Wir haben keine Wahl außer dem Klassenkampf!

„Anderen etwas vormachen und sich dabei selbst etwas vormachen das ist die parlamentarische Wahrheit im Kern“ (Karl Marx)

In der herrschenden Erzählung gelten Wahlen als Highlight der bürgerlichen Demokratie, als Zeiten in denen leidenschaftlich über Inhalte diskutiert und gerungen wird. Nach dieser Maßgabe ist der Auftakt des diesjährigen Wahlspektakels gründlich „verbaerbockt“, bestimmen Plagiatsaffären, aufgebauschte Lebensläufe, Dummdreistigkeiten und Machtallüren der Spit-zenkandidaten die Schlagzeilen. Läuft die Republik Gefahr, dass nach der Ära Merkel erwiesene Vollpfosten ins Bundeskanzleramt einziehen? Nun, das wäre in der Geschichte der Bundesrepublik wahrlich nichts neues. Ebenso sollte sich langsam rumgesprochen haben, dass sog. „Spitzenpolitiker“ ihre Karrieren weniger ihrem intellektuellen Genie, sondern An-passungsleistungen, parteipolitischer Patronage und dem gezielten Einsatz des Ellenbogens zu verdanken haben.

Angesichts der missglückten Performance bemängeln einschlägige Experten lauthals die Inhaltslosigkeit des Wahlkampfes, was den Bund der Industrie (BDI) auf den Plan ruft, der eindringlich „intensiven Debatten über die Konzepte der Parteien zur Stärkung der Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland“ anmahnt. Schließlich soll es etwas zu wählen geben bei den Wahlen. Fragt sich nur was?

Deutschstunde: Die Qual mit der Wahl

Die CDU empfiehlt sich als „Kraft der Mitte“ und Garant der Stabilität. Sie will daher „Deutsch-land gemeinsam machen“. Dem hält die SPD entgegen: „Die erste Geige in dieser Republik, die spielt man nicht auf einer Larifari.“ Aus „Respekt vor der Zukunft“ will sie mehr sozialen Ausgleich und verspricht „Kompetenz für Deutschland“. Die Grünen wollen ihr Wahlprogramm als „Vitaminspritze für Deutschland“ verstanden wissen. Sie setzen auf die aberwitzige Vor-stellung, dass Klima- und Umweltschutz mit kapitalistischen Verwertungsimperativen kompatibel sei. Eine Botschaft, die gerade kraft ihrer Irrationalität über den Dunstkreis der Waldorfschulen hinaus im deutschen Mittelstand Gehör findet. Dagegen profiliert sich die FDP als subjektiv ehrlichste bürgerliche Partei unverhohlen als Lobbytruppe der Reichen und Besserverdienenden und fordert für ihr Klientel einen „Entfesselungspakt für Deutschland“. Von derartigen Fesselspielen hält die Partei „Die Linke“ wenig. Sie fordert: „Soziale Gerechtigkeit wählen“. Damit meint sie sich selbst und ihre Ambition eines „rebellischen Regierens“, das weder Klassen noch Klassengegensätze kennt: „Wir alle können gemeinsam Deutschland demokratischer und sozial gerechter machen.“ In diesem bunten Reigen kommt der AfD die Rolle des konformistischen Rebellen zu, der sich lauthals über Denkverbote beklagt und von der Herrschaft die Wiederherstellung einer als „natürlich“ angenommenen autoritären Ordnung einklagt, die Frauenrechte beschneidet, Sexualität reglementiert, Nationalismus und Rassismus verfestigt. Folgerichtig lautet ihre Parole: „Deutschland muss wieder normal werden.“

Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass das demokratische Wahlversprechen von 2017 bis heute unabgegolten ist, die AfD parlamentarisch zu entzaubern und einzuhegen. Vielmehr bestätigte sich unsere Prognose, „dass die Politik der etablierten Parteien der AfD auch weiterhin Inspirationsquellen, Steilvorlagen und allerlei Munition bieten wird. Die AfD hat kein Urheberecht auf reaktionäre Positionen. Nationalismus und Rassismus sind die Geschäfts-grundlage aller bürgerlichen Parteien – von recht bis links. Die verquere Logik den Rassismus nicht den profiliertesten Rassisten zu überlassen ist die Quintessenz jeder bürgerlichen Politik!“

Why should we vote while a world is burning?

