieselben Differenzen in viel schärferem Gegensatz wieder aufwerfen. In diesem Licht können wir sehen, dass die Spaltung und das Ende der Ersten Internationale ein Rückschlag für die junge ArbeiterInnenbewegung war. Sie war jedoch nicht die Katastrophe, die die Zweite Internationale (die, vom Reformismus zersetzt, angesichts des imperialistischen Krieges zusammenbrach) oder die Dritte Internationale (die als außenpolitischer Arm eines neuen imperialistischen Staates endete, der aus der Niederlage der russischen und internationalen Revolution in den 1920er Jahren hervorging) darstellten. Die staatskapitalistischen Erben beider sind nach wie vor Gegner einer wirklichen proletarischen Emanzipation. Wir setzen uns weiterhin für die Schaffung einer zukünftigen Internationale ein, die RevolutionärInnen nicht nur auf der Grundlage selbsternannter Etiketten vereint, hinter denen sich alle Arten von Verwirrung und Täuschung verstecken können, sondern auf der Grundlage einer Einigung auf ein gemeinsames Programm, das die Situation der LohnarbeiterInnen überall in einem maroden kapitalistischen System widerspiegelt, welches nichts Fortschrittliches mehr zu bieten hat. Wir erheben nicht den Anspruch, alle Antworten zu haben, und wir sind immer offen für einen Dialog über unsere eigene Plattform, die unserer Meinung nach entscheidende Lehren aus der bewegten Geschichte von Klassenkampf, Wirtschaftskrisen, Krieg und Revolution enthält, und politische Fragen geklärt hat, die zu Zeiten von Bakunin und Marx noch offen waren.

An diesem entscheidenden historischen Punkt, an dem jeder Tag, an dem der Kapitalismus weiterlebt, eine Bedrohung für die Existenz der Menschheit darstellt, rufen wir alle, die sich als AnarchistInnen verstehen und sich dem Klassenkampf verschrieben haben, dazu auf, zu überdenken, wie sich die Dinge auf dem langen Weg zur Selbstemanzipation der ArbeiterInnenklasse seit 150 Jahren verändert haben. (Dyjbas).

Zum Weiterlesen:

Eine linkskommunistische Kritik des Plattformismus - Erster Teil: Die Machnowschtschina: leftcom.org

Eine linkskommunitische Kritik des Plattformismus - Zweiter Teil: Die Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union und ihre UnterstützerInnen: leftcom.org

Anarchismus und Marxismus: leftcom.org

Anarchismus im Rückblick: leftcom.org

Anmerkungen:

(1) Alexander Herzen (25. März 1812 – 9. Januar 1870) wurde schon früh unter dem Eindruck der Niederschlagung des Dekabristenaufstandes politisiert und engagierte sich in oppositionellen Zirkeln. Gemeinsam mit Orgajow gab er die Zeitschrift Kolokol (Die Glocke) heraus. Nach der Niederschlagung des Polnischen Aufstandes von 1863 in den er große Hoffnung gesetzt hatte zog er sich aus dem politischen Leben zurück.

(2) Nikolai Platonowitsch Ogarjow (6.Dezember 1813 – 12. Juni 1877) war ein russischer Sozialist und gemeinsam mit Alexander Herzen Herausgeber der oppositionellen Zeitschrift Kolokol (Die Glocke) und propagierte die Idee eines spezifisch „Russischen Sozialismus“. Er war Gründungsmitglied der Untergrundorganisation Semlja i wolja (Land und Freiheit) und antizipierte in weiten Teilen wesentliche programmatische Eckpunkte der russischen Sozialrevolutionäre.

(3) Bruno Bauer (6. September 1809 – 13 April 1882) galt mit Ludwig Feuerbach als einer der wichtigsten Köpfe der sog. Junghegelianer, eine philosophischen Strömung die sich um die Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse bemühte. Bauer tat sich besonders mit religionskritischen Schriften hervor. Später wandte er sich jedoch konservativen und antisemitischen Positionen zu.

(4) Ludwig Andreas Feuerbach (28 Juli 1804 – 13. September 1872) bewegte sich im Kreis der Junghegelianer und machte als Philosoph mit seiner für die damaligen Verhältnisse radikalen Religionskritik Furore.

