Fal­sche Freun­de

Fal­sche Freun­de sind zu­wei­len die schlimms­ten Fein­de. Zur Auf­recht­er­hal­tung sei­ner Herr­schaft stützt sich der Ka­pi­ta­lis­mus auf eine Reihe von Or­ga­ni­sa­tio­nen und Strö­mun­gen, die vor­ge­ben die Lage der Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se ver­bes­sern zu wol­len, in Wirk­lich­keit aber dar­auf hin­ar­bei­ten jeden Wi­der­stand in Sack­gas­sen zu len­ken und damit un­schäd­lich zu ma­chen. Um sei­nen In­ter­es­sen­kampf er­folg­reich zu füh­ren, muss sich das Pro­le­ta­ri­at sei­ner his­to­ri­schen Auf­ga­ben be­wusst wer­den und allen die­sen Kräf­ten eine klare Ab­sa­ge er­tei­len.

Die Ge­werk­schaf­ten

„Ge­werk­schaf­ten tun gute Diens­te als Sam­mel­punk­te des Wi­der­stan­des gegen die Ge­walt­ta­ten des Ka­pi­tals. Sie ver­feh­len ihren Zweck zum Teil, so­bald sie von ihrer Macht un­sach­ge­mä­ßen Ge­brauch ma­chen. Sie ver­feh­len ihren Zweck gänz­lich, so­bald sie sich dar­auf be­schrän­ken, einen Klein­krieg gegen die Wir­kun­gen des be­ste­hen­den Sys­tems zu füh­ren, statt gleich­zei­tig zu ver­su­chen, es zu än­dern, statt ihre or­ga­ni­sier­ten Kräf­te zu ge­brau­chen als einen Hebel zu schließ­li­chen Be­frei­ung der Ar­bei­ter­klas­se, d.h. Zur Ab­schaf­fung des Lohn­sys­tems“, schrieb Marx im Jahre 1865. Heute kön­nen wir nur das ab­so­lu­te Ver­sa­gen der Ge­werk­schaf­ten fest­stel­len, selbst die grund­le­gends­ten Ar­bei­te­rIn­nen­in­ter­es­sen zu ver­tei­di­gen. Ihr Wand­lungs­pro­zess von „Sam­mel­punk­ten des Wi­der­stan­des gegen die Ge­walt­ta­ten des Ka­pi­tals“ (Marx) zu staats­tra­gen­den bü­ro­kra­ti­schen Ap­pa­ra­ten ist un­um­kehr­bar.

Für sich ge­nom­men waren die Ge­werk­schaf­ten nie re­vo­lu­tio­när. Sie sind ent­stan­den als sich Ar­bei­te­rIn­nen be­stimm­ter Wirt­schafts­zwei­ge zu­sam­men­schlos­sen um für bes­se­re Be­din­gun­gen zu kämp­fen. Des­halb wur­den sie an­fangs vom bür­ger­li­chen Staat mit allen Mit­teln be­kämpft und zu­wei­len auch ver­bo­ten. Nach vie­len Op­fern und dank der So­li­da­ri­tät der Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se wur­den sie letzt­end­lich als le­ga­le Or­ga­ni­sa­tio­nen an­er­kannt. Zu­neh­mend setz­te sich in den Ge­werk­schaf­ten eine Ten­denz durch, die die ge­werk­schaft­li­chen Or­ga­ni­sa­tio­nen mehr und mehr der ka­pi­ta­lis­ti­schen Logik un­ter­ord­ne­te Mit der Ent­wick­lung des Im­pe­ria­lis­mus wur­den sie zum in­te­gra­len Be­stand­teil der bür­ger­li­chen Herr­schaft. Ihr Le­bense­li­xier be­stand und be­steht darin die Be­din­gun­gen des Ver­kaufs der Ware Ar­beits­kraft mit den Bos­sen aus­zu­han­deln. Das macht nur auf der Grund­la­ge der po­li­ti­schen Ak­zep­tanz des Lohn­sys­tems und im Rah­men der ka­pi­ta­lis­ti­schen Na­tio­nal­öko­no­mie Sinn. Be­reits im Ers­ten Welt­krieg un­ter­stütz­ten die Ge­werk­schaf­ten im Ein­klang mit den so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Füh­run­gen