Die Riots am 15. Oktober in Rom: Gewalt, Gewaltfreiheit, Klassenkampf

Der 15. Oktober war mit Demos in über 90 Ländern der erste weltweite Aktionstag gegen die Auswirkungen der Krise. Überall wurden die Proteste für ihre friedliche und klassenübergreifende Ausrichtung gelobt. Doch gerade darin verorten sich die beiden größten Begrenzungen der Bewegung. Wir sehen im Pazifismus eine Begrenzung, nicht weil wir meinen, dass sich kämpferische Protestdemos in sinnloser Gewalt entladen müssten, sondern weil „Gewaltfreiheit“ eine Ideologie ist, die die tagtäglichen Auswirkungen des Klassengegensatzes in dieser Gesellschaft von vornherein ausklammert. Diese nehmen zuweilen nicht nur gewalttätige Formen an (besonders als Reaktion auf die bürgerliche Repression), sondern beeinflussen auch die revolutionäre Aktivität in besonderer Weise. Der Interklassismus läuft darauf hinaus, die Spaltung der Gesellschaft in Klassen nicht zur Kenntnis zu nehmen, und die grundlegende Funktionsweise des Kapitalismus, die Ausbeutung des Proletariats durch die herrschende Klasse zu negieren. Letztendlich bedeutet dies, die zentrale Rolle der ArbeiterInnenklasse zu ignorieren, ohne deren Aktivität es niemals zu einer wirklichen sozialen Auseinandersetzung und damit der Möglichkeit einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft kommen kann.

Musik, Trommeln, Gruppenmeditationen etc – dies in Verbindung mit der Ideologie der „Gewaltfreiheit“ und interklassistischen, neo-reformistischen Losungen („Wir zahlen nicht ihre Schulden“, „echte Demokratie“ usw.,) bestätigen uns in unserer Einschätzung, dass die Bewegung der Empörten größtenteils von kleinbürgerlicher humanistischer Ideologie beeinflusst ist. ArbeiterInnen nehmen als solche nur als Einzelpersonen and der Bewegung teil und drücken nicht ihre soziale, und noch viel weniger ihre politische Identität aus. Die derzeitigen Antikrisenproteste manifestieren sich vornehmlich in Demos und Camps auf öffentlichen Plätzen und der pazifistischen Ideologie der „Gewaltfreiheit“. Dieses kleinbürgerliche Element hat seine Ursache im niedrigen Niveau der Kämpfe in den Betrieben und Stadtteilen. Ideologische Schemata haben die Oberhand, während jedoch die eigentliche Frage darin besteht, wie die massiven Angriffe des Kapitals zurückgeschlagen werden können. Die hohe Teilnahme am 15. Oktober ist (besonders in Italien) ein Anzeichen dafür, dass die Krise die Lebens- und Arbeitsbedingungen weiter Schichten der ArbeiterInnenklasse und darüber hinaus bedroht. Die soziale Wut drückte sich auch in Rom aus, allerdings in einer Form, die vollkommen ungeeignet ist die ökonomische und politische Herrschaft der Bourgeoisie herauszufordern. Sowohl die Aktivitäten der “Empörten” als auch die der sog “Anarcho-Insurrektionalisten” dienten als Sicherheitsventile dieser Wut. Gleichwohl sind jedoch beide vollkommen ungeeignet eine wirkliche gesellschaftliche Auseinadersetzung zu entfachen. Diese müsste sich in erster Linie auf Betriebsebene entzünden. Die Kämpfe in den Betrieben, bzw. der allgemeine Gegensatz zwischen Bossen und ArbeiterInnen, sind das eigentliche Barometer sozialer Kämpfe, die sich dann unweigerlich auf die Straßen und Plätze ausdehnen. Dies ist etwas was sich bspw. in Griechenland entwickelt hat, wo der Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital durch Betriebskämpfe, oftmals wilde und unkontrollierte Streiks ausgetragen wird, und die „Gewalt auf der Straße“ logischerweise eine ganz andere soziale Dimension hat als in Rom. In Italien zeigt das Thermometer sozialer Auseinandersetzungen eine sehr niedrige Temperatur an. Die Episode in Rom ist keinesfalls ein Ausdruck der Auseinandersetzungen in den Betrieben. Vielmehr haben die Riots in Rom ihre Ursache in mehreren, miteinander zusammenhängenden Faktoren:

  1. Die zunehmende Präsenz von möglichen Provokateuren staatlicher Stellen oder ihnen verwandter Kräfte wie z.B. neofaschistischer Ultras, die möglicherweise die Demos infiltriert haben um wie in den 70er Jahren das Ziel verfolgen die Veranstaltung aus dem Ruder laufen zu lassen und Vorwände für ein gewalttätiges Einschreiten der Polizei zu liefern. Die Polizei zögerte nicht mit Wasserwerfern gegen die Portestierenden vorzugehen. Sie hat gezielt die Hauptdemonstrationen angegriffen und den diversen Scharmützeln (an denen sich maßgeblich Jugendliche beteiligten) weniger Beachtung geschenkt. Die Repression hielt bis zum nächsten Tage an.
  2. Ferner waren eine Reihe von Elementen anwesend, die von den bürgerlichen Desinformationsmedien gerne als “insurrektionalistische Anarchisten” bezeichnet werden. Ihr aufständisches Projekt zeichnet sich vorwiegend durch Aktionen gegen die Symbole der bürgerlichen Macht aus (Banken, Arbeitsämter, Gerichtsgebäude usw.) Nach dieser Ideologie soll die Wut und die Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung (besonders der ArbeiterInnenklasse) in extremen Praktiken ausdrücken (Propaganda der Tat, Konzept eine spontanen Aufstandes usw.) Es ist offensichtlich, dass diese Ideologie nicht auf einer revolutionären Programmatik aufbaut. Sie bestreitet die Zentralität des Kampfes in den Betrieben und Stadtteilen durch die Entwicklung proletarischer Organisationsformen. Auch wenn wir die Gründe, die sie zu ihren Aktionen motivieren zum größtenteils nachvollziehen, kann die aus dieser Ideologie resultierende Praxis der ArbeiterInnenklasse in keiner Weise eine Perspektive bieten.
  3. Schließlich gab es in den Demos viele Teilnehmer, darunter viele ArbeiterInnen, die spontan und mit echter Wut auf die Arroganz und die Angriffe der bürgerlichen Kräfte reagierten.

Alles im allen also ein sehr komplexes Bild, welches als Ganzes gesehen werden muss, ohne in Schwarzweiß-Schemata zu verfallen. Aller Wahrscheinlichkeit werden zukünftige Demos von ähnlichen Dynamiken erfasst werden. Die Krise bedeute weitere Lohnkürzungen, Entlassungen, mehr prekäre Beschäftigung und den Abbau all des was vom sog. “Soziastaat” noch übrig geblieben ist. Dies führt zu wachsender Frustration in den betroffenen Sektoren, besonders unter jungen ArbeiterInnen, die kaum Jobaussichten haben. Selbst wenn sie einen Job haben, werden sie durch die wachsende Unsicherheit erpresst, und können sich nicht einmal an den harmlosesten Streiks der Gewerkschaften beteiligen. Die Demonstrationen waren ein Ausdruck dieser Frustration. Wir haben in Rom und 2001 in Genua gesehen, nach welchem Muster die Bourgeoisie mit potentiell explosiven Situationen der Unzufriedenheit umgeht. Das Ziel vieler Tausender, Zeltstädte auf den öffentlichen Plätzen zu errichten, wäre ein sehr innovatives Element gewesen. Es wäre nicht nur eine praktische Kritik der bürgerlichen Spielregeln, sondern auch der Bruch mit ihnen gewesen.