(5) Im Dezember 1825 verweigerten Offiziere von Garderegimentern der russischen Armee den Eid auf den Zaren, um gegen die autokratische Herrschaft zu protestieren. Dieser Dezember– oder Dekabristenaufstand wurde brutal niedergeschlagen.

(6) Arnold Ruge (13. September 1802 – 31. Dezember 1880) war Herausgeber der Hallischen Jahrbücher, einem wichtigen Publikationsmedium der Junghegelianer. Später gab er mit Marx in Paris die Deutsch-Französischen Jahrbücher heraus. Ruge lehnte das Ziel des Kommunismus ab und setzte sich für eine demokratische Republik ein. In späteren Jahren distanzierte sich Ruge von seinen linksdemokratischen Ideen und wurde ein Bewunderer der Politik Bismarcks.

(7) Wilhelm Christian Weitling (5. Oktober 1808 – 25. Januar 1871) war ein christlich geprägter Frühsozialist und Vordenker des Kommunismus. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Bundes der Gerechten aus dem später der Bund der Kommunisten hervorgehen sollte.

(8) Pierre-Joseph Proudhon (15. Januar 1809 – 19. Januar 1865) war ein französischer Frühsozialist und gilt und gilt als einer der wichtigsten Begründer des Anarchismus. Im Grund vertrat er jedoch das Konzept einer schrittweisen Gesellschaftsveränderung durch wirtschaftliche und politische Reformen auf der Grundlage des Prinzips der „gegenseitigen Hilfe“. Marx bezeichnete seine Konzeptionen als typisch für einen Kleinbürger der „zwischen Kapital und Arbeit, politischer Ökonomie und Kommunismus schwankt“.

(9) Michael Bakunin: Persönliche Beziehungen zu Marx, in Hillmann, Susanne (Hrsg.): Gott und der Staat und andere Schriften, Reinbeck bei Hamburg, 1969, S. 183.

(10) Marx an Engels, 4. November 1864, MEW Bd. 30 S. 16.

(11) Giuseppe Garibaldi ( 4. Juli 1807 - 2. Juni 1882) war einer der bedeutendsten Vorkämpfer der italienischen Unabhängigkeits- und Einigungsbewegung des sog. Risorgimento.

(12) James Guillaume (16. Februar 1844 – 20. November 1916) war in der anarchistisch ausgerichteten Schweizer Juraföderation aktiv, Herausgeber ihrer Zeitschrift und einer der wichtigsten Bundesgenossen Bakunins. Nachdem auf dem Haagener Kongress aus der IAA ausgeschlossen worden war, gehörte er zu den Initiatoren der antiautoritären Saint Imier Internationale. Angesichts des repressiven Klimas nach der Niederschlagung der Pariser Kommune zog er sich aus dem politischen Leben zurück. Erst 1905 wurde er unter dem Eindruck der entstehenden anarchosyndikalistischen Bewegung wieder aktiv.

(13) Aufzeichnung einer Rede von Karl Marx über die Stellung der Internationalen Arbeiterassoziation zum Kongreß der Friedens-und Freiheitsliga (Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Generalrats vom 13. August 1867), MEW Bd. 16, Seite 529.

(14) Die Internationale Arbeiterassoziation und die Allianz der sozialistischen Demokratie, MEW Bd. 16, S. 340.

(16) Sergei Gennadijewitsch Netschajew (2. Oktober 1847 – 3. Dezember 1882) kam aus einfachen Verhältnissen und schloss sich radikalen Studentengruppen an ohne jedoch immatrikuliert zu sein. 1869 ging er ins Genfer Exil und gab sich in russischen Emigrantenkreisen als Anführer einer revolutionären Geheimorganisation aus. Er freundete sich mit Bakunin und Orgajow an und verfasste eine programmatische Schrift, den „Revolutionären Katechismus“. Netschajew ging nach Russland zurück und rief die Gruppe Narodnaja Rasprawa (Volksrache) ins Leben. Traurige Berühmtheit erlangte die Gruppe als sie ein Mitglied welches wegen Meinungsverschiedenheiten austreten wollte brutal ermordete. Netschajew ging erneut ins Exil, bewegte sich im Umfeld Bakunins, dem er private Briefe und Schriften stahl. 1872 wurde Netschajew von der Züricher Polizei wegen Mordes festgenommen und nach Russland ausgeliefert, wo er in der Haft verstarb.