den im­pe­ria­lis­ti­schen Krieg. Sie ver­kün­de­ten den „Burg­frie­den“ mit der herr­schen­den Klas­se und ar­bei­te­ten an der Um­set­zung von An­tis­t­reik­ge­set­zen mit. Eben­so fan­den die Mi­li­ta­ri­sie­rung der Ar­beit, Ar­beits­ver­dich­tung, die Ver­län­ge­rung des Ar­beits­ta­ges und Lohn­kür­zun­gen ihre be­reit­wil­li­ge Un­ter­stüt­zung. Seit­dem ha-​ben sich die Ge­werk­schaf­ten stets als Ver­tei­di­ger der herr­schen­den Ord­nung her-​vor­ge­tan. Aus­ge­hend von ihrer Po­si­ti­on als an­geb­li­che Ver­tre­te­rin­nen der Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se, sind sie in der Lage “Um­struk­tu­rie­run­gen“ (d.h. Ent­las­sun­gen), “rea­lis­ti­sche“ Lohnab­kom­men (die ge­wöhn­lich Lohn­kür­zun­gen be­inhal­ten) usw. im In­ter­es­se der “wirt­schaft­li­chen Ver­nunft“ zu ver­kau­fen. Es sind immer die Ge­werk­schaf­ten, die am lau­tes­ten nach Pro­tek­tio­nis­mus und Im­port­kon­trol­len schrei­en um so „Ar­beits­plät­ze zu si­chern.“ Die Ge­werk­schaf­ten haben ein viel­fäl­ti­ges Re­per­toire an Me­tho­den, um die Kämp­fe von Ar­bei­te­rIn­nen zu do­mes­ti­zie­ren, zu kon­trol­lie­ren und in Sack­gas­sen zu len­ken. Indem sie Streiks iso­lie­ren und aus­ver­kau­fen, die Ar­bei­te­rIn­nen in Bran­chen-​ und Be­rufs­grup­pen spal­ten, wir­kungs­vol­le Kampf­for­men ver­hin­dern und sa­bo­tie­ren, ver­su­chen sie si­cher­zu­stel­len, dass die Herr­schaft des Ka­pi­tals nicht ernst­haft her­aus­ge­for­dert wird. Jene „Linke“, die das Tun und Han­deln der Ge­werk­schaf­ten stets durch den Ver­rat der je­wei­li­gen Füh­rung er­klä­ren, die durch eine an­de­re er­setzt wer­den müss­te um die Ge­werk­schaf­ten zu ver­bes­sern, zeich­nen sich durch ein glei-​cher­ma­ßen nai­ves wie idea­lis­ti­sches Den­ken aus. Ein Den­ken, wel­ches alle Pro­ble­me auf die Frage der rich­ti­gen Per­so­nen in den stra­te­gi­schen Po­si­tio­nen re­du­ziert und sich nur all zu oft als „le­ni­nis­tisch“ ver­klau­su­lier­ter Wunsch nach Pos­ten und staat­li­cher Ali­men­tie­rung ent­puppt. Die Ge­werk­schaf­ten kön­nen nicht re­for­miert, „zu­rück­er­obert“ oder in In­stru­men­te der Be­frei­ung um­ge­wan­delt wer­den! Das Pro­blem be­steht nicht ein­fach nur in ir­gend­ei­ner „Füh­rung“, es ist die auf Stell­ver­tre­ter­po­li­tik ba­sie­ren­de Or­ga­ni­sa­ti­ons­form der Ge­werk­schaf­ten selbst, die einer eman­zi­pa­to­ri­schen Per­spek­ti­ve ent­ge­gen­steht. Ge­werk­schaf­ten ver­ra­ten nichts und nie­man­den – am we­nigs­ten sich selbst. Wenn sie Kämp­fe sa­bo­tie­ren, Kol­le­gen ver­schau­keln und sich damit dem Ka­pi­tal als Ver­hand­lungs-​ und Ord­nungs­fak­to­ren un­ent­behr­lich ma­chen, han­deln sie nur fol­ge­rich­tig und lo­gisch im Ein­klang ihres ur­ei­ge­nen An­lie­gens, auf „glei­cher Au­gen­hö­he“ mit den Ka­pi­ta­lis­ten die Ge­schäfts­be­din­gun­gen des Ver­kaufs der Ware Ar­beits­kraft ver­han­deln zu wol­len.