In der herrschenden Ideologie gibt es drei verschiedene Lesearten des Geschehenen:

  1. Die extreme Rechte, die argumentiert, dass es keine Unterschiede zwischen den Demonstranten gäbe, sie seien alle Kriminelle, die man einsperren müsse und für die man Sondergesetze bräuchte. Es ist wenig überraschend, dass Di Pietro nun diese Rechte übertroffen und eine Präzisierung des Legga Reale gefordert hat (1).
  2. Die Rechtsliberalen (Draghi), der linke Flügel der liberalen und reformistischen Linken, die erklärten, dass die Demos friedlich und festlich waren, bis gewalttätige Chaoten die Party kaputt gemacht hätten (als ob wir etwas zu feiern hätten). Diese Sichtweise legt die Grundlage für eine Solidarität zwischen guten Demonstranten und den Sicherheitskräften und zielt darauf einen Massenkonsens für künftige Repression herzustellen: Solange Du „friedlich“ und „kreativ“ demonstrierst, ist die Polizei lieb zu Dir, wenn Du aber radikal wirst und nicht so harmlose Aktionsformen anwendest ( Besetzungen, Blockaden, wilde Streiks etc) um deine Wut zum Ausdruck zu bringen, gehörst du unterdrückt.
  3. Den institutionellen radikalen Reformismus (wie bspw. der Leitartikel von Valentino Parlato und Loris Campetti in Il Manifesto am Sonntag zeigt) die argumentieren, dass diese sozioökonomischen Zusammenstöße unvermeidlich waren, und aus diesem Ausdruck der Wut ihre Projekt einer “Erneuerung der Politik” ableiten. Für sie stehen “die gegenwärtigen linken Parteien vor der positiven Herauforderung die Vergangenheit hinter sich zu lassen, und die Veränderungen in der Welt zur Kenntnis zu nehmen”. Deshalb müsste es “Veränderungen in den Kämpfen am Arbeistplatz, in der Gewerkschaft und in der Wirtschaftspolitik” geben.

Das alles hat natürlich nichts mit dem Standpunkt des Proletariats zu tun, den man in drei Foderungen zusammenfassen kann:

  1. Die Notwendigkeit den Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals außerhalb und gegen die Logik der Gewerkschaften zu entwickeln und die Selbstorganisierung der Kämpfe in den Stadtteilen und Betrieben zu beginnen.
  2. Die Notwendigkeit auf den Demonstrationen aus einer Klassenperspektive heraus Formen der Selbstverteidigung gegen die Polizei sowie Infiltrationen von Kräften zu entwickeln, die (wenn auch aus verständlichen Gründen) ein anderes, eher konfuses politisches Projekt vertreten. Dabei darf man jedoch nicht in den strategischen Fehler verfallen, die bürgerliche Gewalt (die sich auf Demos aber weitaus stärker in unserem täglichen Leben auswirkt) mit der Wut jener zu verwechseln, die einen falschen und politisch verheerenden Weg verfolgen.
  3. Die absolute Notwendigkeit einer revolutionären Führung Kraft und Substanz zu verleihen, die es versteht die verständliche soziale Wut in einen kohärenten antikapitalistischen Kampf zu überführen.

Der Staat ist letztendlich aus den Demonstrationen in Rom als Gewinner herausgegangen. Das Ziel der Indignados ein Camp auf der Piazza San Giovanni zu errichten ist gescheitert. Dies ist ein Fakt, der nicht unterschätzt werden sollte. Die Bewegung der Indignados hat viele Schwächen aber nichtsdestotrotz drückt sie in sehr konfuser Weise eine Kritik an politischen Parteien und Gewerkschaften aus. Ein Camp einer sehr begrenzten Bewegung, die non konform sein möchte und in einigen Fällen die Institutionen infrage stellt, passt dem Staat nicht in den Kram. Erinnern wir uns nur, was in Spanien passiert ist: Zwar war weit und breit kein „Schwarzer Block“ zu sehen, dennoch wurden die Indignados mit Gewalt von den Straßen und öffentlichen Plätzen vertrieben.

PCInt - Battaglia Comunista

(1) Dass Legga Reale ist ein sehr repressives Demonstrations- und Sicherheitsgesetz, welches zu Zeiten der Roten Brigaden eingeführt wurde und nach dem damals verantwortlichen Minister Oronzo Reale benannt ist. Di Pietro ist ein liberaler Politiker, der als Ankläger in den Korruptionsskandalen der 90er Jahre bekannt wurde, und nun nach rechts gerückt ist.