(17) Luis-Auguste Blanqui (7. Februar 1805 – 1881) war in mehreren republikanischen und sozialistischen konspirativen Zirkeln aktiv und war Anführer des Geheimbundes „Gesellschaft der Jahreszeiten“. Er versuchte vergeblich Aufstände gegen die herrschende Ordnung anzuzetteln. Der Begriff Blanquismus wurde zum Synonym für Verschwörertum und das Ansinnen kleiner elitärer Gruppen die Macht mittels eines Putsches an sich zu reißen.

(18) Ferdinand Lassalle (11. April 1825 – 31. August 1864) rief 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) ins Leben und gilt als Begründer der deutschen Sozialdemokratie. Er vertrat einen genossenschaftlich und nationalstaatlich geprägten „Sozialismus“, der von Marx und Engels entschieden kritisiert wurde.

(19) Sigismund Ludwig Borkheim (29. März 1826 - 16. Dezember 1885) hatte sich aktiv an der Revolution von 1848 beteiligt. Nach der lieferte er Karl Marx wichtige Informationen für sein Buch „Herr Vogt“, einer Verteidigungsschrift gegen die Vorwürfe Carl Vogts, der Marx beschuldigt hatte in allerlei Verschwörungen und Erpressungen involviert zu sein. Borckheim wurde Mitglied der IAA und setzte sich besonders kritisch mit dem Panslawismus Bakunins auseinander.

(20) Wilhelm Liebknecht (29 März 1826 – 7. August 1900) beteiligte sich aktiv an der Revolution von 1848. Im Londoner Exil trat er dem Bund der Kommunisten bei und stand im engen Kontakt zu Marx und Engels. 1869 gründete er in Eisenach gemeinsam mit August Bebel die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, einen Vorläufer der SPD.

(21) Moses Hess (21. Januar 1812 – 6. April 1875), Philosoph , Schriftsteller und eine der bedeutendsten Frühsozialisten, der anfänglich das Denken von Marx und Engels beeinflusste. Als einer der ersten verstand der das Judentum nicht als Religion sondern als Nationalität und gilt daher als einer der Vordenker des Zionismus.

(21) Paul Robin (3. April 1837 -31. August 1912) war ein französischer Reformpädagoge, und innerhalb der IAA ein Anhänger Bakunins. Robin setzte sich für Frauenrechte ein und vertrat sozialistische Positionen. Gleichzeitig wurde er jedoch auch vom Neomalthusianismus und der Eugenik beeinflusst. Als Pädagoge entwickelte er das Konzept einer antiautoritären und ganzheitlichen Erziehung. Als er Kinder die „Internationale“ singen ließ verlor er jedoch seine Stellung als Direktor eines Waisenhauses.

(22) Charles Perron (6. Dezember 1837 – 7. März 1909) entstammte einer sozialistischen Familie und wurde von seinem Vater zum Zeichnen und Malen angehalten. Er machte die Bekanntschaft Elisée Reclus, wurde Mitglied der „Internationalen Bruderschaft“ und engagierte sich in anarchistischen Kreisen in der Schweiz. Später wurde er als Kartograph und Maler bekannt.

(23) Nikolai Issaakowitsch Utin (20. August 1841 – 13. Dezember 1883) trat als Student sozialrevolutionären Zirkeln bei und wurde Mitglied der Semlja i Wolja (Land und Freiheit). Im Schweizer Exil trat er der Ersten Internationale bei. Utin warnte Bakunin eindringlich vor den Machenschaften Netschajews was schließlich zu heftigen Konflikten führen sollte.

(24) Paul Lafargue (15. Januar 1842 – 26. November 1911) Schwiegersohn von Karl Marx und Vorkämpfer der sozialistischen Arbeiterbewegung war ein entschiedener Internationalist, der gegen rassistische und frauenfeindliche Tendenzen in der Arbeiterbewegung Stellung bezog. Gegen den weit verbreiteten Arbeitsfetischismus verfasste er die Schrift „Das Recht auf Faulheit: Widerlegung des Rechts auf Arbeit“.