Das be­deu­tet nicht, dass wir ein­fach nur dazu auf­ru­fen aus den Ge­werk­schaf­ten aus­zu­tre­ten oder Mit­glieds­kar­ten zu zer­rei­ßen, was nur einer von vie­len in den Ge-​werk­schaf­ten ge­züch­te­ten Mit­be­stim­mung­s­il­lu­si­on gleich­kä­me. Der alte Streit, ob nun eine pri­va­te Rechts­schutz­ver­si­che­rung oder eine Ge­werk­schafts­mit­glied­schaft den bes­se­ren Schutz vor Kün­di­gun­gen und Un­ter­neh­mer­will­kür böte, ist eine De­bat­te über Schein­lö­sun­gen, so­lan­ge Kol­le­gen dem Boss ein­zeln und iso­liert ge­gen­über­tre­ten und sich in die­ser Zwangs­la­ge Schutz von „oben“ er­hof­fen, was meis­tens böse endet. Eben­so wenig rufen wir zur Bil­dung neuer bes­se­rer Ge­werk­schaf­ten auf, die auf kurz oder lang ge­nau­so ver­tre­tungs­po­li­tisch enden wür­den, wie die alten. Per­ma­nen­te öko­no­mi­sche Or­ga­ni­sa­tio­nen der Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se müs­sen mit den Ka­pi­ta­lis­ten in Ver­hand­lun­gen ein­tre­ten und damit auf kurz oder lang die Spiel­re­geln des Aus­beu­tungs­sys­tems ak­zep­tie­ren. Im bes­ten Falle wür­den der­ar­ti­ge „syn­di­ka­lis­ti­sche Ex­pe­ri­men­te“ le­dig­lich die Ge­schich­te der letz­ten zwei Jahr­hun­der­te im Zeit­raf­fer wie­der­ho­len. Worum es geht, ist zu ver­ste­hen, dass der le­ga­lis­ti­sche und na­tio­nal­staats­fi­xier­te Hand­lungs­rah­men der Ge­werk­schaf­ten eine Zwangs­ja­cke ist, die Wi­der­stän­dig­keit und Re­ni­tenz stets dem Recht und Ge­setz der Bour­geoi­sie un­ter­wirft.

Um den Kampf für ihre lang­fris­ti­gen Ziele er­folg­reich füh­ren zu kön­nen, muss die Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se über den ge­werk­schaft­li­chen Rah­men hin­aus­ge­hen. Streiks, nicht Ge­werk­schaf­ten sind die heu­ti­gen “Schu­len des So­zia­lis­mus“. Ins­be­son­de­re dann wenn sie Ar­bei­te­rIn­nen aus un­ter­schied­li­chen Bran­chen zu­sam­men­brin­gen und von ge­wähl­ten und ab­ruf­ba­ren De­le­gier­ten eines Streik­ko­mi­tees, das ge­gen­über der Voll­ver­samm­lung der Ar­bei­te­rIn­nen ver­ant­wort­lich ist, ge­führt wer­den. Die ein­zi­ge Al­ter­na­ti­ve zu den Ge­werk­schaf­ten be­steht in der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on der Kämp­fe – der Au­to­no­mie von unten. Die Auf­ga­be der Re­vo­lu­tio­nä­rIn­nen be­steht darin, über­all (mit­un­ter auch in Ge­werk­schafts­tref­fen), wo die Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se an­zu­tref­fen ist, für die kom­mu­nis­ti­sche Per­spek­ti­ve zu kämp­fen. In der ge­gen­wär­ti­gen Phase des Ka­pi­ta­lis­mus sto­ßen selbst de­fen­si­ve Kämp­fe gegen Ar­beits­platz­ab­bau und Lohn­kür­zun­gen schnell an die Gren­zen des Sys­tems. Die „Sys­tem­fra­ge“ nicht zu stel­len, bzw. die Frage über die Ver­fü­gungs­ge­walt der Pro­duk­ti­ons­mit­tel aus­zu­klam­mern, läuft dar­auf hin­aus sie im Sinne der Ge­werk­schaf­ten zu be­ant­wor­ten und Ver­schlech­te­run­gen und Ver­zicht zu ak­zep­tie­ren. Kom­mu­nis­tIn­nen müs­sen sich aktiv an Kämp­fen, wel­che das Po­ten­zi­al haben über die Be­schrän­kun­gen der haupt­säch­lich öko­no­mi­schen Kämp­fe hin­aus­zu­ge­hen, be­tei­li­gen und alle not­wen­di­gen Schrit­te un­ter­neh­men um Ar­bei­te­rIn­nen um das re­vo­lu­tio­nä­re Pro­gramm zu or­ga­ni­sie­ren.