Während die Parteien für das Wohl Deutschlands streiten, lodert es gewaltig im Gebälk des globalen Kapitalismus. Die apokalyptischen Bilder der Waldbrände in Südeuropa, die Hitze-wellen in Nordamerika, der Starkregen und die Flutkatstrophe in Deutschland zeigen nicht nur die Konsequenzen eines kaputtgesparten Katastrophenschutzes. Sie sind ein deutlicher Befund des Ausmaßes der ökologischen Krise. Der Klimawandel ist real und deutlich spürbar. Laut der jüngsten Prognose des Weltklimarates könnte sich die Durchschnittstemperatur voraussichtlich schon bis 2030 um 1,5°C erhöhen. Extremwetterereignisse wie Starkregen, Dürre und Hitzewellen werden sich also häufen, mit unabsehbaren Folgen.

Angesicht dessen lamentieren die Herrschenden von einem „New Green Deal“ und appellieren an ein „nachhaltiges Konsumverhalten“. Doch solange wie sich die Produktion am Profit und nicht an unseren Bedürfnissen und den Erfordernissen der Umwelt ausrichtet, werden einfache Konsumentscheidungen schwerlich Einfluss auf die Produktion nehmen, wird der kapitalistische Raubbau an der Natur weitergehen.

Weltweit offenbarte die Coronapandemie, Produkt der kapitalistischen Zerstörung der Ökosys-teme, die tiefgreifenden sozialen Widersprüche dieser Gesellschaft. Allein in Deutschland kamen bisher über 90 000 Menschen durch die Pandemie ums Leben. Sie wurden Opfer eines auf den Profit ausgerichteten Gesundheitssystems, wo schlecht bezahltes medizinisches Personal ohne ausreichenden Schutz bis zur Erschöpfung schuften musste. Zu Beginn der Pandemie wurden sie noch beklatscht. Kaufen können sie sich davon bis heute nichts. Die Öffnungen von Schulen und Betrieben führten zu gewaltigen Infektionsausbrüchen. Leidtragende waren besonders Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen und im Niedriglohnsektor. Währenddessen konnten die Superreichen ihre Vermögen um 15 Prozent steigern. Besonders in armen Regionen dieser Welt breitet sich das Coronavirus rasant aus. Die Patente für Impfstoffe verbleiben aber weiter in den Händen einiger weniger Großunternehmen. Die Forderungen einiger Moralisten diese freizugeben, erweist sich angesichts der Macht der Pharmakonzerne und ihrer eiskalten Kosten-Nutzen-Kalkulation als frommer Wunsch.

Die Coronakrise ist nicht die Ursache, sondern Produkt und Brandbeschleuniger einer lange schwelenden Verwertungskrise des Kapitalismus. Die Fata Morgana, dass durch die Finanz-spekulation neue Werte geschaffen werden könnten, führte zu periodischen Wirtschaftsein-brüchen, wachsender Verschuldung und zunehmender Instabilität. In allen Bereichen verschärft sich die Konkurrenz, nehmen Handelskriege, Rüstungswettläufe und militärische Kon-frontationen immer gefährlichere Formen an. Die zynischen Machtspiele der Großmächte lassen ganze Regionen in den Strudel der Despotie und Barbarei versinken. Das Debakel des westlichen Imperialismus in Afghanistan ist dafür nur das jüngste Beispiel. Angesichts von Menschen die vor Krieg, Terror und Hunger fliehen müssen, treibt bürgerliche Machpolitiker als erstes die Sorge, dass „sich 2015 wiederholen“ könne. Das Grenzregime wird verschärft. Weiterhin sterben Menschen an den Außengrenzen der EU oder im Mittelmeer. Diejenigen, die es schaffen, werden zur Zielscheibe des Rassismus und gnadenlos ausgebeutet.

Wohnen wird immer mehr zum Luxus. Lohndumping und prekäre Beschäftigungsverhältnisse greifen immer weiter um sich. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die nächsten Rationalisie-rungswellen in Vorbereitung sind, der „große Kassensturz“ nach den Bundestagswahlen ansteht. Es ist unschwer zu erraten, wem die Kosten für Corona und Co aufgebürdet werden.