(25) Errico Malatesta (4. Dezember 1853 – 22. Juli 1932) war ein Schüler Bakunins und wurde zu einem bedeutenden Theoretiker des kommunistischen Anarchismus. Im Ersten Weltkrieg nahm er als einer der wenigen Anarchisten eine antimilitaristische Haltung ein und begründete 1919 die anarchistische Tageszeitschrift Umanita Nova . Auch unter der faschistischen Herrschaft setzte er seine publizistischen Tätigkeiten fort. Gleichzeitig ging er seinem Beruf als Elektriker nach. Trotz seines hohen Alters wurde Malatesta von der faschistischen Polizei bis zu seinem Tode überwacht.

(26) Carlo Cafiero (1. September 1846 – 17. Juli 1892) war der Sohn eines reichen Gutsbesitzers. 1870 kam er in London in Kontakt mit Marx und Engels und schloss sich der Ersten Internationale an. Nach längeren Diskussionen mit Bakunin wandte er sich allerdings dem Anarchismus zu. Aus seinem Erbe kaufte er Bakunin sogar eine Villa. Cafiero wirkte in der Redaktion der ersten italienischen Zeitschrift La plebe. Nach einem missglückten Aufstandsversuch in der Provinz Castera ging er ins Schweizer Exil wo er Bakunins Schrift „Gott und der Staat“ herausgab. Nach seiner Rückkehr nach Italien wurde er inhaftiert und nach einem Selbstmordversuch in die Psychiatrie gesteckt wo er schließlich verstarb.

(27) Édouard Vaillant (26. Januar 1840 – 18. Dezember 1815) war ein französischer Sozialist und Teilnehmer der Pariser Kommune. Nach dem Zerfall der IAA hatte er 1889 wesentlichen Anteil an der Gründung der Zweiten Internationale. Innerhalb der französischen Sozialistischen Partei nahm er eher eine zentristische Position ein. Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges gehörte Vaillant zu den Kriegsgegnern, schwenkte dann aber um und befürwortete die Vaterlandsverteidigung.

(28) Theodore Cuno (5. September 1846 – 24. März 1934) trat 1869 in Chemnitz der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Wilhelm Leibknechts und August Bebels bei. Nach seinem Umzug nach Mailand gründete er dort die Sektion der Ersten Internationale. Nach dem Haager Kongress ging er nach New York, war bei den Knights of Labour aktiv und arbeitete für die New Yorker Volkszeitung.

(29) Adhémar Schwitzguébel (1844 – 23. Juli 1895) war ein Schweizer Anarchist und führendes Mitglied der Juraföderation. Nach seinem Ausschluss aus der IAA engagierte er sich in der antiautoritären Saint-Imier-Internationale.

(30) Leó Frankel (24 Februar 1844 – 29. März 1896) beteiligte sich an der Pariser Kommune und war für Arbeit, Industrie und Finanzen zuständig. Nach seiner Flucht nach London wurde er in den Generalrat der „Ersten Internationale“ gewählt und war deren Sekretär für Österreich Ungarn. Nach seiner Rückkehr nach Ungarn beteiligte er sich am Aufbau der Arbeiterbewegung und nahm später an den Gründungskongressen der Zweiten Internationale teil.

(31) Walery Antoni Wróblewski (5. Dezember 1836 – 5. Juli 1908) war einer der Anführer des polnischen Aufstandes von 1863. Trat 1870 in Paris der Nationalgarde bei und beteiligte sich 1871 als Kommandant des Abschnitts zwischen den Befestigungen Ivry und Arcuil an der Verteidigung der Pariser Kommune. Später schloss er sich der Ersten Internationale an und wurde in deren Generalrat gewählt.

(32) Auguste Daniel Serraillier (20. Juli 1840 – 21. August 1891) beteiligte sich an der Pariser Kommune und versuchte im Auftrag des Generalrats in Paris die Sektion zu organisieren. Nach der Niederschlagung der Kommune in Abwesenheit zum Tode verurteilt und in London weiterhin für die IAA tätig.