Die So­zi­al­de­mo­kra­tie

Die Zwei­te In­ter­na­tio­na­le wurde 1889 ge­grün­det als ihre größ­te Sek­ti­on, die Deut-​sche So­zi­al­de­mo­kra­tie sich noch immer im Kampf gegen die Bis­marck­schen So­zia­lis­ten­ge­set­ze be­fand. Fak­tisch funk­tio­nier­te sie eher als Fö­de­ra­ti­on na­tio­na­ler so­zi­al­de­mo­kra­ti­scher Par­tei­en, die auf in­ter­na­tio­na­len Kon­gres­sen wei­test­ge­hend un­ver­bind­li­che Re­so­lu­tio­nen ver­ab­schie­de­ten. All ihre Par­tei­en ba­sier­ten auf einem re­for­mis­ti­schen Mi­ni­mal­pro­gramm und einem for­ma­len Ma­xi­mal­pro­gramm, wel­ches sich abs­trakt für den So­zia­lis­mus aus­sprach, die re­for­mis­ti­sche Ta­gespra­xis je­doch eher schlecht als recht ka­schie­ren konn­te. Zwar ent­wi­ckel­ten sich die so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en zu Mas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on, dies aber zum Preis der fort­schrei­ten­den In­te­gra­ti­on in die bür­ger­li­che Ord­nung. Der Glau­be an den Par­la­men­ta­ris­mus führ­te zwangs­läu­fig zur An­pas­sung und schließ­lich Un­ter­wer­fung unter die öf­fent­li­che Mei­nung. Eine schlei­chend ent­stan­de­ne Bü­ro­kra­tie stell­te die Er­hal­tung der Or­ga­ni­sa­ti­on und ihrer Fi­nanz­mit­tel über die so­zia­lis­ti­schen Prin­zi­pi­en, die im zu­neh­men­den Maße nur noch bei Sonn­tags­re­den von Be­deu­tung waren. Der Re­for­mis­mus führ­te not­wen­di­ger­wei­se zur Treue ge­gen­über dem im­pe­ria­lis­ti­schen Na­tio­nal­staat, den die Re­for­mis­ten über­neh­men woll­ten. Ent­ge­gen allen zuvor ver­ab­schie­de­ten An­ti­kriegs­re­so­lu­tio­nen un­ter­stüt­zen die so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en 1914 die Kriegs­zie­le ihrer je­wei­li­gen Bour­geoi­sie. An­ge­sichts der vor­her ver­ab­schie­de­ten An­ti­kriegs­re­so­lu­tio­nen der Zwei­ten In­ter­na­tio­na­le er­schien die­ses als of­fe­ner Ver­rat an allen Prin­zi­pi­en. Im Grun­de ge­nom­men war die Un­ter­stüt­zung des im­pe­ria­lis­ti­schen Krie­ges nur die lo­gi­sche Folge der bis­her be­trie­be­nen Pra­xis. Der im Au­gust 1914 mit der Bour-​geoi­sie ge­schlos­sen Burg­frie­den war letzt­end­lich auch ein In­di­ka­tor dafür, in­wie­weit So­zi­al­de­mo­kra­tie zum ele­men­ta­ren Be­stand­teil der bür­ger­li­chen Ord­nung ge­wor­den war. Fort­an ent­wi­ckel­ten sich die so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en zu Haupt­stüt­zen des Ka­pi­ta­lis­mus. 1918 bis 1923 spiel­ten sie eine füh­ren­de Rolle bei der Nie­der­schla­gung der Auf­stän­de der re­vo­lu­tio­nä­ren Ar­bei­te­rIn­nen und der Er­mor­dung von