Glanz und Elend des Parlamentarismus

Aus dem Kampf des Bürgertums gegen die Feudalherrschaft entstanden, hat sich die parla-mentarische Demokratie mit dem geheimen und gleichen Wahlrecht und der Existenz konkur-rierender Parteien zur agilsten Herrschaftsform des Kapitalismus entwickelt. Sie erwies sich im Regelfall offenen diktatorischen Formen als überlegen, indem sie zwei Aspekte kombinierte: „Auf der einen Seite die sogenannte Partizipation der Massen an den Entscheidungsprozessen über die Wahlen zu ermöglichen, auf der anderen Seite diese Massen via Institutionen auszuschließen“ (Johannes Agnoli) Die parlamentarische Demokratie zeichnet sich durch die Illusion aus, dass jede „Bürgerin“ und jeder „Bürger“ durch die Teilnahme am Wahlspektakel gleichberechtigt am Prozess der politischen Willensbildung teilnehmen könne, der Erwerbslose wie der Einkommensmillionär, die Leiharbeiterin wie der Konzernchef. Soziale Unterschiede, Klassenzugehörigkeit und Klassengegensätze spielen in dieser Logik keine Rolle.

Der Parlamentarismus hat für die Herrschenden nicht nur die ideologische Funktion, die Taten und Entscheidungen als „Ausdruck des Wählerwillens“ demokratisch zu bemänteln, er vermittelt zudem in weiten Teilen der lohnabhängigen Bevölkerung die Illusion, das andere für sie handeln, bzw. Politik machen könnten. Nach der Stimmabgabe wird der „aktive Wähler“ wieder zum passiven Zuschauer, während die „passiv Gewählten“ im überkommenen nationalstaatlichen Rahmen die „Politik gestalten“. Dabei sind sie nur sich selbst und ihrem Gewissen verpflichtet, großzügig staatlich alimentiert und meist durch allerlei Beraterverträge und „Nebentätigkeiten“ für Wirtschafts- und Industrieverbände weich gebettet. Während sie auf der parlamentarischen Bühne über Geschäftsordnungsanträge und Sachzwänge zanken, werden die wirklichen Entscheidungen meist in den Untiefen der Ministerialbürokratie, den nichtöffentlichen Gremien des Staatsapparates getroffen.

Wider die parlamentarische Idiotie! Nicht wählen, sondern kämpfen!

Das parlamentarische Geschäft ist sich stets selbst genug. Indem es sich zum Mittelpunkt der Politik erklärt, gleichzeitig aber alle Forderungen und Fragestellungen, die der „Zukunftsfähig-keit und Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland“ abträglich sind als weltfremd verketzert, ist dem Parlament die Rolle eines Herrschaftsinstrumentes eingeschrieben. Dennoch wohnt ihm ein Paradoxon inne, welches bei weiten nicht nur angepasste Staatsbürger zu der Überlegung verleitet, durch eine „taktische“ Teilnahme am Spektakel die eigene Kritik an der Gesellschaft öffentlichkeitswirksam und plausibler zu machen, oder gar durch die Unterstützung eins vermeintlich kleineren Übels das Schlimmste verhindern zu können. Derartige Vorstellungen unterschätzen die strukturell integrative Funktion der ganzen Veranstaltung und haben sich mehr als einmal blamiert. Wie alle anderen Varianten der Stellvertreterpolitik verstellt sie den Blick auf den einzig gangbaren Weg der Gesellschaftsveränderungen, dem selbsttätigen Handeln der Klasse. Die Weigerung am Teilnehmen bedeutet mitnichten Indifferenz und politische Passivität. Im Gegenteil! Es liegt auf der Hand, dass uns nach den Wahlen die Rechnung für Coronakrise, Flutkatastrophe etc. präsentiert wird. Darauf gilt es sich vorzubereiten und überall wo dies möglich ist in einen politischen Dialog zu treten, Verständigungsprozesse voranzutreiben, vor allem aber die Kritik an den Verhältnissen zu schärfen. Die politische Perspektive der KommunistInnen ist in dieser Hinsicht notwendigerweise eine langfristige. Weder das Hoffen auf „kleinere Übel“, Protestwahl, passives Zuhausebleiben oder auch bloßes Nichtwählen hilft weiter, sondern der autonome, selbstorganisierter Klassenkampf außerhalb und gegen die Vermittlungsinstitutionen dieser Gesellschaft. In Hinblick auf den 26. September und darüber hinaus gilt also unsere Empfehlung: Wählt nicht, kämpft!

Für die staaten- und klassenlose Gesellschaft!

Gruppe Internationalistischer KommunistInnen

Sunday, August 22, 2021