(33) Paul Louis Marie Brousse (23. Januar 1844 – 1. April 1912) schloss sich nach seinem Medizinstudium der Ersten Internationale an. Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune war er im Schweizer Exil in der Juraföderation aktiv. In der Zeitschrift L'Avantgarde verteidigte er die von Anarchisten im Rahmen der Propaganda der Tat begangene Attentate und wurde dafür inhaftiert. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich nährte er sich reformistischen Positionen und wurde schließlich Mitglied der Parti Socialiste _(SFIO)._

(34) Jules Guesde (11. November 1845 – 28. Juli 1922) gab in Frankreich die Zeitschrift L’Égalité heraus und gründete gemeinsam mit Lafargue die Parti ouvrier, die schließlich in der französischen Sozialistischen Partei aufgehen sollte. Während des Ersten Weltkrieges wurde Guesde Minister und vertrat nationalistische Positionen.

(35) Gustav Landauer (7. April 1870 – 2. Mai 1919) wurde zeitweilig stark von Kropotkin beeinflusst und entwickelte später eine pazifistische und idealistische Spielart des „Anarchismus“. Der von Landauer geründete Sozialistische Bund blieb politisch wirkungslos. Landauer beteiligte sich an der Münchener Räterepublik. Im Zuge ihrer gewaltsamen Niederschlagung wurde er von Freikorpsverbänden brutal ermordet.

(36) Ferdinand Domela Nieuwenhuis (31. Dezember 1846 – 18. November 1919) war ein pazifistisch orientierter Sozialist und Mitbegründer der niederländischen (Sociaal _Democratische Arbeiders Partij (SDAP)_ und 1904 der Internationalen Anti-Militaristische Vereinigung (IAMV).

(37) William Morris (24. März 1834 – 3. Oktober 1896) war ein britischer Sozialist, Maler, Dichter und Schriftsteller. Morris wurde Mitglied der Social Democatic Federation und später der Socialist League. In seinem bekanntesten Roman „News from Nowhere“ beschrieb der die Utopie einer sozialistischen Gesellschaft.

(38) Tom Mann (15. April 1856 – 13. März 1941) war ein britischer Sozialist und Gewerkschafter. Und Mitglied der British Socialist Party. 1920 gehörte er zu den Mitbegründern der Communist Party of Great Britain.

(39) James Keir Hardie (15. August 1856 – 26 September 1915) war ein Mitbegründer der britischen Labour Party. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges nahm er eine pazifistische Position ein.

(40) Jean Jaurès (3. September 1859 – 31. Juli 1914) war ein reformistischer Sozialist. Mitbegründer der französischen Sozialistischen Partei und der Zeitschrift L’Humanité. Wurde kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges von einem französischen Nationalisten ermordet.

(41) Henry Mayers Hyndman (7. März 1842 – 22. November 1922) kam als Spross der britischen Oberschicht mit den Ideen Ferdinand Lassalles in Berührung. Trat der Social Democratic Federation bei und begann sich mit den Theorien von Karl Marx auseinanderzusetzen. Ein von Hyndman verfasste Zusammenfassung des ersten Bandes des Kapital wurde von Marx als Verballhornung zurückgewiesen. Hyndman vertrat schließlich mehr und mehr nationalistische und antisemitische Positionen.

(42) Carlo Gambuzzi (26. August 1837 – 30 April 1902) war ein italienischer Anarchist und Rechtsanwalt. Er hatte gemeinsam mit Garibaldi 1862 in der Schlacht am Aspromonte gekämpft und war mit der Antonia Kwiatkowska, der Frau Bakunins, liiert.

(43) Celso Cerretti (13. Januar 1844 – 12. Januar 1912) schloss sich als Jugendlicher Garibaldi an und kämpfte bei Aspromonte und anderen Schlachten. 1871 beteiligte der sich an der Verteidigung der Pariser Kommune und gehörte zu den Gründern der italienischen Sektion der IAA und vertrat anarchistische Positionen. 1888 gründete er die sozialistische Zeitschrift Il Sole dell'Avvenire.

(44) Engels an Theodor Cuno, MEW Bd. 33, S. 388.

(45) Die angeblichen Spaltungen in der Internationale, MEW Bd. 18, S. 50.

(46) Der Bürgerkrieg in Frankreich, MEW Bd. 17, S.342.

(47) Engels: Programm der blanquistischen Kommuneflüchtlinge, MEW Bd. 18, S. 529.

Sunday, July 2, 2023