tau­sen­den Kom­mu­nis­tIn­nen (dar­un­ter Rosa Lu­xem­burg und Karl Lieb­knecht). Heute agiert die So­zi­al­de­mo­kra­tie als Prot­ago­nis­tin eines Re­for­mis­mus ohne tat­säch­li­che Re­for­men. Indem sie wei­ter­hin Il­lu­sio­nen in den Par­la­men­ta­ris­mus schürt, So­zi­al­ab­bau ent­we­der als be­dau­er­li­chen Sach­zwang oder gar klei­ne­res Übel ver­kauft, ver­sucht sie die Ar­bei­ter­klas­se an den bür­ger­li­chen Staat zu ket­ten. In Pe­ri­oden star­ker Klas­sen­kämp­fe spielt sie eine zen­tra­le Rolle bei der Ver­tei­di­gung, indem sie sich als Ar­bei­te­rIn­nen­par­tei aus­gibt. In Zei­ten des Klas­sen­frie­dens ver­brei­tet sie die Il­lu­si­on, dass die Ar­bei­te­rIn­nen bei den Wah­len eine Wahl hät­ten. Die So­zi­al­de­mo­kra­tie ist eine wich­ti­ge ideo­lo­gi­sche Stüt­ze des Ka­pi­ta­lis­mus und kann nicht für das Lager der Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se zu­rück­ge­won­nen wer­den.

Der Sta­li­nis­mus

Die Rus­si­sche Re­vo­lu­ti­on war schon lange be­siegt wor­den bevor Sta­lin 1928 der un­an­ge­foch­te­ne Füh­rer der UdSSR wurde. Die De­ge­ne­ra­ti­on der rus­si­schen Ok­to-​ber­re­vo­lu­ti­on re­sul­tier­te aus der Nie­der­schla­gung der welt­wei­ten Klas­sen­be­we­gun-​gen und der damit ver­bun­de­nen Schwä­che, die er­kämpf­ten An­sät­ze der Ar­bei­te­rIn-​nen­macht gegen die sta­li­nis­ti­sche Kon­ter­re­vo­lu­ti­on zu ver­tei­di­gen. Der Sta­li­nis­mus stell­te nicht das lo­gi­sche Er­geb­nis der bol­sche­wis­ti­schen Re­vo­lu­ti­on dar, son­dern einen to­ta­len Bruch mit all ihren Hoff­nun­gen und Be­stre­bun­gen. An­stel­le von Frei­heit für die Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se ent­wi­ckel­te Sta­lin (bzw. die sich ent­wi­ckeln­de ka­pi­ta­lis­ti­sche Klas­se, deren Ver­tre­ter er war) eine Par­tei­dik­ta­tur von noch nie da ge­we­se­ner Grau­sam­keit. Statt des Kom­mu­nis­mus ent­wi­ckel­te sich eine be­son­ders bru­ta­le Va­ri­an­te des Staats­ka­pi­ta­lis­mus. Wäh­rend die Grund­la­gen der ka­pi­ta­lis­ti­schen Ge­sell­schaft, Wa­ren­pro­duk­ti­on und Lohnar­beit er­hal­ten blie­ben, wur­den all­um­fas­sen­de staat­li­che Kon­trol­le und for­cier­ter Ar­beits­zwang zu „so­zia­lis­ti­schen Er­run­gen­schaf­ten“ um­ge­lo­gen. Die Pro­le­ta­ri­er blie­ben Lohnar­bei­ter ohne jede Ver­fü­gungs­ge­walt über die in den Hän­den des Staa­tes kon­zen­trier­ten Pro­duk­ti­ons­mit­tel. Der Sta­li­nis­mus konn­te in Russ­land tri­um­phie­ren, weil es sich um ein be­son­ders rück­schritt­li­ches Land han­del­te. In ge­wis­ser Hin­sicht nahm er Ele­men­te der nach dem Zwei­ten Welt­krieg im Wes­ten ent­stan­de­nen „ge­misch­ten Wirt­schafts­sys­te­me“ vor­weg. Auch hier wurde be­haup­tet, dass sich die ver­staat­lich­ten In­dus­tri­en in „Volks­ei­gen­tum“ be­fän­den. In ers­ter Linie war er je­doch eine be­son­de­re ka­pi­ta­lis­ti­sche For­ma­ti­on, die sich in einen ein­zig­ar­ti­gen Kon­text her­aus­bil­de­te. Er wurde zum Ori­en­tie­rungs­mo­dell einer Reihe von Staa­ten wie bspw. Kuba oder China, aber auch di­ver­ser na­tio­na­lis­ti­scher Be­we­gun­gen, die dem Pro­le­ta­ri­at schwe­re Nie­der­la­gen zu­füg­ten. Als Herr­schafts­form wie als po­li­ti­sche Strö­mung agier­te der Sta­li­nis­mus auf der Basis eines na­tio­na­lis­ti­schen und staats­ka­pi­ta­lis­ti­schen Pro­gramms: Un­ter­wer­fung des Pro­le­ta­ri­ats unter den Staat, Ter­ror, Re­vo­lu­ti­ons­ver­zicht und Mas­sen­mord an Kom­mu­nis­tIn­nen. Sein durch und durch re­ak­tio­nä­rer Cha­rak­ter of­fen­bar­te sich in der Kul­ti­vie­rung von Na­tio­na­lis­mus und An­ti­se­mi­tis­mus, in der Pro­pa­gie­rung einer frau­en­feind­li­chen Se­xu­al­mo­ral und der Ver­klä­rung der Lohnar­beit. Er war kein ir­gend­wie ge­ar­te­ter „so­zia­lis­ti­scher Ver­such“ son­dern der To­ten­grä­ber der Re­vo­lu­ti­on, eine be­son­ders per­fi­de Va­ri­an­te des An­ti­kom­mu­nis­mus.

Erben der Kon­ter­re­vo­lu­ti­on: Die Linke des Ka­pi­tals

„Die Tra­di­ti­on der toten Ge­schlech­ter las­tet wie ein Alp auf den Hir­nen der Le­ben­den“ (Karl Marx) Heute gibt es eine ver­wir­ren­de Viel­falt von sich selbst „so­zia­lis­tisch“ oder „kom­mu­nis­tisch“ nen­nen­den Or­ga­ni­sa­tio­nen und Grup­pen. In ihrer Mehr­zahl han­delt es sich dabei um zu­wei­len un­frei­wil­lig ko­misch an­mu­ten­de Ver­su­che die So­zi­al­de­mo­kra­tie neu zu er­fin­den oder den Sta­li­nis­mus re­ani­mie­ren zu wol­len. Doch die Ver­wir­rung und der Scha­den, den diese Grup­pen im „Namen des Mar­xis­mus“ an­rich­ten, sind be­trächt­lich. Die meis­ten die­ser Grup­pen bauen ihre Pro­gram­ma­tik auf der Gleich­set­zung des So­zia­lis­mus mit dem Staats­ei­gen­tum an Pro­duk­ti­ons­mit­teln auf. Letzt­end­lich eine re­ak­tio­nä­re, mit dem re­vo­lu­tio­nä­ren Mar­xis­mus nicht zu ver­ein­ba­ren­de Po­si­ti­on, gegen die be­reits Fried­rich En­gels zu Felde zog: „… weder die Ver­wand­lung in Ak­ti­en­ge­sell­schaf­ten und Trusts noch die in Staats­ei­gen­tum hebt die Ka­pi­tal­ei­gen­schaft der Pro­duk­ti­ons­mit­tel auf. Bei den Ak­ti­en­ge­sell­schaf­ten und Trusts liegt das auf der Hand. Und der mo­der­ne Staat was auch seine Form, ist eine we­sent­lich ka­pi­ta­lis­ti­sche Ma­schi­ne, Staat der Ka­pi­ta­lis­ten der ide­el­le Ge­samt­ka­pi­ta­list. Je mehr Pro­duk­tiv­kräf­te er in sein Ei­gen­tum über­nimmt, desto mehr wird er wirk­li­cher Ge­samt­ka­pi­ta­list, desto mehr Staats­bür­ger beu­tet er aus. Die Ar­bei­ter blei­ben Lohnar­bei­ter, Pro­le­ta­ri­er. Das Ka­pi­tal­ver­hält­nis wird nicht auf­ge­ho­ben, es wird viel­mehr auf die Spit­ze ge­trie­ben.“ Weder in China, Viet­nam, Kuba oder Nord­ko­rea hat es je­mals so­zia­lis­ti­sche Re­vo­lu­tio­nen ge­ge­ben. In die­sen Län­dern fand nie eine so­zia­le Um­wäl­zung statt, die das Werk der Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se war, noch hatte dort je­mals ein in Räten or­ga­ni­sier­tes Pro­le­ta­ri­at die Mög­lich­keit wirt­schaft­li­che oder po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Von daher zie­hen wir einen kla­ren Tren­nungs­strich zu allen Strö­mun­gen und Kräf­ten, die die­sen Aus­beu­tungs­re­gi­men einen „fort­schritt­li­chen“, „an­ti­ka­pi­ta­lis­ti­schen“ oder sogar „so­zia­lis­ti­schen“ Cha­rak­ter an­dich­ten wol­len. So­wohl der Mao­is­mus wie der Gue­va­ris­mus stel­len an­ti­kom­mu­nis­ti­sche, gegen die Ar­bei­te­rIn­nen­klas­se ge­rich­te­te Strö­mun­gen dar, die auf den­sel­ben ideo­lo­gi­schen Prä­mis­sen (Volks­front­kon­zept, Ett­ap­pen­theo­rie, Ver­klä­rung des Staa­tes, Na­tio­na­lis­mus etc) auf­bau­en wie der Sta­li­nis­mus. Die di­ver­sen trotz­kis­ti­schen Strö­mun­gen schmü­cken sich gerne mit dem Pres­ti­ge der von Leo Trotz­ki ge­führ­ten Op­po­si­ti­on gegen Sta­lin. Doch ab­ge­se­hen davon, dass sich Trotz­kis Kampf reich­lich spät ent­wi­ckel­te, wurde er immer durch die Tat­sa­che ge­lähmt, dass er den Staats­ka­pi­ta­lis­mus mit dem So­zia­lis­mus ver­wech­sel­te und aus­schließ­lich die kom­mu­nis­ti­sche Par­tei als Arena für die po­li­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung ansah. Trotz­ki in­ter­pre­tier­te die auf den ers­ten vier Kon­gres­sen der Kom­in­tern be­schlos­se­nen Richt­li­ni­en als die Grund­la­ge re­vo­lu­tio­nä­rer Po­li­tik. Fol­ge­rich­tig ak­zep­tier­te er die ver­häng­nis­vol­le Vor­stel­lung, dass die So­zi­al­de­mo­kra­tie eine pro­le­ta­ri­sche Strö­mung sei, mit der man Ab­kom­men und Bünd­nis­se (sog. Ein­heits­fron­ten) schlie­ßen könn­te. Die re­ak­tio­nä­ren Schluss­fol­ge­run­gen die­ser Sicht­wei­se of­fen­bar­ten sich 1935 als er seine An­hän­ge­rIn­nen an­wies den so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en bei­zu­tre­ten. Dies war die Grund­la­ge der sog. Po­li­tik des Ent­ris­mus, d.h. der Mit­ar­beit der Trotz­kis­tIn­nen in der So­zi­al­de­mo­kra­tie, also jener Kraft die den im­pe­ria­lis­ti­schen Krieg un­ter­stützt und die Auf­stän­de des Pro­le­ta­ri­ats blu­tig nie­der­ge­schla­gen hatte. Im 1938 von Trotz­ki ver­fass­ten „Über-​gangs­pro­gramm“ der „Vier­ten In­ter­na­tio­na­le“ fand seine zu­tiefst idea­lis­ti­sche Her­an­ge­hens­wei­se ihren prä­gnan­tes­ten Aus­druck. Im We­sent­li­chen war das sog. „Über­gangs­pro­gramm“ nicht mehr und nicht we­ni­ger als eine Rück­kehr zum Kon­zept des Mi­ni­mal­pro­gramms der So­zi­al­de­mo­kra­tie vor 1914. In ihm drückt sich be­son­ders deut­lich der tief ver­wur­zel­te Glau­be der Trotz­kis­tIn­nen aus, durch eine Reihe re­for­mis­ti­scher For­de­run­gen ein re­vo­lu­tio­nä­res Be­wusst­sein her­vor­brin­gen zu kön­nen. Das ist kurz ge­fasst eine Po­li­tik, die sich auf Ma­ni­pu­la­tio­nen stützt und der Ar­bei­ter-​In­nen­klas­se die Fä­hig­keit ab­spricht, über ihre ei­ge­nen Kämp­fe kom­mu­nis­ti­sches Be­wusst­sein zu er­lan­gen. Dar­über hin­aus setz­ten Trotz­ki und seine An­hän­ger die ge­sam­ten Kon­fu­sio­nen der frü­hen Kom­in­tern in der Frage des Im­pe­ria­lis­mus und der sog. „na­tio­na­len Selbst­be­stim­mung“ fort. Dies führ­te sie schließ­lich dazu in di­ver­sen lo­ka­len im­pe­ria­lis­ti­schen Kon­flik­ten (Spa­ni­scher Bür­ger­krieg, Abes­si­ni­en, Chi­ne­sisch-​Ja­pa­ni­scher Krieg) Seite zu be­zie­hen, und sich letzt­end­lich als Ver­tei­di­ger der „De­mo­kra­tie“ und des „so­zia­lis­ti­schen Va­ter­lan­des“ am im­pe­ria­lis­ti­schen Zwei­ten Welt­krieg zu be­tei­li­gen. Der Trotz­kis­mus stellt heute nicht mehr und nicht we­ni­ger als eine staats­ka­pi­ta­lis­ti­sche Strö­mung dar, die von in­ter­na­tio­na­lis­ti­schen Re­vo­lu­tio­nä­ren ent­schie­den kri­ti­siert und be­kämpft wer­den muss.

Ob­wohl die di­ver­sen trotz­kis­ti­schen, sta­li­nis­ti­schen und mao­is­ti­schen Strö­mun­gen ihre Un­ter­schie­de haben, sind sie alle Teil des­sen, was wir die ka­pi­ta­lis­ti­sche Linke nen­nen. Sie ste­hen alle für Bünd­nis­se mit Kräf­ten der Bour­geoi­sie, die Un­ter­stüt­zung des Na­tio­na­lis­mus und die mehr oder we­ni­ger kri­ti­sche Ver­tei­di­gung des Sta­li­nis­mus. All ihre Kon­zep­te, Pro­gram­me und Tak­ti­ken haben den Kämp­fen des Pro­le­ta­ri­ats mehr als ein­mal das Rück­grat ge­bro­chen. Es geht nicht darum im Namen der „lin­ken Ein­heit“ einen Neu­auf­guss davon zu lie­fern, son­dern einen kla­ren po­li­ti­schen Bruch zu voll­zie­hen, um den Blick frei zu be­kom­men für die Per­spek­ti­ve des grenz­über­schrei­ten­den Klas­sen­kamp­fes.

Tuesday, January 7, 2014